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FEAR FACTORY – Aggression Continuum

~ 2021 (Nuclear Blast Records) – Stil: Industrial/Cyber Metal ~


FEAR FACTORY waren in den brodelnden 90ern eine meiner absoluten Lieblingsbands. ´Soul Of A New Machine´ ließ 1992 aufhorchen, cyberkalter, industriell gehärteter Death Metal mit viel Atmosphäre und Groove, das war etwas völlig Neues und Eigenständiges, und passte perfekt zur Stimmung zwischen Terminator 2 und zweitem Golfkrieg. Mit ´Demanufacture´ fanden die Kalifornier drei Jahre später zu ihrem einzigartigen, so kontrastreichen wie eingängigen Stil, geprägt durch Dino Cazares‘ Stakkato-Riffing, Raymond Herreras messerscharfes Drumming, aber vor allem Burton C. Bells unverkennbaren Wechselgesang zwischen wütenden Growls und glasklar-ätherischen Passagen mit teils erstaunlichen Höhenflügen. Die Kalifornier stellten groovigen Thrash/Deathriffs eiskalte Blastausbrüche gegenüber, maschinenhafte Rhythmusarbeit wurde durch synthetische Ruhephasen konterkariert. „FF“ verankerten so das Feeling und den roten Faden ihrer Story in einer nicht allzu weit entfernten Sci-Fi-Welt, deren Hauptthema der Gegensatz zwischen Mensch und Maschine, oder deren Cyborg-Verbindung war – und bis heute geblieben ist. Einen wichtigen Anteil hatte dabei das seit dem stilprägenden ´Demanufacture´ kontinuierlich fünfte Bandmitglied, Keyboarder/Programmierer Rhys Fulber von FRONT LINE ASSEMBLY. Die Platte fing perfekt die gemischten Gefühle dieser Zeit ein, ´Replica´ lief in jeder Metaldisse rauf und runter, und für uns war FEAR FACTORY der Soundtrack speziell für die Fahrten von der RoFa nach Hause, um die Fahrer wach zu halten, aber auch die Nacht zu feiern.

Bei ´Obsolete´ war dann auch Christian Olde Wolbers mit seinem prägnantem Bassspiel dabei, und die Band in dieser Besetzung auf ihrem Zenit. Leider begannen schon damals die ständigen Auseinandersetzungen zwischen so ziemlich allen Bandmitgliedern, die FEAR FACTORYs diverse Reinkarnationen immer wieder zerbrechen ließen – die Herren sahen sich öfter im Gerichtssaal als im Proberaum, und da sich sowas stets auf die Releasequalität auswirkt, war ich spätestens nach ´Digimortal´ raus. Komischerweise stehen hier noch ein paar weitere Alben herum, das waren dann wohl Geburtstagsgeschenke für mich nicht-mehr-so-die-hard-Fan… oder habe ich die Hoffnung damals doch nicht so schnell aufgegeben? Egal, irgendwann verschwand damit auch mein heißgeliebter FF-Anhänger endgültig in der Schublade…

 

Die Autorin am 27.12.98 in der RoFa, 15jähriges Jubiläum RoFa Ludwigsburg / RockHard. Legendärer Abend… aber eigentlich gehts hier ja nur um den Anhänger…

 

…und somit habe ich wohl zumindest ein, zwei nicht unwichtige Reunion-Platten verpasst (vor ´The Industrialist´ 2012 und ´Genexus´ 2015 war Cazares nicht mehr Teil der Band), die in den letzten Jahren das Thema FEAR FACTORY wieder auf die Plattenteller brachten. Und wenn ihr euch jetzt fragt, wieso ich trotzdem schon wieder eine halbe Bandhistory verzapfe  – für mich sieht alles danach aus, dass ´Aggression Continuum´ der Schwanengesang nicht nur des 2020 ausgestiegenen Bell, sondern generell das Ende der Band sein wird. Und da FF bei Streetclip bislang überhaupt nicht vorkamen, sollen sie zumindest hiermit verewigt sein.

