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EPOCH OF CHIRALITY – Nucleosynthesis

~ 2021 (Independent) – Stil: Instrumental Progressive Sci-Fi-Metal ~


„Epoch of Chirality brings an epic amalgamation of metal with soundscapes straight out of an 80s Sci-fi movie soundtrack.“

Da konnte ich natürlich nicht widerstehen… Und in der Tat finden sich in der Musik des im Südwesten Englands lebenden Richard How deutliche Parallelen zu den Soundtracks von 80er Jahre Sci-Fi Movies wie „Tron“ (Wendy Carlos ehemals Walter Carlos), „Blade Runner“ (Vangelis) und „Escape From New York“ (John Carpenter), aber auch Zitate aus der Musik von JEAN MICHELLE JARRE, MIKE OLDFIELD, TANGERINE DREAM und YES plus ein wenig HAWKWIND finden sich über das gesamte Album verteilt wieder. Ich muss gestehen, dass obwohl ich nicht zur typischen Zielgruppe dieser instrumentalen von Synthesizerklängen dominierten Musik gehöre, ich dennoch sehr gut von ´Nucleosynthesis´ unterhalten werde. Wahrscheinlich liegt das auch daran, dass ich die oben genannten Filme bereits bei ihrer Erstausstrahlung genossen habe und seitdem liebe, aber auch mit der Musik der genannten Bands groß geworden bin und ich bei diesen Klängen, in denen auch immer ein wenig Amiga- und Atari-Videospielromantik mitschwingt, richtig nostalgisch werde. Vergleichbare Gefühle wurden in mir das letzte Mal beim Lesen des Buches „Ready Player One“ geweckt.

Neben all dieser Nostalgie ist aber auch noch ausreichend Platz für eine gehörige Portion moderner metallischer Klänge und die „epische Verschmelzung“ von aggressiven harten Riffs mit den bereits zitierten mittlerweile etwas altbacken klingenden Melodien erschafft in der Tat etwas Spannendes und Neues.

Richard How, der das Projekt EPOCH OF CHIRALITY bereits vor über zwanzig Jahren gestartet hat, kombiniert den Klang echter, allesamt von ihm persönlich gespielter Instrumente, mit den synthetisierten Tönen einer schier unüberschaubaren Zahl an Instrumenten, wie z.B. Cello, Klavier und Trompete. In den geheimnisvollen Tiefen elektronischer Bauteile erschafft er elektrische Impulse, die über glänzende Leiterbahnen hinweg (seit Tron wissen wir ja ganz genau wie es da drinnen aussieht) transportiert werden, um zunächst in Schallwellen umgewandelt und dann mit Hilfe der Haarzellen in unserem Innenohr wieder in elektrische Impulse konvertiert zu werden. All das nur zu dem Zweck, dass die von Maestro Richard How erschaffenen Klanggebilde in unserem Gehirn die Wirkung entfalten, die er beim Komponieren beabsichtigt hatte.

Was für ein ineffizienter Umweg. Warum koppelt man die Information nicht gleich in den auditiven Cortex ein? OK, ich bin schon wieder in die Sci-Fi abgerutscht. Tschuldigung…

Aber das ist ja auch kein Wunder, umschreibt der von Richard How selbst erfundene Begriff „Progressive Sci-Fi-Metal“ meiner Ansicht nach sehr gut die Musik, die einem auf ´Nucleosynthesis´ erwartet.

Die bei ´Dawn Of Chirality´ in einen Gitarren- und Schlagzeugsound eingebetteten elektronischen Klänge wecken genau die bereits oben angesprochenen Erinnerungen an Filmklassiker aus den 80ern und das Stück vermittelt eine positive Aufbruchstimmung, als begänne mit dem Morgengrauen tatsächlich eine neue Epoche. Möglicherweise möchte Richard mit dem Verweis auf die Chiralität die Geburtsstunde einer neuen Physik beschreiben, die in Form der Quantenmechanik das Tor zu einem komplett neuen Verständnis des Universums aufstieß und damit einer zu diesem Zeitpunkt als abschließend formuliert geltenden naturwissenschaftlichen Disziplin neues Leben einhauchte. Aber vielleicht muss die Interpretation noch ein Stück weiter gehen, denn innerhalb der relativistischen Quantenmechanik und der Quantenfeldtheorie spielt das Konzept der Chiralität eine entscheidende Bedeutung bei den Prozessen der schwachen Wechselwirkung, womit wir auch schon beim Titel dieses Albums angelangt wären. Bei der Nukleosynthese entstehen im Sterneninneren die leichten Elemente und der besondere Fall der primordialen Nukleosynthese beschreibt die Entstehung des Universums, bei der bereits wenige Minuten nach dem Urknall die gesamte Materie erschaffen wurde, die es enthält. Ohne schwache Wechselwirkung und dem Konzept der Chiralität würde es also sprichwörtlich nichts geben. Aber wer weiß schon genau, was Robert sich dabei gedacht hat. Vielleicht erzählt er uns das ja mal bei Gelegenheit.

