PlattenkritikenPressfrisch

STREET KOMPASS August 2021

Einen schönen Tag und ebensolche (letzte) Sommertage wünschen wir Euch mit der Veröffentlichung des August-Kompasses. Vielleicht mehr als jemals zuvor, steckt in diesen folgenden, kürzeren Review-Abhandlungen eine ganze Menge Substanz, die Ihr nicht übergehen, sprich überlesen solltet. Denn Ihr werdet einige Perlen entdecken, von deren Existenz wir Euch natürlich noch unbedingt berichten wollten.

Die Kämpfe um unsere Monatsherrlichkeit waren auch nicht ohne, weil gerade bei der neuen IRON MAIDEN die Meinungen zwischen himmelhochjauchzend und leichtem Schulterzucken immens auseinanderklaffen. Dennoch hätte es ebenso KENN NARDI wie A KEW’S TAG (und natürlich IRON MAIDEN) verdient gehabt, als Monatsherrlichkeit präsentiert zu werden, doch die Old School-Fraktion stimmte für die:

 

 

M o n a t s h e r r l i c h k e i t

 

 

 

 

Q u i c k – R e v i e w s

 


CAPTAIN KICKARSE AND THE AWESOMES – Grim Repercussions
2015/2021 (Bird’s Rope Records) – Stil: Exp. Rock/Prog 

„Bird’s Rope Records“ feiern noch immer ihr Zehnjähriges und legen nochmals das Debüt ´Grim Repercussions´ von CAPTAIN KICKARSE AND THE AWESOMES vor.

Nach zwei EPs präsentierten diese im Jahr 2015 ihren ersten Longplayer. Drei Instrumentalisten und kein Sänger – Phil McCourt und Alex O’Toole sowie Alex Wilson (SLEEPMAKESWAVES) – spielen eine Mischung aus Math, Prog und Psychedelic Rock. Sie bezeichnen diese Mixtur selber als eine zwischen THE MARS VOLTA und MAHAVISHNU ORCHESTRA, zu hören sind allerdings ebenso Postrock, Prog Rock, Metal, Punk und Jazz.

Ergo: Wenn nicht jetzt, wann dann, CAPTAIN KICKARSE AND THE AWESOMES hören?

(Michael Haifl) – https://www.facebook.com/captainkickarseandtheawesomes/–  https://captainkickarseandtheawesomes.bandcamp.com/album/grim-repercussions


CASTANARC – The Sea Of Broken Vows
2021 (Khepra Records) – Stil: Soft Prog Rock

Total gechillt, sphärig, schwebend, tiefenentspannt, so klingt die Mixtur aus sanftem Prog und Pop, die uns die Briten CASTANARC auf ihrem sechsten Album in 38 Jahren servieren. Zart wolkige Teppiche, viele Dur-positive Passagen, ein engelsgleicher Sänger. Das wird geboten mit britischem Understatement. Keiner muss beweisen, wie gut er sein Instrument beherrscht. Niemand muss seine mathematischen Kenntnisse darlegen. Hier genügen Gefühl und Sanftmut.

So sind CASTANARC ´Walking With Angels´,  ganz ´Out Of Time´. Wer sich also eine tiefenentspannte Version von PINK FLOYD vorstellen kann, wer neben POOR GENETIC MATERIAL und MARILLION noch Platz hat im Regal, mit CASTANARC macht man nicht viel falsch. Vielleicht wirft man dann auch gleich noch einen Blick in die Diskographie.

(7,5 Punkte – Mario Wolski) – https://castanarc.bandcamp.com/


CUESTACK – Diagnosis: Human
2021 (CueStack/Rebeat) – Stil: Industrial Metal

Das Wiener Industrial Metal-Duo CUESTACK zeichnet eine düstere Vision des menschlichen Daseins auf. Der Mensch scheint auf dem Weg, von Künstlicher Intelligenz gelenkten Robotern abhängig zu werden. Eine dystopische Zukunftsfantasie des Transhumanismus, die womöglich bereits in vollem Gange ist.

Martin Kames und Bernth Brodträger hauen dem Hörer hierzu passenderweise fette Riffs und dementsprechende Samples um die Ohrmuscheln. Die klassische Schule von MINISTRY und FEAR FACTORY ist ebenso gegenwärtig wie RAMMSTEIN, SAMAEL und MARILYN MANSON. Bisweilen tönen die Lieder auch schlicht nach Industrial-Pop.

