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WHITE WARD – Debemur Morti (EP)

~ 2021 (Debemur Morti Productions) – Stil: Dark Jazz / Black Metal ~


Wenn Bands die Erfahrung machen müssen, dass „Underground“ oft nur mit „Mittelmaß“ gleichzusetzen ist, dann ist das frustrierend und bringt eine Szene nicht weiter, sondern gefährdet ihren Weiterbestand – so geschehen Anfang dieses Jahrtausends im Black Metal. Um dieser Kunstform eine professionelle, verlässliche und sichtbare Plattform zu bieten, wurde daher vor 18 Jahren „Debemur Morti Productions“ gegründet. Die Franzosen haben sich seither sehr erfolgreich den experimentellen schwarzen Künsten und ihrer Rand- und Nebengebiete verschrieben, was sich in ihrem exquisiten Roster eindrucksvoll abbildet.

Mit der vorliegenden EP der ukrainischen Experimental-Black Metal-Hoffnungsträger WHITE WARD feiern sie nun ihren 200sten Release, und was könnte hierzu besser passen als zwei neue Songs dieser hochspannenden und stetig aufstrebenden Band, deren Werdegang das Label seit Beginn begleitet?

´Debemur Morti´ ist aus Horaz’ „Ars Poetica“ entnommen und bedeutet „Zum Sterben verdammt“, und offenbar geht es hier auch genau um dieses Thema. Und wer sich nun fragt, woher ihm das alles sonst noch bekannt vorkommt – ja genau, auch die Extremmetalgötter BLUT AUS NORD haben bereits 2014 ein ´Debemur MoRTi´ benanntes Minialbum herausgebracht, damals zum Anlass des 10jährigen Bestehens und der 100sten Veröffentlichung des Labels… hier wird also eine Tradition fortgeführt. Wie stellt sich das Quintett aus Odessa nun dieser Herausforderung?

 

 

Wie zu erwarten war: absolut souverän. In typischer WHITE WARD-Manier ist der Titelsong wie ein Kammerspiel mit mehreren Szenen aufgebaut, alles geschieht in einer sehr intimen Atmosphäre, die man als Zuhörer eigentlich gar nicht stören möchte – oder mit der man sich nicht konfrontieren will? Der Tod ist immer noch ein großes Tabu…

Saxophon, Bass und Drums führen, gemächlich Spannung aufbauend, hinein in einen emotionalen Wirbelsturm, der geschickt Hochgeschwindigkeit, Aggression und Melodie verbindet, noch getoppt durch keifende, mit der eigenen Zerrissenheit kämpfende Vocals, bis auf einmal die verzweifelte Stimmung komplett umschlägt in den ersten Tönen eines wahrhaft lyrischen Klargesangs, der sofort Hoffnung vermittelt.

Und wer würde besser zum Anspruch dieses Vorhabens einer angemessenen Jubiläumsplatte passen als ein Musiker, der Black Metal schon immer jenseits der Konventionen dachte? Lazare aka Lars Are Nedland, der mit dem Norwegischen Duo SOLEFALD bewusst immer wieder Genregrenzen gesprengt hat, veredelt den ersten Track mit seiner unverkennbaren Stimme, hebt ihn auf ein neues Level von Freiheit und verleiht ihm gleichzeitig Demut, ein Thema, das ein gesprochener philosophischer Dialog über die Fragen und Widersprüche des Lebens wieder aufgreift, der eine existentielle Gänsehaut-Passage einleitet, getragen von Lazares Stimme, die schließlich aufreißt und den Blick nach vorne neu gestärkt ermöglicht, von der ganzen Band in einem nochmaligen Aufbäumen begleitet. Wow. Dieser Parforceritt durch die menschliche Existenz lässt einen atemlos und sehr berührt zurück, Luft holen ist dringend angesagt…

Doch keine Sorge, ´Embers´ beginnt ganz behutsam in der von ´Love Exchange Failure´ bekannten, nächtlich-resignativen Jazz Noir-Kühle, die stets in eine nächtliche Großstadt entführt, rein instrumental mit Piano, Kontrabass und vor allem Saxophon herausgearbeitet. Die Bedenkzeit tut nun gut. Erst zur Mitte des Songs kommt mit Einsatz der Vocals der abrupte Wechsel – die Glut wird nun spürbar, Verzweiflung, Qual, Trauer bahnen sich den Weg, zwei Stimmen schreien ihren Seelenschmerz heraus, das Bittersüße, das die ukrainischen Existentialisten auszeichnet, erinnert an AMENRAs tiefdunkle Post-Metal-Momente, doch wie immer schaffen sie es, schließlich doch alle Gefühle zusammenzubringen und kulminieren zu lassen, so dass das Ende offen, doch nicht hoffnungslos bleibt. Der Wind bläst schließlich die Glut aus…

WHITE WARD haben es mit ´Debemur Morti´ geschafft, alles, was modernen Black Metal ausmacht mit dem zu verbinden, worauf das Genre schon immer basiert – und dem Ganzen noch dazu ihren individuellen Black Jazz-Stempel aufzudrücken. Die starken Kontraste, die beide Songs auszeichnen, stehen gleichzeitig dafür, dass Black Metal genauso stolz auf seine Vergangenheit sein kann, wie diesem gleichzeitig so innovativen wie konservativen Genre die Zukunft offen steht. Wie Yin und Yang stehen sich die Gegensätze gegenüber, um schlussendlich doch eins zu sein. Die Erwartungen an das kommende dritte Album sind hoch.

(8,5 Punkte)

 

https://whiteward.bandcamp.com

https://www.facebook.com/whitewardofficial


(VÖ: 25.06.2021)

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