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OZAN ATA CANANI – Warte mein Land, warte

~ 2021 (Fun In The Church/Bertus/Zebralution) – Stil: Singer-Songwriter ~


Ozan Ata Canani wird 1963 in der Türkei geboren. Als er 12 Jahre alt ist und die Grundschule beendet, holt ihn sein bereits in Deutschland arbeitender Vater nach. Ata geht in Deutschland erst auf die Hauptschule, dann auf die Realschule und landet ebenfalls als Hilfsarbeiter in den Fabriken. Ata ist jedoch ein riesiges Talent an der anatolischen Langhalslaute, der Bağlama, so dass er mit Aşik Mahzuni Şerif auf Tournee gehen kann.

Seinem konservativen Vater ist das Musizieren natürlich völlig suspekt. Doch Ata schreibt sich in seinen selbst komponierten Liedern alle Probleme der Gastarbeiterkinder und der Gastarbeiter an sich von der Seele. Er tritt mit einem Lied sogar im Fernsehen auf, doch ansonsten ist er seiner Zeit voraus. Die türkische Community kann nichts mit seinen deutschen Texten anfangen und die Deutschen nichts mit den anatolischen Melodien.

Immerhin gewinnt Ata 1979 einen Liedermacher-Wettbewerb. Ansonsten hat er mit seiner Hochzeitskapelle Ende der Siebzigerjahre zwei bis drei Auftritte die Woche, nimmt türkischsprachige Kassetten auf, die sich in den Gemüse- und Elektroläden Deutschlands verkaufen, und schließt sich der türkischen Band DIE KANAKEN um Rock-Legende Cem Karac an.

Ozan Ata Canani ist ein in Vergessenheit geratener Vorreiter, der mit seinen deutsch gesungenen Liedern eigentlich die alemannischen Hitparaden hätte stürmen müssen. Schließlich singen in den Siebziger- und Achtzigerjahren sehr viele ausländische Künstler in deutscher Sprache und landen mit ihren Songs in den Charts, so dass Atas Gesangsaussprache nicht mehr ungewöhnlich ist. Atas Lieder sind allerdings anklagend, er macht auf die Probleme aller Gastarbeiter aufmerksam, dass sie nicht herzlich aufgenommen werden und nur als Arbeitskräfte, sozusagen wie Maschinen, angesehen werden. Gleichzeitig beschreiben seine Lieder die Sehnsucht, die alle Gastarbeiter zu ihrer Heimat erfüllt. Selbst Atas Vater will wieder in die Türkei zurück, schafft wie alle anderen freilich nie mehr den Absprung.

Alle wollen nur wenige Jahre bleiben, werden aber für immer sesshaft. Das schlimmste für sie und ihre Kinder ist jedoch, dass sie zwischen den Welten gefangen sind und nicht wissen, wo sie überhaupt hingehören. Sind sie, die erst Gastarbeiter, dann Ausländer und heute Migranten genannt werden, Deutsche oder Türken? Ata ist selbstverständlich schon lange deutscher Staatsbürger.

Ata war die Stimme der Gastarbeiter, doch sie verhallte ungehört. Allein sein Song ´Deutsche Freunde´ ist auf einer 2014er Kompilation namens ´Songs Of Gastarbeiter´ zu finden. Die Initiatoren dieser Kompilation lassen allerdings nicht locker und erreichen, dass Ata mit seiner alten Mannschaft ins Studio geht, um nach 40 Jahren seine schönsten Lieder endlich einzuspielen. Nun liegen mit dem Werk ´Warte mein Land, warte´ elf Lieder vor.

Ata singt bei Liedern, wie etwa ´Bırakmaz´, ´Şerefsiz´ oder ´Özlemim Var´, in einer sehr bildhaften Sprache. Klartext spricht er in ´Akarsular Geldi Dile (Ben Anadoluyum)´: „Ich wünsche mir eine aufgeklärte und unabhängige Türkei…“ Gleichwohl sind es letztlich die deutsch gesungenen Lieder, die betroffen machen und begeistern. Derweil Ata wie ein avantgardistischer Singer-Songwriter der End-Siebzigerjahre anmutet, schallen seine mit der Bağlama eingespielten Lieder kraftvoll aus den Boxen: ´Alle Menschen dieser Erde´, ´Warte mein Land, warte´, ´Stell Dir einmal vor´, ´Import / Export´ und ´Deutsche Freunde´. Und es sind allesamt Klassiker, die erst die dritte Generation der einstigen Gastarbeiter hören will, denn diese möchte wissen, wie es ihren Großeltern erging als sie nach Deutschland kamen.

´Alle Menschen dieser Erde´ wirft den Hörer sofort in die 70s/80s zurück, obwohl die Musik grundsätzlich recht zeitlos klingt („Alle Menschen dieser Erde. Alle Menschen groß und klein. Alle Menschen dieser Erde. Alle wollen glücklich sein.“) – ein Song über die Nächstenliebe und das Urbedürfnis, glücklich zu sein. Verständnis zu zeigen und ein Lächeln zu schenken, reichen manchmal aus. In reichlich Melancholie können wir es nachempfinden. ´Stell Dir einmal vor´ spricht jeden an, darüber nachzudenken, wie man sich fühlen würde, keine Liebe, keine Freunde und noch nicht einmal einen Ansprechpartner in einem fremden Land zu haben, keinen Einlass im Wirtshaus und an der Häuserwand steht obendrein: „Ausländer raus“.

Hier haben sie einen Scherbenhaufen und die Sehnsucht nach der Heimat ist unablässig riesengroß: ´Warte mein Land, warte´. Irgendwann kehren alle heim, so ist die Hoffnung einst gewesen, „auch wenn Mann im Sarg ist“. Allzu plakativ und einfach dagegen macht das funky ´Import / Export´ deutsche Waffen für das Morden in der Fremde verantwortlich, spricht aber auch Billigproduktionen in der Arbeitswelt an.

Mit 15 Jahren schreibt Ata ´Deutsche Freunde´, das mit einem Satz von Max Frisch beginnt, den er in einem Magazin der IG Metall entdeckt hat. Mit diesem Lied hat er auch seinen Fernsehauftritt bei Alfred Biolek und schreibt sich und seine Musik in die Geschichtsbücher hinein:

Arbeitskräfte wurde gerufen
Unsere deutsche Freunde
Aber Menschen sind gekommen
Unsere deutsche Freunde

Nicht Maschinen, sondern Menschen
Aber Menschen sind gekommen
Unsere deutsche Freunde
Freunde Freunde, Sie haben am Leben Freude

Aus der Türkei aus Italien
Aus Portugal, aus Spanien
Aus Griechenland und Jugoslawien
Kamen die Menschen hierher
Unsere deutsche Freunde
Freunde Freunde, Sie haben am Leben Freude

Als Schweißer als Hilfsarbeiter
Als Drecks- und Müllarbeiter
Stahl-, Bau- und Bandarbeiter
Sie nennen uns Gastarbeiter
Unsere deutsche Freunde
Freunde Freunde, Sie haben am Leben Freude

Und die Kinder dieser Menschen
Sind geteilt in zwei Welten
Ich bin Ata und frage Euch
Wo wir jetzt hingehören
Unsere deutsche Freunde
Freunde Freunde, Sie haben am Leben Freude

 

 

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Pic: Frederike Wetzels