Dass die Männer vor diesem Debüt bereits einen Song mit David Hasselhoff (´Through The Night´) eingespielt haben, sollte nicht unerwähnt bleiben. Der Schrecken fährt dem Hörer allerdings nicht bei Cybermobbing (´Stronger´), sondern bei dem Thema Überbevölkerung in Verbindung mit Transhumanismus in die Glieder (´Overpopulation´), das sich gleichfalls auf der Agenda einiger menschlich fragwürdiger Vereinigungen befindet.

CUESTACK sind in jedem Fall metallisch-futuristisch unterwegs, ob mit Robotern im Sound oder von Mensch gemachten Riffs. Solange die Roboter nicht die Kunst eliminieren, haben CUESTACK eine strahlend rote Zukunft vor sich.

(7,5 Punkte – Rob „Bert“ Hall) – https://www.facebook.com/CueStack/


THE DARK TENOR – Johann – A J.S. Bach Story By Billy Andrews
2021 (Red Raven Music) – Stil: Klassik/Rock/Pop

Jetzt folgt der zweite Teil der Komponisten-Trilogie „Icons“ von Billy Andrews aka THE DARK TENOR – und so langsam geraten die Liebhaber von Pop Meets Classic gänzlich in Wallung. Denn nach dem ersten Teil der Trilogie, der ´Ludwig´-EP, im Geiste von Ludwig van Beethoven, verneigt sich der Crossover-Künstler vor Johann Sebastian Bach. Im letzten Teil soll noch Wolfgang Amadeus Mozart vergöttert werden.

Doch bereits ´Johann´, die ´J.S. Bach Story´, ist der perfekte Soundtrack für Abende in rührseliger Stimmung, wenn sich aus den Boxen Rock und Pop mit Klassik-Klängen einen und der in Berlin lebende Sänger, Komponist und Produzent Billy Andrews sich tief vor Johann Sebastian Bach (31.03.1685 – 28.07.1750) verbeugt. Die Bach-Stücke ´Das Wohltemperierte Klavier: Book 1, BWV 846-869: Prelude In C Major BWV 846´, ´Orchestral Suite No. 3 in D Major, BWV 1068: 2. Air´ und ´Toccata And Fugue In D Minor, BWV 565: Toccata´ führen den Künstler Johann Sebastian in die Neuzeit heran. Das Klassik trifft Rock-Stück ´When You Roar´ mit der Unterstützung durch das Berliner Klavier-Duo QUEENZ OF PIANO, das cineastische ´Complete´ oder die Ballade ´Ultraviolet Heart´ bringen uns die Seele von Billy Andrews näher.

THE DARK TENOR vermag es, auf ´Johann – A J.S. Bach Story´ alle Kompositionen derart vorzuführen, dass der geneigte Zuhörer irgendwann nicht mehr still in seinem Inneren versinken kann, sondern den Gesang mitsingen oder zumindest die Töne nachsummen muss. Triumphal.

(Michael Haifl) – https://www.facebook.com/thedarktenor


DUMBSAINT – Panorama, In Ten Pieces
2015/2021 (Bird’s Robe Records) – Stil: Post Rock

DUMBSAINT drehen und produzieren ihren eigenen Spielfilm. Dieser hat einen gewissen Horror als Unterton.

DUMBSAINT spielen Post Rock einmal anders: Sie präsentieren ihre instrumentale, cineastische Musik synchron zu ihrem Spielfilm. ´Panorama, In Ten Pieces´ ist ein monumentales Werk über zehn Kompositionen hinweg. Die Klanglandschaften ziehen dabei vor dem inneren Auge des Hörers eindringlich vorbei. Der Nachfolger von ´Something That You Feel Will Find Its Own Form´ wurde bereits 2015 veröffentlicht und erhält aktuell eine internationale Neuauflage. Was einst mit Videos für die Live-Auftritte begann, ist unterdessen zu einem ebenfalls über die Band erhältlichen Film angewachsen.

DUMBSAINT sind schlichtweg einmalig und ihre Kunst atemraubend.

(Michael Haifl) – https://www.facebook.com/dumbsainthttps://dumbsaint.bandcamp.com/album/panorama-in-ten-pieces


ENEMY INSIDE – Seven
2021 (Rock Of Angels Records) – Stil: Modern Metal

Seit ihrem Auftritt im 7er Club im Vorprogramm von ALMANAC genießen die Aschaffenburger Modern Metaller ENEMY INSIDE um Sängerin Nastassja Giulia einen gewissen Sympathiebonus bei mir. Sonst hätte ich ´Seven´ nach dem ersten Durchlauf schon ad acta gelegt. Sie sind halt auf den ersten Blick nichts für den True Metal-Fan. Eher stellt man sie sich auf der alljährlichen Wacken-Kirmes vor. Dieses Vorurteil greift am Ende aber wohl zu kurz.