Machen wir jetzt aber erstmal mit der Musik weiter.

Der knapp dreieinhalb Minuten lange Song ´Undercity Rising´ erinnert mit seinen Industrial-Beats zum einen stark an den 70er Sound von KRAFTWERK, auch wenn zusätzlich noch äußerst aggressive und dunkle Gitarrenriffs zu vernehmen sind, die mich wiederum an die Klänge von DAF denken lassen. Der Nachfolger ´Caravan To Midnight Mountain´ hingegen wird von arabischen Rhythmen und Melodien durchzogen. Man fühlt sich sogleich in eine heiße und trockene Wüstenlandschaft versetzt, wo in den Gassen der Oasenstädte die Düfte exotischer Gewürze allgegenwärtig sind. Gitarren, Flöten, Percussion…ach, einfach viel zu viele Instrumente, um sie alle einzeln aufzuzählen, weben ein feines melodischen Geflecht und üben eine ähnliche Wirkung auf mich aus, wie das letztmalig die Musik von VILLAGERS OF IOANNINA CITY mit ihrer vielfältigen Instrumentierung aus unter anderem Klarinette, Dudelsack und Kaval (eine Art osteuropäischer Flöte) hervorgerufen hat.

Das mit den eisigen borealen Winden sowohl beginnende als auch endende ´Boreal´ erinnert hingegen mit seinen locker auf den schnellen und harten Beats gelegten Melodien an die Kompositionen von HEART OF CYGNUS und mich dabei vor allem an ihr Werk ´Utopia´. Diese Songstrukturen werden im Großen und Ganzen auch beim nachfolgenden ´Pyramid Cybergod´ beibehalten, bei welchem mich das Hauptthema sogleich an die grandiosen Filmkompositionen von John Carpenter denken lässt.

Das Stück ´Maiden Voyage´ weckt mit dem darin verwendeten Schlagzeugrhythmus und den eingesetzten Klängen eines Vibraphons (oder Xylophons, oder Marimbaphons…ich kenne mich da nicht so aus) hingegen Erinnerungen an YES, KING CRIMSON und FRANK ZAPPA. Dazu Klänge von einem Spinett, einem Klavier und aus einer Trompete, die Bestandteil einer Straßenband auf einer spanischen Fiesta sein könnte! Ein bunter Blumenstrauß an Klängen und eine Achterbahnfahrt durch den progressiven Rock der 70er! Und zum Abschluss metallische Gitarrenriffs im Duett mit dem Vibraphon! Absolut abgefahren!

The ´Abyssal Fleet´ hingegen beginnt bombastisch spannungsgeladen und bietet insgesamt den perfekten Soundtrack für einen geheimnisvollen Fantasy- oder Sci-Fi-Film. Ich habe förmlich ein (Raum)Schiff vor Augen, welches lautlos durch geheimnisvolle und unbekannte Gewässer (oder Raumquadranten) gleitet.

Auch das mit dem Spiel von Celli beginnende ´Labyrinth´ verwendet diese geheimnisvollen und spannungsgeladenen Klangmustern, die ab der Mitte des Stückes effektvoll durch Klavier, Gitarre, Keyboards, Streichern und…und…und durchbrochen werden. Verdammt komplexe Arrangements, was auch durch die nachfolgende Aussage von Richard Bestätigung findet: „This song really was a beast to record, with something like 60 audio tracks, tonnes of orchestral parts, synth parts, crazy drums…”

Der Song ´Paradox´ verfügt hingegen über einen 70er Jahre Disco-Stampfrhythmus, der einerseits von harten Gitarrenriffs und andererseits von melodiegetriebenen Gitarren und Keyboardharmonien begleitet wird. Mir ist das Stück insgesamt zu künstlich (ja, ich weiß…die Aussage ist etwas paradox 😉 ) und meiner Ansicht nach der schwächste Song auf ´Nucleosynthesis´, aber Geschmäcker…ihr wisst.

Jetzt also mein Urteil darüber, ob sich meine Neugier gelohnt hat:  Natürlich ist ´Nucleosynthesis´ nicht für den täglichen Konsum geeignet…zumindest nicht für mich. Aber ich höre ja auch nicht unentwegt Thrash, oder Prog, oder USPM. Aber als ich die Scheibe das erste Mal bei einem mitternächtlichen Spaziergang durch die dunklen und menschenleeren Straßen meines Wohnortes gehört habe, da fühlte ich mich gut unterhalten und das Gefühl hat auch nach mehrmaligem Hören nicht nachgelassen. Vielmehr konnte ich von Mal zu Mal sogar immer neue Facetten in den neun rund 50 Minuten umfassenden Stücken von ´Nucleosynthesis´ entdecken, was mich zu nachfolgender Punktevergabe veranlasst.

(8,5 Punkte)

 

 

https://www.facebook.com/EpochOfChirality

Das Album kann hier sowohl als digitaler Download, als auch in Form einer CD erworben werden.


(VÖ: 23.07.2021)