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SILVER TALON – Decadence And Decay

Zum Erscheinen des Debüt-Albums von SILVER TALON präsentieren wir eine weitere Kritik zu ´Decadence And Decay´: das „Editor’s Review On Release Day“.
Jetzt endlich, durch Lieferschwierigkeiten des Vinyls, mit leichter Verspätung.


Dass sich die Formation vor wenigen Jahren aus der Asche von SPELLCASTER erhoben, mit dem Sänger von SANCTIFYRE zusammengetan sowie im Gegensatz zu den Vorgängerbands den Riff-Faktor merklich erhöht hat, konnte bereits auf der EP ´Becoming A Demon´ von SILVER TALON sehr genau wahrgenommen werden. Ein Cover von SANCTUARYs ´Battle Angels´ war zudem der erste Wink mit dem Zaunpfahl hinsichtlich der musikalischen Einflüsse.

Obendrein freuten sich in jenen Tagen bereits alle bei der Band aus Portland, Oregon, über steigende Zahlen bei Spotify. Eine gewisse Freudlosigkeit über mangelnde Popularität sollte sich also nicht erneut wie bei SPELLCASTER einstellen und in Alkohol und Drogen münden. Den traumhaften Bandnamen SILVER TALON hatte sich übrigens dereinst Dan Cleary von STRIKER ausgedacht und in die Runde geworfen, in der sich auch Gitarrist Bryce Adams Vanhoosen befand.

Dennoch kam es im Vorfeld von ´Decadence And Decay´ zu gehörigen Verwerfungen innerhalb des Bandgefüges. Bassist Gabriel Franco und Schlagzeuger Colin Vranizan ließen die Gitarristen Bryce Adams Vanhoosen und Sebastian Silva als verbliebene ex-SPELLCASTER in den Reihen von SILVER TALON zurück. Sie konzentrieren sich fortan mit Sebastian Silva zusammen lieber auf ihre andere Tätigkeit bei IDLE HANDS, die aus markenschutzrechtlichen Gründen gegenwärtig unter dem Bandnamen UNTO OTHERS firmieren. Somit mussten sich Sänger Wyatt Howell und die beiden Gitarristen nach neuen Mitstreitern umschauen. Diese fanden sie in Bassist Walter Hartzell, Schlagzeuger Michael Thompson und Gitarrist Devon Miller (ex-SABATEUR). Letzterer kam vordergründig nur als Ersatz für Sebastian Silva in die Gruppe, da dieser bei der anstehenden Tournee 2019 leichte Probleme mit seinem Visum hatte, blieb letztendlich jedoch auf Dauer.

Sebastian Silva, ein gebürtiger Mexikaner, brach nämlich 2019 mit seinen Bandkollegen zur Europatournee auf, ohne die Gewissheit zu haben, nach seiner Rückkehr wieder in die Vereinigten Staaten einreisen zu dürfen. Denn zwischenzeitlich änderte der damalige Präsident der USA die Einreisebestimmungen. Sebastian Silva benötigte für die Rückkehr ein Künstlervisum. Dieses beantragte er in den Niederlanden, bei seiner Freundin in Amsterdam. Zwischenzeitlich hielt er sich zudem das erste Mal seit 14 Jahren wieder bei seinen Verwandten in Mexiko auf. Der Ausgang dieses Nervenkriegs verlief allerdings völlig problemlos, da er letztlich mit seinem Visum wieder einreisen konnte. Der ehemalige US-Präsident Donald Trump trägt somit die Verantwortung, dass SILVER TALON drei Gitarristen in ihren Reihen haben.

´Decadence And Decay´ kommt als Vinyl in Smaragd- und Miasma-Color jeweils limitiert, sowie im klassisch schwarzen Vinyl. Das Vinyl befindet sich in einer ebenso klassisch, mit den Texten bedruckten, ungefütterten Innenhülle.

Die Produktion ist für diese klassische Musikrichtung gelungen. Doch das Besondere sind die Kompositionen. Das Songmaterial ist durchgehend einprägsam, ohne massenkompatible Ohrwürmer hervorzubringen. Durch eine gewisse, durchgehend vorherrschende Magie ist das gesamte Werk als eine echte Einheit zu betrachten, in der kein Song übermächtig hervorsticht oder die Größe der anderen überragt. Dennoch kann jeder Song auch für sich stehen, ist einzeln identifizierbar und besitzt Alleinstellungsmerkmale gegenüber den anderen.

´Decadence And Decay´ ist ein düsteres und furioses, ein technisch versiertes, aber nicht allzu komplexes Werk. SILVER TALON erweisen sich in diesen Tagen als dunkler, zielgerichteterer und harter Gegenpol von WITHERFALL.