Natürlich fahren sie im Fahrwasser von LACUNA COIL oder EVANESCENCE. Sie schaffen aber auch ein paar hitverdächtige, dancefloorgeeignete, druckvolle Songs. Und ein ´Black Butterfly´ darf durchaus auch mal nach Pop schmecken. So finde ich, der nicht der Generation Zielgruppe angehört, auch Gefallen am zweiten Album der Franken. Das Tüpfelchen auf dem I ist dann die eigenständige Version des JENNIFER PAIGE-Hits ´Crush´.

(7 Punkte – Mario Wolski) – https://www.facebook.com/WeAreEnemyInside


EDREDON SENSIBLE – Vloute Panthère
2021 (Les Productions du Vendredi) – Stil: World/Jazz

Natürlich muss Kreativität belohnt werden.

Daher wollen wir EDREDON SENSIBLE auch loben. Das französische Quartett folgt nicht ganz solch verrückten Anwandlungen á la POIL, sondern setzt bereits mit zwei Perkussionisten und zwei Saxofonisten die Ausrichtung fest.

Die Musik führt uns zum Jazz, aber gar so wild und unberechenbar blasen und trommeln sich EDREDON SENSIBLE nicht im Free Jazz fest, sondern kreisen mit aufwallender Bewegung über Polyrhythmen. Bariton- und Tenorsaxofon wollen dennoch leidenschaftlich und beinahe hysterisch neue Musik mit Afrobeats aus Toulouse anpreisen: ´Vloute Panthère´.

(Michael Haifl) – https://www.facebook.com/EdredonSensible


ETERNAL FLIGHT – SurVive
2021 (Metalapolis Records) – Stil: (Melodic) Heavy Metal

Auf vier Alben können ETERNAL FLIGHT, die Band des ex-DREAM CHILD-Masterminds Gerard Fois, zurückblicken. ´SurVive´ erscheint nun beim neuen Label der Band, den süddeutschen „Metalapolis Records“. Auf diesem Album beweisen sie deutlich markanter, dass sie auch im klassischen Heavy Metal und hier und da im Progressive Metal räubern. Die Gitarrenarbeit ist vorzüglich. Beim Gesang kann man vortrefflich diskutieren. Hier können die Meinungen von unspektakulär einseitig, gar kantig unmusikalisch bis klassischer Heavy Metal Sirene oder unverwechselbar gehen. Das ist allerdings auch den Songs geschuldet.

Definitiv überzeugen kann Herr Fois u.a. bei ´Evolution´, dem fett tighten ´Legions´, das fast schon treibenden Heavy Metal darstellt, oder ´Is This The End´. Einem groovig harten Track mit hohem Prog-Anteil. Dass man mit dem Opener ´Will We Rise Again´ einen zwar harten, aber auch anspruchsvollen Track gleich als Einstand platziert hat, verfälscht etwas das Gesamtbild des Albums. Auch kommen hier die verschiedenen Gesangsstimmungen zum Tragen. Alles in allem aber ein doch beachtlicher Einstand in ein Album, das verschiedenen Facetten abdeckt, ohne dabei allerdings zerfahren oder orientierungslos zu wirken. Dass man in der Bio die Band explizit dem „melodischen Heavy Metal“ zuordnet, ist nicht wirklich dienlich. Auch wenn Melodien hier absolut wichtig sind, wirkt ´SurVive´ in seiner Gesamtheit wie ein tightes Heavy Metal-Album mit teils anspruchsvollem Songwriting.

(7 Punkte – Jürgen Tschamler)  – https://www.facebook.com/ETERNALFLIGHT.BAND


EYES (SE) – Perfect Vision 20/20
2021 (GMR Music) – Stil: Melodic Heavy Rock

Diese EYES sind nicht zu verwechseln mit den Amis bei denen JEFF SCOT SOTO involviert war. Wie man schon am zusätzlichen SE erkennen kann, handelt es sich hier um Schweden, die u.a. bei ACES HIGH schon am Start waren. So liegt es nahe, dass man musikalisch nicht unwesentlich nach ACES HIGH klingt. Hier und da gibt es geringfügige Überschneidungen, die aber absolut legitim sind.

