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TILLISON REINGOLD TIRANTI – Allium: Una Storia

~ 2021 (Reingold Records/Just For Kicks Music) – Stil: Italo Prog ~


Es war einmal eine Musikgruppe namens ALLIUM, die ein kleiner Junge während seines Urlaubs im Feriencamp in Italien spielen sah. Seit diesem ersten Live-Erlebnis in den Siebzigerjahren sind viel Jahrzehnte vergangen, viele Musiker stiegen auf und gingen von der Bühne, doch von ALLIUM ist wohl niemals eine Schallplatte erschienen.

Der kleine Junge von damals hieß Andy Tillison und agierte bereits auf unzähligen Alben, etwa mit THE TANGENT und PARALLEL OR 90 DEGREES. Dieses Erlebnis ließ ihn jedoch sein Leben lang nicht los, schließlich war es der Grund, weshalb er sich entschied, eine Musikerkarriere einzuschlagen. Er hatte ALLIUM als 16-jähriger bei ihren Rehearsals beobachtet und wurde sogar eingeladen, selbst einmal auf die Bühne zu kommen und sich am Keyboard zu versuchen. Die älteren Jungs schenkten ihm noch ein Tape mit der Aufschrift „Allium“, das er in Ehren hielt und in jener Zeit ebenso wertvoll wie ´Godbluff´, ´Snowgoose´, ´Ladies & Gentlemen´ und ´Trick Of The Tail´ hielt. Zwei Jahre später wurde in seiner Studentenbude eingebrochen und im Kassettendeck befand sich eben dieses Tape. Er konnte es seither nie wieder hören.

In einem hellen Moment gedachte Andy Tillison, dieser Band ein kleines Denkmal zu setzen. Er wollte sich von der Musik, die er vor 40 Jahren gehört hatte, inspirieren lassen und ein Album daraus machen. Die Isolation, die Andy Tillison während des Pestjahres 2020 selber spüren musste, fühlten womöglich Mitte der Siebzigerjahre auch die Albaner der Band ALLIUM fern der Heimat im italienischen Exil. Er begann Kompositionen zu schreiben, die er mit seinen Freunden Jonas Reingold (Gitarre, Bass, THE FLOWER KINGS, Steve Hackett, KARMAKANIC) und Roberto Tiranti (Gesang, LABYRINTH, Ken Hensley) vollendete. Die Lyrik über die fortschreitende Vereinsamung schrieb Antonio De Sarno (MOONGARDEN, THE WATCH).

 

 

This is, however, a homage. Not a forgery.
Anyone with knowledge of recording techniques could tell this is not a 1976 recording.
What we wanted to do is create a flavour and an atmosphere
in which we could make the closest production to what this band would have been able to do at the time.
This album was 100 percent sonically possible in 1976.

 

TILLISON REINGOLD TIRANTI waren geboren. Sie nutzten alte Instrumente, insbesondere Bassgitarre, Hammond, 6-saitige Gitarren, Schlagzeug und Minimoog. Es wurden keine, Mitte der Siebzigerjahre noch nicht erhältlichen polyphonen Synthesizer verwendet, nur ein String Synthesizer, Fender Rhodes Piano, Crumar Orgel, Hammond und Mellotron. Also auch keine Autotuner, keine Timing-Korrektoren.

Das Saxofon spielte Ray Aichinger ein, Andy Tillison natürlich die Keyboards und zum ersten Mal seit 35 Jahren wieder Schlagzeug – und schlichtweg so lange, bis es zu gebrauchen war. Die von Jonas Reingold in seinem Atelier in Österreich aufgenommenen Gitarren sollten einen unscharfen Vintage-Sound erhalten. Als Bass nutzten sie einen alten halbakustischen, annähernd einem Hofner „Violin“-Bass entsprechenden Viersaiter, und obendrein viel Wah Wah, Echo, Reverb und Distortion.

Dem zu Hause in Italien aufgenommenen Gesang von Roberto Tiranti dienten Nachhallgeräte und ein Roland Space Echo zur perfekten Alterung. Sie fügten Bandrauschen hinzu, das sie wiederum mit einem Bandzisch-Entfernungssimulator nachträglich herausnahmen. Vintage as Vintage can be. Sie dachten sich sogar albanische oder italienische Pseudonyme aus. Andy Tillison wurde zu Afrim Tanush, Jonas Reingold zu Janusz Rhexpi und Roberto Tiranti wurde Roberto De Sarno.

 

And this is a personal thankyou note to a band whose day never came.

 

Das Werk ist dermaßen perfekt, dass Andy Tillison einen bis dahin befreundeten Musikkritiker drei Monate lang mit der Geschichte von ALLIUM und seiner angeblich plötzlich aufgespürten Musik täuschen konnte. Unvoreingenommen lobte der rigorose THE TANGENT-Kritiker die Musik in den höchsten Tönen und fühlte sich am Ende desillusioniert und belogen, da er gar nicht an der großen Bergung eines Musikschatzes aus den Siebzigerjahren beteiligt war, sondern nur die Entstehung von TILLISON REINGOLD TIRANTI mitverfolgt hat.

Das 17-minütge ´Mai Tornare´ ist ein klassischer Siebzigerjahre Longtrack, in dem sich die Instrumentalisten mittendrin austoben können und der ausnahmslos italienische Gesang in aller Leichtigkeit bestäubend von Blüte zu Blüte hüpft. Dagegen drängen sich im kürzeren, achtminütigen ´Ordine Nuovo´ das verspielte Klavier, Saxofon und etwas Flöte in den Vordergrund. Das finale, 14-minütige ´Nel Nome Di Dio´ gibt sich den sonnigen Sphären der Strandpromenaden hin, zeigt sich im weiteren Verlauf natürlich ebenfalls spielerisch leichtfüßig und fantasievoll, lässt aber auch die rockige Ader im Prog Rock zu Wort kommen.

Das knapp 40-minütige Album kommt im “Original Mix” und im “2021 Mix”. Der Silberling enthält somit seine drei Lieder in beiden Mix-Varianten. Der sogenannte “Original Mix” von Andy Tillison bleibt dem Vintage-Erlebnis treu, während der “2021 Mix” mit neuerer Technologie fertiggestellt wurde. Ganz gleich in welchem Mix, der Hörer erhält von TILLISON REINGOLD TIRANTI eine klanglich perfekt austarierte Retro-Scheibe, die Liebhaber von PFM, BANCO DEL MUTUO SOCCORSO, IL BALLETTO DI BRONZO oder MUSEO ROSENBACH in den Bann ziehen wird.

(8,5 Punkte)

https://www.facebook.com/TangekanicProductions/


(VÖ: 27.08.2021)