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IOSONOUNCANE – IRA

~ 2021 (Numero 1/Trovarobato) – Stil: Electronica/Songwriter ~


IOSONOUNCANE, geboren unter dem Namen Jacopo Incani in Buggerru auf Sardinien, lebt seit zwei Dekaden in Bologna. Seine ersten Gehversuche als Solo-Künstler unter seinem Künstlernamen unternahm er noch auf MySpace. Das erste Ergebnis seiner Lo-Fi-Elektronik-Soundtüfteleien mit Loops und Samples erschien 2010: ´La Macarena Su Roma´. Das zweite wird seit 2015 in den höchsten Tönen gepriesen und mit Lorbeeren überschüttet: ´DIE´.

Es folgten Festival-Auftritte und eine Europa-Tournee, zwei Soundtracks zu den Dokumentarfilmen „Follow The Paintings“ und „Marghe E Giulia: Una Vita In Diretta“ sowie Zusammenarbeiten mit Edoardo Tresoldi und Paolo Angeli. Auf Jacopo Incani lastete ein gewaltiger Druck, allen Erwartungen mit dem dritten Album gerecht zu werden.

2021 ist es endlich soweit. Es erscheint auf der Bildfläche: ´IRA´ – ein Konzeptalbum, das seine Mitmusiker – Mariagiulia Degli Amori, Serena Locci, Simona Norato, Simone Cavina, Francesco Bolognini und Amedeo Perri – in seiner Gänze auch live aufführen werden. Dieses Mammutwerk verwischt über 17 Kompositionen hinweg, über knapp zwei Stunden die Grenzen zwischen Tradition und Experiment, zwischen Electronica und Psychedelica.

Die sprachliche Ausdruckweise ist zur Verkettung mit den Klangfarben und den Dynamiken, mit dem gesamten Ensemble auf das Wesentlichste reduziert. Im Gegensatz zum Vorgänger ist sie nicht mehr von rein symbolischer Natur, sondern mischt aus dem vollen Bedürfnis heraus Englisch, Arabisch, Französisch, Spanisch, Deutsch und Italienisch.

 

 

Die Musik lässt sich treiben, zwischen Meeresrauschen und dem tonangebenden Klavier (´Hiver´). Die Musik ist eine Geschichte, die über 110 Minuten elektronisch erzählt wird und auch nicht kurzfristig Halt vor den Sphären von RADIOHEAD macht (´Ashes´). Aufgrund der thematischen Umsetzung von Massenmigration, kommen ebenso westlich industrielle als auch afrikanisch kulturelle Percussions ins Spiel.

Die Musik verlegt gerne auch ihr SIGUR RÓS’sches Spielfeld einige Breitengrade in den Süden (´Foule´). Auf der Suche nach den Ursprüngen zeigen sich sogar Stammestänze und -rituale (´Jabal´). Die Musik lässt sich treiben, zwischen sonoren, propellerhaften Schwingungen und dem Klavieranschlag (´Ojos´). Aber sie findet auch ihre fröhliche Ausgeglichenheit, über das Balancieren der Rhythmen hinweg (´Nuit´).

Die Musik zeigt sich im minimalistischen Gefängnishinterhof mit Handclaps, bis die Elektronik die dröhnende Sirene gibt (´Prison´). Allerdings ebenso in wartender und genießerischer Haltung, als stünde SUFJAN STEVENS an einem Strand des Stiefels (´Horizon´) sowie sehnsuchtsvoll dreinblickend und singend (´Soldiers´). Die Musik möchte ebenso geisterhaft sowie mit einem Elektro-Beat daherkommen (´Piel´) oder abermals bedrohlich die Rotoren zum perkussiven Metall kreisen lassen (´Friere´). Andererseits dürfen sich auch die Hemisphären mehrerer Kontinente miteinander mischen (´Niran´) und blicken ungeniert dem Post Rock ins Auge (´Fleuve´).

Die Musik kann, wenn sie will, sich dem orientalisch geprägten Rock nähern (´Sangre´) oder einfach im gleichen Sinne in den Fängen von Ambient und Elektronik abschweifen (´Petrole´). Am Ende sind es Hörner und Sirenen, die sich intensivierend und hypnotisierend entfalten (´Hajar´), und sich in aller Leichtigkeit beinahe dem Bel canto hingeben (´Cri´).

(8,5 Punkte)

https://www.facebook.com/iosonouncane


Pic: Silvia Cesari