´Perfect Vision 20/20´ hat eine nicht geringe Zahl von tighten Rockern mit hoher Melodienähe. Interessant ist, dass die vier ersten Stücke wesentlich melodischer ausgefallen sind und eher dem AOR-Spektrum zu zuordnen sind. Die restlichen sechs Songs rocken markant mehr und wirken weniger glatt geschmirgelt. Was die ganze Kiste deutlich hörbarer macht.

Fans des klassischen, melodischen Heavy Rock werden gut bedient. Songs wie ´Back Down´, ´In The Matrix´, ´More Than Meets The Eyes´ untermauern dies deutlich. Auch hat man mit Sänger Peter Andersson einen fähigen Mann in der Truppe. Is`ne gefällige Angelegenheit.

(7 Punkte – Jürgen Tschamler)  – https://www.facebook.com/onlyeyes4u


FINAL STEP – Disconnections
2021 (Sireena/Broken Silence) – Stil: Prog/Jazz

Die in Tessin ansässigen FINAL STEP sind eine moderne Variante des Jazz Rock, des seit den Siebzigerjahren beliebten Fusion. Nach dem Debüt ´Desert Trolls´ im Jahre 2010 ist ´Disconnections´ bereits das fünfte Studioalbum. In dieses packt das Quintett unter der Leitung des Gitarristen Matteo Finali natürlich Jazz und Rock, aber auch Funk, Blues und Klassik. Dennoch lassen sie keinesfalls dem Freidenkertum des Jazz seinen Lauf, sondern präsentieren ihren Crossover versiert und nicht exaltiert.

´Disconnections´ ist im Übrigen einem Festival-Auftritt von FINAL STEP bei einem der größeren Festivals in der Schweiz, dem Estival Jazz zu verdanken. Dort ebenfalls anwesend war Mike Manieri, der als Mitbegründer der Fusion-Legende STEPS AHEAD in die Annalen eingegangen ist und von denen FINAL STEP ihren Bandnamen abgeleitet haben. Diese magische Begegnung ebnete den Entschluss, schnellstmöglich wieder ins Studio zu gehen.

Der Weg muss allerdings wieder auf die Bühnenbretter führen, denn besser könnte ´Disconnections´ womöglich nur live auf den Bühnen dieser Welt klingen, wenn FINAL STEP in ihrer Darbietung eventuell noch wagemutiger brillieren.

(Michael Haifl) – https://www.facebook.com/finalstepswitzerland


FOR THE SIN – The Human Beast
2021 (M & O Music) – Stil: Beatdown

Heute schon am Benzin geschnüffelt? Brutale 25 Minuten und gewaltbereite sowie hasserfüllte zehn Titel bieten schrotigen Beatdown.

FOR THE SIN stammen aus Marseille und wissen, woran man morgens schnüffeln muss, um mit solchem Hardcore um die dunkle Ecke zu kommen. Die Polizeisirenen hören wir schon von weitem, doch wir haben ja noch 25 Minuten Zeit, mit FOR THE SIN und ihrer nächsten EP abzuhauen.

´The Human Beast´ ist heavy as fuck. Einer schreit Core-gemäß, ein anderer schreit bald im Grind. Die Musik ist massiv und schwer, beinahe schwarz. Zum Kirschenpflücke sind FOR THE SIN ganz bestimmt nicht aufgetaucht.

(Rob „Bert“ Hall) – https://www.facebook.com/forthesinofficial –  https://forthesinofficial.bandcamp.com/album/the-human-beast


HELLCRASH – Krvcifix Invertör
2021 (Dying Victims Productions) – Stil: Black-/Death-/Speed Metal

Unveröffentlichte VENOM Songs? Wenn auf dem Cover nichts stehen würde, könnte man fast annehmen, dem sei so. Das italienische Trio sorgt für einen Zeitsprung in die frühen Achtziger und rumpelt äußerst authentisch im VENOM-Stil durch die Neuzeit. Originell ist anders. Gut geklaut ist manchmal besser als stümperhaft selbstgemachtes. Aber hier verschwimmen die Grenzen zwischen Gut und Böse.

HELLCRASH sind unoriginell, räudig, äußerst simpel und das Songwriting schlicht eindimensional. Das waren früher auch mal VENOM, aber damals war das originell und die Briten hatten dabei auch den einen oder anderen „Hit“ kreiert. Interessant ist allerdings der Umstand, dass nur ein Song unter der Vier-Minuten-Marke bleibt. Selbst vor „Longtracks“ schrecken die Italiener nicht zurück. Das albumschließende ´Mephistopheles´ schafft es auf über sieben Minuten! Die Soli sind zwar eindeutig besser als bei VENOM; aber das ändert nichts an der grundsätzlichen Ideenlosigkeit. Wer es gerne gehackt und im Geschmack schal mag, der darf hier zugreifen. Eventuell ködert man sogar den einen oder anderen SLAYER-Fan. Hat man doch auf dem Cover SLAYERs Teufel vom ´Show No Mercy´ Album „mitverarbeitet“!