Obwohl sie technisch versiert sind, stellen sie die Technik natürlich nie so sehr in den Vordergrund wie WITHERFALL. Mit dezenten Synthesizer-Klängen werden sie niemals sinfonisch und niemals vollständig zur progressiven Kapelle. Obgleich die Gitarristen Yngwie Malmsteen, Steve Vai, Jason Becker und Michael Romeo sowie Randy Rhoads und Andy LaRocque lieben, bleiben die gitarrentechnischen Darstellungsversuche eher außen vor. Trotz vieler Gegensätze ist gleichwohl diese gewisse Finesse dauerhaft gegeben. Der eigene Anspruch an erstklassiges Songmaterial wird nie außer Acht gelassen. Der Reiz des Neuen und des Progressiven ist spürbar. Die nunmehr aufgestellte Triple-Axe-Attack ist natürlich äußerst imposant. Der Schlagzeuger ist eine echte Bestie hinter den Kesseln und der Sänger ist mit seiner sehr wandelbaren Ausdrucksweise der große Trumpf im Ärmel von SILVER TALON.

Wenngleich sich die US-Amerikaner geschickt zwischen den Bezugspunkten NEVERMORE und QUEENSRŸCHE bewegen und dabei auf der Strecke auch mal Gruppen wie ELDRITCH und MORGANA LEFAY begegnen, muss ihnen eine große Eigenständigkeit bescheinigt werden, denn die erwähnten Gruppennamen dienen nur als Ansatzpunkt. SILVER TALON leben mit ´Decadence And Decay´ schlichtweg ihren eigenen, heftigen, aber melodischen Power Metal aus.

 

Wyatt Howell – Gesang, Bryce R. VanHoosen – Gitarre, Sebastian Silva – Gitarre, Devon Miller – Gitarre,
Walter Hartzell – Bass, Michael Thompson – Schlagzeug

 

Der wunderbar getragene, theatralische Gesang, ein wirbelndes und hämmerndes Schlagzeug sowie die geisterhafte Stimmung packt umgehend alle Hörer zwischen JUDAS PRIEST und QUEENSRŸCHE. Der mit Shouts verstärkte Refrain von ´Deceiver, I Am´ setzt dem brillanten Opener in Sache Härte die metallische Krone auf. Die Taktzahl wird bei ´Resistance 2029´ sogleich nochmals erhöht. Darüber breitet sich der heroische Gesang aus, der zum zurückgenommenen Chorus von den Backgrounds Unterstützung erfährt. Nachdem beim letzten Werk Jeff Loomis (NEVERMORE, ARCH ENEMY) begrüßt werden konnte, ist in diesem Lied Andy LaRocque (KING DIAMOND) der Gaststar mit einem Solo-Auftritt. Die geisterhafte oder verträumte Stimmung ergibt sich wieder in ´As The World Burns´, einem geradezu gradlinigen prog-metallischen Song, den ebenso IVANHOE und Konsorten spielen könnten. Die akustischen Saiten kreieren zum Beginn von ´Next To The Sun´ ein südländisches Flair. Gesanglich wird es noch wunderbar theatralischer. Die Atmosphäre lehnt sich im Stakkato dabei an NEVERMORE, aber auch sehr an italienische Prog Metaller, etwa im Sinne von ELDRITCH an. Die A-Seite kann somit mindestens drei bis vier Volltreffer vorweisen.

 

 

Mit dampfender Höllengeschwindigkeit im melodischen Speed Metal eröffnet ´Divine Fury´ die Rückseite der Scheibe. Womöglich sind hier auch die letzten IRON MAIDEN-Referenzen anzutreffen. Jedenfalls lässt nicht nur die Gitarrenwand die Konkurrenz im Staub zurück. Dafür weist der Beginn von ´Kill All Kings´ wieder in die Richtung all der Shredder, die die Triple-Axe verehrt. Wie so oft führen die unterschiedlichen Dynamiken diese schnelle Hymne zu ihrer stattlich heroischen Größe. Der Gesang bewegt sich in ´What Will Be´ eine Nuance tiefer, somit erhält die balladeske Komposition einen gotischen Anstrich, bleibt gleichwohl besonders für die Anhängerschaft von NEVERMORE oder COMMUNIC von großer Bedeutung. Das Grande Finale bestreitet ´Touch The Void´. Der epische, achtminütige Song wirft nochmals beiläufig südländische Gitarrenläufe ein und bewegt sich zwischen US Metal, dem australischen Chromieren und dem skandinavisch schweren Legieren des Stahls. Die B-Seite weist somit ebenfalls mindestens drei bis vier Volltreffer vor.

„Can I believe what I see & feel? In this dark room. Morbid thoughts scare. Lost in this realm. Deep in my mind.“ Stärker wird in diesem Jahr solch ein faszinierender und anspruchsvoller Power Metal nicht mehr dargeboten werden.

(9 Punkte)

 

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https://www.silver-talon.com/
https://silvertalon.bandcamp.com/album/decadence-and-decay-2