Ich lasse mir die paar Zeilen mehr aber auch angesichts der Qualität des zehnten Albums nicht nehmen, denn es hat mich wirklich überrascht, und zwar im positivsten Sinne. Ich muss zugeben, anfangs war mir das alles so fremd, dieser Stil mittlerweile so weit weg von allem, was heute bei mir so läuft, dass ich anfangs keine drei Songs hintereinander hören konnte – und jetzt ertappe ich mich beim Mitwippen, teils sogar Mitsummen, und bin bei den Durchläufen im mehrfachen Zehnerbereich angelangt. Und wichtig: das ist null Nostalgie dabei, diese Platte ist schlicht und einfach geil. Von Anfang an wird man den Eindruck nicht los, dass hier nochmal wirklich alles gegeben wird, das letzte Herzblut in diese Platte geflossen ist. Sämtliche Trademarks sind vorhanden, die reifen Herren steigen mit den üblichen Brechern und Singleauskopplungen ein (´Recode´ und ´Disruptor´ sind hart, aber grooven wie Sau), bauen mit roboterhaften Sample- und Spracheinlagen diese bekannte Soundtrack- oder besser Filmstimmung auf, die den Hörer gleichsam in die Geschichte hineinsaugt. Cazares hat nichts verlernt und schießt die Maschinengewehrriffs lasergleich heraus, der Bass schnalzt nicht zu hart und nicht zu elastisch, und das Schlagzeug klingt so maschinell und tiefgefroren wie eh und je. Dazu halten die Synths im Hintergrund durchgehend diese bedrohliche Spannung aufrecht, wie man sich eine maschinenkontrollierte Zukunft eben vorstellt.

Doch es gibt auch neue Elemente, beispielsweise eine quasi-orchestrale Instrumentierung, die teils schon grenzwertig cheesy klingt (´Fuel Injected Suicide Machine´), aber auch das kann man zum Abschied mal machen. Zudem sind manche Takte und Gesangslinien (´Cognitive Dissonance´) interessant schräg, ´Purity´ ist eine Zusammenfassung von dreißig Jahren Bandgeschichte, mit seinem bei sich selbst geklauten Riff und deutlichen ´Obsolete´-Touch, ´Manufactured Hope´ führt dies weiter und bringt die Industrial-Schlagseite noch weiter in den Vordergrund; ´Collapse´ dagegen fällt spannungsmäßig etwas in sich zusammen, aber sonst sind keine wirklichen Ausfälle zu verzeichnen.

Mit ´Monolith´ kommt der gewohnte langsamere Track gegen Ende der Scheibe, und auf einmal ist tatsächlich alles egal, was ich zuvor geschrieben habe, denn allein hierfür lohnt sich als FFFan der Kauf, es ist ein reiner Genuss, mit dem wohl keiner jemals mehr so gerechnet hätte. Burton C. Bells Gesangsleistung dominiert diesen Song, diese Platte wie seit über zwei Dekaden nicht mehr gehört, und thront glänzend über all dem instrumentalen Sperrfeuer. Bell singt wie mühelos und klingt dabei teils jünger, frischer, aber gleichzeitig auch noch souveräner als vor Jahrzehnten, und genau das reißt mit und ist der wahre Mehrwert dieses Albums.

Oft großer Kritikpunkt, gerade was Livedarbietungen anging, war sein Stil visionär und unnachahmlich: dieser ständige, fast schizophrene Wechsel und Gegensatz zwischen dem Cyborg-haften, erzählenden Klargesang und dem wütend-verzweifelten, emotionalen, eben „menschlichen“ Growlen war etwas völlig Neues und ebnete den experimentellen Weg bis heute für viele andere, auf ihn folgende Sänger.

Dazu reißt Dino noch ein nettes kleines Solo aus dem Ärmel, und schon sind wir auf der Zielgeraden. Das symphonische ´End Of Line´ beschließt das Ganze mit nochmal hochgedrehter Aggression, einem nachdenklichen, fast wehmütigen Abschiedspart („ End of life – end of time – end of line“), einem letzten Aufbäumen in einem großen cinematischen Fade-Out, um mit einem Rückblick und Zitat aus „Dune“ auf die Anfänge zu enden:

 

I must not fear.
Fear is the mindkiller.
When the fear is gone

Only I remain” 

 

Kritiker mögen FEAR FACTORY die eigene Replica-tion vorwerfen oder das ewige Recyceln alter Ideen, doch wer sich solch eine ganz eigene Nische erschaffen hat und sie vor allem für drei Jahrzehnte allein besetzt, der kann es sich auch erlauben, ausführliche Nabelschau zu betreiben. Zudem klingt ´Aggression Continuum´ zwar nicht so krass böse wie der Name vermuten ließe, aber dafür so rund, frisch und knackig wie gerade aus den 90ern herübergebeamt, und allein das hätte nach all den internen Streitigkeiten und Personalwechseln kein Fan mehr zu hoffen gewagt. Für mich ist dieses Kapitel damit doch noch im Guten abgeschlossen, und dafür gibts

(8 zufriedene Punkte)

 

 

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