(6,5 Punkte – Jürgen Tschamler) – https://www.facebook.com/Hellcrashmetal


KANONENFIEBER – Menschenmühle & LEIÞA – Sisyphus
2021 (Noisebringer Records)
Stil: WWI-Black/Death vs. melodisch-progressiver Black Metal

Bevor sie völlig untergehen in der Veröffentlichungsflut, möchte ich euch zwei stilistisch unterschiedliche Debüts aus demselben Hause ans Herz legen, die beide qualitativ absolut herausragen. Beides sind Werke von Noise, einem anonymen süddeutschen Musiker, der mit

KANONENFIEBER – Menschenmühle ein Black/Death-Anti-Kriegs-Album vorgelegt hat, das in der Szene aus gutem Grund bereits viel Anklang gefunden hat. Ein Konzeptalbum über und gegen den Ersten Weltkrieg, das sich nicht scheut, sich so eingehend wie vorbehaltlos mit dessen Schrecken und vor allem der Verzweiflung der Soldaten auf dem Schlachtfeld, den Blick dabei fokussiert aufs sinnlose gegenseitige Abschlachten, auseinanderzusetzen, Songtitel wie ´Grabenlieder´, ´Unterstandsangst´ oder ´Verscharrt Und Ungerühmt´ sprechen dabei, wie auch ihre eindrücklichen Lyrics, die aus historischen Dokumenten wie Feldpost stammen, für sich selbst. Das ist harter, verstörender Stoff, dem man anmerkt, wie wichtig Noise die Thematik ist und wie tief er dafür in die historischen Fakten eingetaucht ist; besonders bedrückend dabei: die Samples zeitgenössischer Reden, die die reale Situation verdrehen und schönreden. Musikalisch werden die Schrecken des Krieges mit keifenden deutschen Vocals, bollernden, doch stets melodischen Highspeedattacken im Wechsel mit bedrückend-nachdenklichen langsamen Passagen dargestellt, und sogar die Geräusche des Krieges, die fliegenden Geschosse werden nachgeahmt, eine Erfahrung, die beinahe körperlich wirkt, und für die man sich ausreichend Zeit nehmen sollte.

Musikalisch und kompositorisch noch abwechslungsreicher, jedoch absolut hoffnungslos diesmal im Bezug auf das individuelle Leben bewegt sich LEIÞA – Sisyphus. So wie der mythische Protagonist sich tagtäglich abmüht, ohne jemals sein Ziel zu erreichen, dreht sich die Thematik um „Zweifel und Selbsthass“ angesichts einer „wertlosen Existenz“. Was hier musikalisch geboten wird, ist jedoch alles andere als wertlos, sondern extrem beeindruckend, mitreißend und nachhaltig im Sinne, dass die Riffs und Songs sich sofort im Ohr festkrallen. Man könnte schleppenden DSBM erwarten, LEIÞA bietet jedoch spritzigen und sehr originellen melodischen Blackmetal mit Goth- und sogar Jazzanklängen, der nochmal deutlich progressiver angelegt ist als KANONENFIEBER und ständig mit diversen Twists und Turns glänzt. Man merkt, hier fühlt sich Noise absolut zuhause und lebt seine Ideen vor allem an der Gitarre aus. Die Lyrics sind zwar harsch betont, aber meist gut verständlich und nah am Sprechgesang, was die verzweifelte Stimmung nochmals verstärkt. Für dieses Projekt hat sich Noise übrigens einen Schlagzeuger dazugenommen.

Beide Debüts stehen als deutsche Entdeckungen des Jahres weit vorne und haben es mehr als verdient, den Schritt weg vom Geheimtipp zu schaffen. Ihr bekommt sie bei www.noisebringer.de, dem eigenen Label von Noise.

(Top-Empfehlungen! U. Violet) – https://noisebringer-records.bandcamp.com/ – https://www.facebook.com/Kanonenfieber


LÜT – Pandion
2017/2021 (Crestwood Records) – Stil: Punk-Rock

2017 bereits in Norwegen veröffentlicht, erscheint das Debüt von LÜT – norwegisch TOOL rückwärts gesprochen – in diesen Tagen erstmals weltweit.

