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EREMIT – Bearer Of Many Names

~ 2021 (Transcending Obscurity Records) – Stil: Atmospheric Sludge/Doom ~


Das vergangene Jahr hat unseren Zeitbegriff verändert. Stillstand, Ruhe, bewusste Wahrnehmung, ja auch der reichlich abgenutzte, obgleich so treffend menschliche Begriff der Achtsamkeit kommen in den Sinn für eine Zeit des Wartens, die von vielen in ihrer Passivität und Unumgänglichkeit als bedrohlich erlebt wurde. Wo wenig im Außen passiert, ist das Innen umso lebendiger, und ja, auch lauter – das haben wir alle, manche als positiv, andere als anstrengend wahrgenommen und erlebt.

Würde man das basslose Osnabrücker Trio fragen, kam ihnen der Lockdown zumindest künstlerisch sicherlich entgegen. Noch tiefer konnten sie sich einwühlen in ihre Thematik, noch langsamer und reduzierter werden, noch mehr aufsteigende Bilder der selbstgeschriebenen Saga auf sich wirken lassen – einfach noch mehr EREMITen sein. Und genau das merkt man ihrem Zweitling auch an. ´Bearer Of Many Names´ multipliziert und konzentriert gleichzeitig die Qualitäten der beiden vorangegangenen Platten, und bietet dadurch Eskapismus vom Feinsten. Wer das Überraschungsdebüt ´Carrier Of Weight´ mochte, und auch den Weg der, so man das in diesem Bereich des ultra-heavy Sludge/Doom überhaupt so nennen mag, etwas verspielteren EP mitging, der wird sie lieben, die wiederum drei massiv langen Songs, die den unheilvollen Schlammbatzen auf mehr als eine Stunde Spielzeit auswalzen.

 

 

An den für sich selbst sprechenden Songtiteln erkennt man das jeweils zugrundeliegende Thema des Kapitels aus dem Buch, an dem Sänger und Gitarrist Moritz seit Bestehen von EREMIT schreibt. ´Enshrined In Indissoluble Chains And Enlightened Darkness´ kratzt knapp an der halben Stunde, beginnt wie träumend mit den immergleichen sparsam ausgewählten Riffs, um dann förmlich in einem blackmetallischen Brecher zu explodieren: Blastbeats, Tremoloriffing und Moritz‘ garstiges Keifen bauen eine bedrohliche Stimmung mit viel Post Metal-Flair, verzweifelten Schreien und schweren repetitiven Melodien der Bassamp-zerstörenden Gitarren auf. Die Verlorenheit und klaustrophobische Melancholie des absoluten auf sich allein gestellt seins wird jedoch wieder jäh unterbrochen: kurz vor Mitte des Songs wird es auf einmal abyssal, und ultratiefe Growls erinnern an grausige Tiefseeabenteuer. AHABs Daniel Droste zeigt auf so beängstigende wie grandiose Weise, wie langsam man auch Stimmbänder schwingen lassen kann – gefühlt bis fast zum Stillstand. So ungefähr wie den sich daraus entspinnenden Dialog der beiden stelle ich mir einen netten Nachmittagsplausch übers Wetter zwischen Nyarlathotep und Cthulhu vor… wer auf richtig krasse Vocals und starke Funeral Doom-Lastigkeit steht, wird diesen Song lieben.

In die Wüste dagegen entführt ´Secret Powers Entrenched In An Ancient Artefact´, hier erleben wir nun paradoxerweise deutlich mehr Leben. Eine deutlich lebensoffenere Gitarrenmelodie baut ein desert-post-rockiges Ambiente auf, beschwörend, sto-nerd winden sich Rauchwolken in den Himmel, und ein höchst sparsamer, mantraartiger Dialog zwischen tiefstgestimmter Gitarre und Schlagzeug sucht nach dem Sinn des Daseins – oder der Essenz des Doom? Hier sitzt jeder Griff, jeder Schlag der Drumsticks hat eine eigene, tiefe Bedeutung, löst neue Gefühle aus, wirft andere Fragen auf. Heavyness als Philosophie des Parodoxons, der Fülle in der Leere, der Weite in der Beschränkung und der Tiefe in der Offenheit. So viel Reduktion war selten, nicht mal bei den Drone-Göttern von SUNN O))) oder den Labelmates wie JUPITERIAN aus Brasilien und den polnischen 71TONMAN. CONAN liegen nahe. auch BLACK SHAPE OF NEXUS kommen wieder in den Sinn, gerade bei den wunderbaren Songenden, wenn man den nachbruzzelnden Elektronen beim sich gegenseitig Gute-Nacht-Geschichten erzählen und schließlich wegrauchen zuhören kann. Sie sind eine der faszinierenden Extravaganzen der Osnabrücker – mehr Zeit zum Ausklang war nie.

Die Atmosphäre ändert sich, wird sehr weit, atmend und offen, und Tribal Drumming erinnert an ´City Of Râsh-il-nûm´ von der 2020er ´Desert Of Ghouls´-EP. ´Unmapped Territories Of Clans Without Names´ verbinden das Beste aus allen dem EREMIT bekannten Welten und dahinter, sind sie mit ihrer astralen Weite und Unbegrenztheit doch ein Glanzstück des modernen Doom. Hier kann man nun auch mal von Geschwindigkeit sprechen, diese zieht bisweilen sogar kräftig an, zweistimmige Gitarren weben einen fliegenden Soundteppich, über dem sich gemütlich den Kopf schütteln lässt. Darf man gar von Spielfreude sprechen? Auf jeden Fall spielen sich die Drei für ihre Verhältnisse in einen wahren, knapp zwanzigminütigen Rausch, erkunden unbekannte Gefilde und Gefahren, und auch wenn es paradox klingt, am Ende schließt sich der Kreis zum Anfang der Platte viel zu schnell. Schnarrend, brummend, sich in Rauch auflösend… sublimiert.

Wieder hat Mariusz Lewandowski (BELL WITCH, MIZMOR, ATLANTEAN KODEX uvm.) dazu ein absolut stimmiges Cover gezaubert, das die phantastische Welt des EREMITen beschwört: auf einem Katafalk schwebend, von einem halb eingefroren-mumifizierten, halb brennenden T-Rexoiden bewacht, träumt er sich ins Erwachen zurück. Und wir hoffen auf noch viele rückkopplungsangereicherte Fortsetzungen der vielleicht schwer wiegendsten phantastischen Geschichte unserer Tage.

Für wen Zeit keine Rolle spielt, wer gern in lavaartige Soundwalzen eintaucht und sich von dunklen Emotionen überspülen lässt, für den ist hier sowieso keine Überzeugungsarbeit nötig; allen anderen lege ich diese Lektion in Entschleunigung sehr nahe ans Herz. Wer weiß, wen ihr auf dem Weg zu euch selbst so alles wiederfindet…

(8 Punkte)

 

 

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