PlattenkritikenPressfrisch

SETH – La Morsure Du Christ

~ 2021 (Season of Mist) – Stil: Métal Noir ~


Frankreich hat seine umgedrehten Kreuze auf der Weltherrschaftskarte des Black Metal erst relativ spät eingeritzt, die Szene hat sich lange viel mehr mit sich selbst beschäftigt als zu expandieren. Heute weniger für seine orthodoxen, sondern vor allem für seine exzentrischen und sehr technischen Avant-Garde-Bands bekannt, ist L’Hexagone daher immer noch ein Quell an Geheimtipps und unentdeckten schwarzen Trüffeln.

Die 1995 gegründeten SETH aus Bordeaux stehen irgendwie dazwischen, Spezialisten kennen sie als einen frühen Grundpfeiler des typisch französischen Black Metal, ihr vielschichtiges Debüt ´Les Blessures de l’Âme´, schon damals bei „Season of Mist“, erhielt allein schon durch die erstmalige Verwendung muttersprachlicher Lyrics Kultstatus; in der Folge konnten sie jedoch ihren eigenen Weg nicht so recht finden, zwischen (nicht nur musikalischer) Vielsprachigkeit, Stilexperimenten und basslastig griechisch/industrieller vs. gitarrenjubelnd skandinavischer Ausrichtung, und so verschwanden diese Pioniere, ihrer Zeit zugleich voraus wie in den eigenen Ansprüchen verloren, nach vier Longplayern erst einmal wieder in der Versenkung.

Nach ihrer sechssechsechsjährigen Kunstpause gelang den neuen SETH (von den Gründungsmitgliedern sind nur noch Drummer Alsvid und Songwriter, Gitarrist und Ex-Keyboarder Heimoth dabei) 2013 mit ´The Howling Spirit´ ein überraschendes Comeback mit sehr atmosphärebetontem, progressivem und vor allem zeitgemäß gegen-den-Strich-gebürstetem Material, ganz im unterkühlten Fahrwasser der aktuellen französischen BM-Extravaganza, die in der Zwischenzeit ihre großen Werke erschaffen hatte. Düster, nicht einfach zu goutieren, mit diversen Gästen, von denen vor allem HEXVESSELs Kvohst, mit Heimoth zwischenzeitlich bei DECREPIT SPECTRE aktiv, mit Klargesang Akzente setzte. Diese Reinkarnation setzte auf Neuausrichtung durch stilistischen Fokus bei gleichzeitig progressivem, komplexem Songwriting, starker Rhythmusbetonung, fast nur englischen Lyrics und einer aktuellen, für meinen Geschmack jedoch zu kalten Produktion, mit der viel vom alten Charme verloren ging. Nichtsdestotrotz ist ´The Howling Spirit´ ohne Abstriche einer der anfangs beschworenen Métal Noir-Tipps, der Lust auf mehr machte.

 

 

Umso inbrünstiger wurde der Nachfolger erwartet, zuerst gab es jedoch ein Livealbum des Erstlings (gemeinsam mit einem Video erschienen bei „Les Acteurs de l’Ombre“), was schon mal kein ganz schlechtes Zeichen war. Trotzdem sind nochmal acht Jahre Abstand eine lange Zeit, in der man den neuen Drive leicht wieder verlieren kann – doch keine Sorge, nicht bei SETH! Ich nehme mal vorweg: das Warten hat sich mehr als gelohnt. Die Aquitanier warten wieder mit einer großen Überraschung auf, nämlich der tatsächlichen Rückwendung zu den eigenen Anfängen, inklusive Transfer auf eine neue, modernere Ebene. Will sagen: es wird geballert, aber dosierter, gereifter, auch nochmal eine Schippe anspruchsvoller; große Melodiebögen sind weiterhin wichtiger als Geschwindigkeit, es ist naturgemäß düster, aber mit glänzender, selbstbewusster Strahlkraft, die ganze Platte atmet wieder diese kreative Positivität und stilistische Unbegrenztheit, die bereits ´Les Blessures de l’Âme´ zu internationalem Ruhm verhalf. Und deutlich macht, wie visionär dieses Album 1998 war – ich kann nur jedem raten, es anlässlich dieses Zirkelschlusses wieder herauszukramen! Das hier ist durch seine Vielseitigkeit sowohl Material für okkulte Untergrund-Trüffelschweine, die CULT OF FIRE oder MEPHORASH und Konsorten feiern, aber auch alte Freunde der meist als Kommerz gedissten DIMMU BORGIR oder CRADLE OF FILTH sollten hier mal ein paar Ohren riskieren, beide Fanbasen werden es nicht bereuen.