LÜT sind mit Punk und Hardcore aufgewachsen, lieben den Gesang von REFUSED und HAVE HEART und kombinieren diese Energie mit der des Classic Rock, Indie und Pop, so dass sie gar Lob von Lars Ulrich erhielten. TOOL mochten sie übrigens schon immer, ohne zu einer Sekunde in deren Sphären vorzustoßen.

Vor allem singen LÜT auf Norwegisch und können so außerhalb ihrer Heimat den echten Underground mitreißen. Dass sie im Anschluss, und somit vor dem zweiten Werk ´Mersmak´, Besetzungswechsel zu verkraften hatten, sollte den Hörgenuss des Debüts nicht schmälern.

(Rob „Bert“ Hell“) – https://www.facebook.com/bandlut/


MASS HYPNOSIA – Attempt To Assassinate
2010/2021 (Ragnarök Records) – Stil: Thrash Metal

Die philippinischen MASS HYPNOSIA konnten sich in unseren Breiten mit ihren letzten beiden Alben, ´Vicious´ und ´Toxiferous Cyanide´ einen ordentlichen Ruf erspielen. Ihr kompromissloser Old School Thrash Metal, überwiegend beeinflusst von frühen KREATOR, RIGOR MORTIS und auch ganz frühen SODOM,  ist schonungsloses Geballer. „Ragnarök Records“ hat sich nun entschlossen, das inzwischen rare Debüt ´Attempt To Assassinate´ neu aufzulegen. Das Album wurde remastered und mit einem neuen Artwork versehen. Es zeigt rückblickend ziemlich gut. wohin sich die Band inzwischen von ihren Anfängen entwickelt hat.

Die acht Songs sind zwar roh und wild, haben aber noch nicht die tödliche Präzision der Nachfolger. Was nicht verwerflich ist, weil,  jeder fängt mal kleiner an. Aber generell komplettiert dieses Album die vorhandene Discografie in der Sammlung. Wie alle Alben aus dem Hause des Labels, ist auch dieser Release liebevoll aufgemacht und jeden Cent wert. Für 12 Euro plus 1,20 Euro Porto zu bestellen bei www.ragnaroek-records.com Warum man aber zwei Songs weniger, u.a. das DEATH Cover ´Denial Of Life´, auf den Re-Release gepackt hat, wirft Fragen auf.

(7 Punkte – Jürgen Tschamler) – https://www.facebook.com/MasshypnosiaThrashmetalhttp://www.ragnaroek-records.com


MASTIFF – Leave Me The Ashes Of The Earth
2021 (eOne) – Stil: Blackened Sludge

Bei dem Quintett aus Yorkshire trifft man in der Dunkelheit auf schwarzen Schlamm aus dem jemand andauernd „Same old shit“ schreit. Dabei spielen MASTIFF keinesfalls den üblichen Scheiß.

Auf ihrem dritten Scheibchen gibt es von MASTIFF erwartungsgemäß Sludge, Hardcore, Black Metal und Grindcore zu hören. Eine Mischung aus THIS IS HELL und NAPALM DEATH sowie CROWBAR ist keinesfalls so abwegig.

Seit acht Jahren aktiv, benötigt ´Leave Me The Ashes Of The Earth´ – nach ´Wrank´ (2016) und ´Plague´ (2019) – diesmal nur gute 30 Minuten, um den Schlamm in heftige Wurfgeschosse umzuwandeln. Die daraus entstehende Bedrohung ist durchweg spürbar, bei groovigen oder Mid-tempo, bei schnellen und explodierenden Songs.

(Rob „Bert“ Hall) – https://www.facebook.com/mastiffhchc


MYSTERIZER – The Holy War 1095
2021 (Rockshots Records) – Stil: Heavy Metal

Finnlands MYSTERIZER können bisher auf eine EP, ´Tales From The Mystery Days´ (2018) sowie einen Longplayer namens ´Invisvible Enemy´ (2019), zurückblicken. Schon damals galt es, Melodie und Power zu vereinen. So auch auf dem Nachfolger ´The Holy War 1095´. Stilistisch ist das Euro-Heavy Metal mit Ausreißern in Richtung Power Metal. Stark durchtränkt mit tausendmal gehörten Melodielinien, neoklassischen Gitarren und Soli sowie einem dazu passenden, auch wieder typischen Gesang. Überraschungen bleiben aus. Man liefert was das Metier hergibt.

Versuche auszubrechen, finden sich keine. So werden hier Fans von TWLIGHT FORCE, HELLOWEEN, DRAGONFORCE, THUNDERSTONE und WARRIOR PATH und alles, was in deren Nähe ist, angesprochen. Die Produktion ist etwas dumpf ausgefallen, was sich gerade in Sachen Gitarren als etwas nachteilig herausstellt. Mir persönlich klingt das zu vorhersehbar, zu ausgelutscht. Allerdings ist gerade dieser Stil bei doch vielen die Essenz dessen, was man als melodischen Power Metal betitelt. ´ The Holy War 1095` kann man als Interessierter anchecken, muss man aber nicht, da schlicht zu unspektakulär.

(6 Punkte – Jürgen Tschamler) – https://www.facebook.com/MysterizerFinnishmetalband


SUPER FLORENCE JAM – s/t
2009/2021 (Bird’s Robe Records) – Stil: Alternative/Prog Rock

15 Jahre nachdem sie in der Szene Australiens auftauchten und 12 Jahre nach ihrer selbstbetitelten Debüt-EP können sich SUPER FLORENCE JAM auf einen weltweiten Release dieser EP freuen.

Ihr rauer und progressiver Sound wurde im Studio von Produzent Claytob Segelov in ein zwingendes und bombastisches Korsett geschnürt. Ruckzuck wurden 2009 in Australien 2.000 Kopien verkauft, doch in Europa blieben sie unbekannt.

Dies soll sich nun ändern, mit dem Abverkauf der restlichen Bestände, die sogar noch ihren MySpace-Auftritt als Kontakt enthalten. Die Musik selbst ist überaus interessant. Auf der ersten EP gibt es Alternative Rock, Garagen Rock, Blues Rock und Psychedelic Rock, Progressive Rock und Experimentellen Rock, Punk und Funk in eingängiger Ausprägung zu hören.

Die Musik fand später ihre Fortsetzung auf ´We Always Knew It Would Come To This´. Seit einer einmaligen Reunion-Show im Jahr 2014 sind SUPER FLORENCE JAM allerdings ziemlich inaktiv.

(Michael Haifl) – https://www.facebook.com/superflorencejam/https://superflorencejam.bandcamp.com/album/super-florence-jam-ep


THE SUN OR THE MOON – Cosmic
2021 (Tonzonen Records) – Stil: Psych/Space/Kraut

THE SUN OR THE MOON sind 2019 zusammengekommen, um Euch zu fesseln, mit ihrer Musik, mit ihren Inspirationen aus Kraut und Psychedelic Rock, die sich mit repetitiven Beats in die Weiten zwischen Space and Time begeben.

Das Quartett aus dem Rhein-Main-Gebiet – Frank Incense (Gesang, Bass, Baritone Gitarre, E-Sitar, Modular Synthesizer), George Nowak (Gitarre, Theremin, Flöte), Susanne Baum (Piano, Keyboards) und Niklas Ciriacy (Drums, Percussions) – liebt die Experimente und Kreativität, und denkt dabei an CAN, KRAFTWERK, frühe PINK FLOYD und RADIOHEAD.

Sie nennen ihre Musik „Psychedelic Space Lounge Music“. Ich nenne ihre sechs Tracks großartig.

(Michael Haifl) – https://www.facebook.com/thesunorthemoonband


SUNCRAFT – Flat Earth Rider
2021 (All Good Clean Records / Soulfood) – Stil: Space / Psychedelic / Heavy Rock

Flat Earth Society aufgepasst, hier kommt die Musik des Jahres: aus Oslo, Norwegen, stehen plötzlich SUNCRAFT vor Eurer Tür. Sie sind Classic Rock, sie sind Space, sie sind manchmal auch Doom, aber sie sind auf jeden Fall immer jugendlich elanvoll und spielfreudig.

Eine gute halbe Stunde lang thematisieren SUNCRAFT Entfremdung und Einsamkeit, Gier und Unvernunft, Spiritualität und Wissenschaft. Die Norweger haben schlichtweg den Groove im Blut, und so lachen sie sich daher ebenso mit dem Stoner Rock und Psychedelic Rock eins ins Fäustchen. Nach fünf, keinesfalls kurzen Songs, ist das Opus ´Bridges To Nowhere´ mit elf Minuten ein echter Longtrack geworden.

´Flat Earth Rider´ macht Appetit auf mehr. Es hilft tatsächlich, öfters mal wieder einen Blick über den Rand zu werfen.