◡—◡—◡— ‖ ◡—◡—◡—(◡)

 

Dass gerade der Schlagzeuger und der Ex-Keyboarder, die den typischen multidimensionalen und monumentalen SETH-Sound bereits in den Anfangstagen formten, heute wieder die Zügel in der Hand haben, hört man jede Sekunde; diese Komplexität, die jedoch stets in den Hintergrund der Songs zugunsten deren Wirkung zurücktritt, fordert den Hörer, dieser Platte Zeit zum Wachsen zu geben, um all die Details vielleicht irgendwann erfassen zu können.

Als neue Elemente muss man natürlich vor allem Sänger Saint Vincent (BLACKLODGE) erwähnen, der mit seiner an BEHEMOTHs Nergal erinnernden Intensität bis hin zu Arioch/Mortuus’schem Wahnsinn eine Bereicherung nicht nur auf der theatralischen Seite ist, aber auch die verschwisterten Gitarren, die in höllestrebend-treibenden Läufen der reichlich vorhandenen Epik Tribut zollen. Alles wurde modern dynamisch, doch noch schwarz genug produziert, so dass die mächtigen Drums genauso gut klingen wie die nicht weniger wichtigen Keys und vor allem die brillierenden Gitarren.

´La Morsure Du Christ´ ist eine sehr französische Platte, was Texte, Thematik und vor allem Charakter angeht: Eleganz trifft Leidenschaft, Stolz und sehr viel Selbstbewusstsein. Man könnte hier von einem absoluten Gegenentwurf zu Shoegaze oder gar DSBM sprechen, wird zwar vordergründig der Tod („À la mort, l’Oeuvre au Noir, feux du soir, l’Athanor !“), aber wenn wir ehrlich sind, vor allem das Leben gefeiert – und wann kann man das im Black Metal schon sagen?

 

Ô Prince des Enfers, apparaît dans ta Gloire !
Ténébreux Souverain , nimbé de métal noir.
Ô puissant Lucifer, apparaît dans ta Gloire !
Illumine les tiens , nimbé de métal noir.

 

Mit der Rückbesinnung auf die Muttersprache einher ging auch der Einbezug von Texten Baudelaires, das Verfassen der Hymnen an den Tod fand zudem komplett im barocken Versmaß des französischen Alexandriners statt. Am Tag der Veröffentlichung von ´La Morsure Du Christ´ jährte sich der Brand von Notre-Dame de Paris zum zweiten Mal, und liefert zusammen mit dem bildgewaltigen Cover von Leoncio Harmr ein hübsches Themenpaket rund um gefallene Engel, Blutexerzitien und Vampire (´Sacrifice de Sang´, ´Hymne au Vampire (Acte III)´), das bevorstehende Ende der christlichen Religion (´Le Triomphe de Lucifer´), Fulcanellis Vorhersagen, und auch, wie der Franzose meines Vertrauens andeutet, eventuell warm sanierte Kathedralen (´Ex-Cathédrale´). Er wiess mich zudem darauf hin, dass der Titelsong mit seiner Wiederauferstehungs-Vampirthematik ein Wortspiel sein könnte: statt „morsure“, dem Biss Christi, feiern SETH möglicherweise „la mort sure du Christ“, seinen sicheren Tod und damit das endgültige Ende des Christentums. Wer kann es wissen? ´La Morsure Du Christ´ eignet sich damit auf jeden Fall wunderbar für viele sonntäglich-philosophische Abende mit blutrotem, schwerem Bordeaux und einem guten Stück blasphemischen Käses. Der wahre Fan zündet sein Feuer dazu sowieso mit den riesigen Streichhölzern, die der Kirchenfenster-Vinyl Special Edition beilagen, an. A votre santé !

(9 flammende Zungen)

 

 

www.innomineseth.fr/

www.facebook.com/innomineseth