(7,5 Punkte – Michael Haifl) – https://www.facebook.com/Suncraftband/


SWEEPING DEATH – Tristesse (EP)
2021 (Eigenproduktion) – Stil: Progressive Power Metal

Dass dieses bayrische Quintett große Ziele hat, merkt man schnell: aufwendige Präsentation, anspruchsvolles philosophisches Konzept und ausgefeilte Songs voller Wendungen, Details und Gimmicks, die zwischen progressivem Powermetal und symphonisch/neoklassischem Melodeath hin und her pendeln; sogar modernen Black Metal will man nach eigener Aussage inkorporieren. Auch in die Produktion hat man viel investiert und Ola Ersfjord beauftragt, der u.a. für TRIBULATIONs erste Platten verantwortlich zeichnete. Dass gerade Jonathan Hulténs Handschrift ein deutlicher Einfluss ist, lässt sich bei den Songaufbauten und speziell den Gitarren nicht verleugnen, dem gegenüber steht jedoch in extremem Kontrast eine kraftvolle-epische Stimme, der trotz technisch perfekt ausgeführter Growls die angestrebte nihilistische Düsternis komplett abgeht. Dass die Band Potential hat, ist nicht zu bestreiten, sie versucht jedoch gerade noch ein „best of both worlds“ zwischen klassischem Metal und der dunklen Seite, in der die Musiker ganz offenhörbar nicht heimisch sind. Crossover gelingt eben nur dann, wenn er eigentlich widerstrebende Ideen und Konzepte so kreativ miteinander vereint, dass daraus etwas ungehört Neues entsteht; und oft ist die Konzentration auf weniger einfach mehr. Für die nächste Scheibe wäre eine Entscheidung auf eine Stilrichtung daher hilfreich.

(ohne Wertung – U.Violet) – https://sweepingdeath.de , https://facebook.com/sweepingdeath


TROLDHAUGEN – Obzkure Anekdotez For Maniakal Massez
2014/2021 (Bird’s Robe Records) – Stil: Fusion

Zum siebenjährigen Ehrentag erhalten TROLDHAUGEN ihr Werk ´Obzkure Anekdotez For Maniakal Massez´ erstmals weltweit frisch aufgelegt. Wer also diese Mischung aus Heavy Metal (also auch Speed und Black), Kabarett und Funk, Folk und Pop, Fusion und Jazz – mit einem Schuss Wahnsinn á la FRANK ZAPPA – noch nicht kennt, muss sich diesen 36-minütigen Spaß gönnen.

Die Australier öffnen ein Füllhorn an Kreativität und werden mit dieser atemraubenden, aber auch mehr als augenzwinkernden Musik wohl nur Frohnaturen mit Interesse für die Freak-Show anlocken können, die zum Aufstehen bereits DIABLO SWING ORCHESTRA oder SCHIZOID LLOYD hören.

(Michael Haifl) – https://www.facebook.com/Troldhaugen/ – https://troldhaugen.bandcamp.com/album/obzkure-anekdotez-for-maniakal-massez


V/A – Meet Me At The Hop
2021 (Bear Family Records) – Stil: Rock’n’Roll

Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett – und ohne einen Beitrag der „Bear Family“ können wir den diesmonatigen Kompass nicht beschließen. ´Meet Me At The Hop´ ist daher der Soundtrack, der Euch noch im Kassettendeck des Autos fehlt, wenn ihr gedanklich wie in „American Graffiti“, „American Diner“ oder „Lemon Popsicle“ durch die City cruist.

Dann leben wir wieder anno 1954 oder 1964 – und 33 Songs aus diesem Zeitraum schenken Euch die musikalische Untermalung – für das Schlendern durch die Stadt, im Auto natürlich. Hier laufen genau die Songs, die dereinst auch im Auto-Radio gehört wurden, doch von diesem Medium könnt ihr ja heutzutage nicht viel erwarten.

Eure Sammlung wird mit ´Meet Me At The Hop´ auf jeden Fall um Teen-Rock und Doo-Wop bereichert. Ricky Nelson, Fabian, Troy Shondell und Darrell McCall sind ebenso dabei wie Ed Townsend, Ronnie Love und Larry Tamblyn. Popcorn frisch gemacht. Und auf zum Cruisen.

(Michael Haifl)

 

 

 

Bis zum nächsten Klick.
Euer
Michael und das gesamte Streetclip-Team

 


Do you like it? Bombardiert uns mit Eurem Feedback und Euren Reaktionen (via Facebook oder E-Mail) !