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HELLOWEEN – Helloween

~ 2021 (Nuclear Blast) – Stil: Helloween ~


 

Diesem Moment haben angeblich Millionen Musikhörer entgegengefiebert. Live wurde dem Wunsch auf eine Wiedervereinigung von HELLOWEEN bereits auf der PUMPKINS UNITED WORLD TOUR entsprochen, doch mit der Veröffentlichung von ´Helloween´ vollzieht sich die Wiedervereinigung endlich auch im Studio. Erstmals wieder mit Gitarrist/Sänger Kai Hansen, der HELLOWEEN 1988 in Richtung seines Lebenswerkes GAMMA RAY, und mit Sänger Michael Kiske, der 1993 die Kürbisköpfe in Richtung Eremitendasein verlassen hatte. Dennoch lässt diese ersehnte Reunion natürlich weder die Tage von ´Walls Of Jericho´ mit Kai Hansen am Gesang, noch die von ´Keeper Of The Seven Keys´ mit Michael Kiske am Mikrofon auferstehen. Denn natürlich gehört auch weiterhin Sänger Andi Deris zur Kürbisfamilie, die jetzt mit drei Sängern sowie drei Gitarristen ein echtes Gemeinschaftsgefühl und einen großen Zusammenhalt aussendet.

´Helloween´ folgt dem Willen der Millionen Anhänger, sich wieder mit Kai Hansen und Michael Kiske den glorreichen Tagen der eigenen Vergangenheit zu widmen, ohne die letzten Dekaden mit Andi Deris auszublenden. Auch musikalisch folgen die frischen Kompositionen diesem Ansinnen. Sie sind das gegenwärtig erzielbare Ergebnis aus 35 Jahren HELLOWEEN, kein nostalgischer Blick zurück, aber auch kein gewagter Ausblick in die Zukunft. HELLOWEEN feiern sich selbst in zwölf neuen Liedern, die wie üblich unter den jetzt noch zahlreicher gewordenen Songwritern aufgeteilt sind.

Obwohl HELLOWEEN das Werk unter der Regie von Hausproduzent Charlie Bauerfeind und Co-Producer Dennis Ward analog in den Hamburger „HOME-Studios“ an dem Ort aufgenommen haben, an dem auch ´Master Of The Rings´, ´The Time Of The Oath´ und ´Better Than Raw´ entstanden sind, und es von Ronald Prent (IRON MAIDEN, DEF LEPPARD, RAMMSTEIN) in den „Valhalla Studios“ in New York den Feinschliff erhielt, trägt es bisweilen diesen leicht sinfonischen Mantel von Großproduktionen und -projekten.

Mit dem siebenminütigen Opener ´Out For The Glory´ präsentiert Gitarrist Michael Weikath zur Eröffnung sogleich eine klassische, Kiske auf den Leib geschriebene HELLOWEEN-Nummer. Doch erst der reizvolle Songaufbau und die Breaks mit dem Geschrei von Hansen, verpassen dem Lied die besondere Würze. Selbst Weikaths ´Robot King´ lebt im weiteren Verlauf des Werkes von seinen Aufbauten, die spät im Shouten des Titels ihren Höhepunkt finden, seinen klassisch angehauchten Soli und einem feinen Gesangsabschnitt. Seine Power-Nummer ´Down In The Dumps´ zeigt sich trotz aller Melodic im Refrain etwas harscher. Michael Weikath und später Kai Hansen wissen tatsächlich noch am besten wie HELLOWEEN klingen müssen.

Dagegen braust die Andi Deris-Nummer ´Fear Of The Fallen´ aus einer Besonnenheit heraus auf, in deren Verlauf sich beide Sänger wunderbar ergänzen. Die dreckig, rockige Power-Nummer ´Mass Pollution´ shoutet Deris natürlich höchstpersönlich. Den unverwüstlichen Melodic Rocker gibt Bassist Markus Grosskopf mit seinem ´Indestructible´.

Die fröhliche, sich selbst feiernde Kürbiskopf-Nummer ´Best Times´ stammt aus der Feder von Gitarrist Sascha Gerstner und Andi Deris. Wunderbar wie sich der Gesang entlang der Melodieführung in die Höhe zieht, obwohl der stramme Männer-Backgroundgesang nicht so recht zu HELLOWEEN passen will. Die andere Nummer von Sascha Gerstner, ´Angels´, glänzt im Breitwand-Format mit leichter Orchestrierung im Sinne einer Rock-Oper.

Die Erwartungen an den eher klassischen Bandsound erfüllt hingegen ´Rise Without Chains´ und die an die jüngsten Dekaden ´Cyanide´. Um die Post-´Keeper Of The Seven Keys Part II´-Atmosphäre zu vervollständigen, endet das selbstbetitelte Werk mit der einzigen Kai Hansen-, aber längsten Nummer, dem zwölfminütigen ´Skyfall´, jedoch ohne an die großen Epen von GAMMA RAY anzuschließen.

´Helloween´ ist nicht die Essenz des Pre-Euro-Power-Metal geworden, sondern ein erwachsenes Werk von den Herren, die die ganzen Tralala-Melodien und den Happy-Euro-Power-Metal angezettelt hatten. Gleichwohl müsste die millionenschwere Anhängerschaft schon sehr ausgehungert sein, wenn sie das Gemeinschaftscomeback als das neue Maß aller Dinge betrachtet. ´Helloween´ ist kein neuer Band-Klassiker, besitzt aber dennoch gleichbleibend starkes und erstklassiges Songmaterial.

(8 Punkte)

Michael Haifl

 

 

 

 

 

 

Band: mehr als bekannt, da stilprägend.

Album: nach den fulminanten „Pumpkins United“ Auftritten ziemlich heiß ersehnt.

Bandkonstellation: Ach, kommt schon, ihr verarscht mich jetzt!

Mit einem – auf die komplette Karriere gesehen – insgesamt überschaubar gedrehten Musikerkarussell kommt der Superlativ in Form der Triple Axe Attack zusammen mit der Triple Vocal Offense. Und gleich zu Beginn eines: Kapiert’s endlich, dass Andy Deris so neu ist wie vergleichsweise Bernie Shaw bei URIAH HEEP. Wo wir gerade dabei sind – an dieser Stelle muss ich für ihn mal eine Lanze bei allen Verweigerern brechen, denn neben den beiden Kürbis-Sangeslegenden Hansen und Kiske hatte er sich auch auf der Tour mehr als würdig behauptet! So, da das geklärt ist können wir:

Mindestens eine Stunde Unterhaltung aus dem Studio war bei den Kürbissen ja mit wenigen Ausnahmen schon seit einem Vierteljahrhundert Ideal-Standard, auch diesmal gibt’s 65 Minuten Material. Auch wenn mich die beiden Vorabsingles ´Skyfall´ und ´Fear Of The Fallen´ nicht wirklich vom Hocker gerissen haben und ich somit eine äußere Coolness dieser Veröffentlichung bezüglich aufgebaut habe, war ich innerlich schon ziemlich aufgeregt, als ich den ersten Durchgang in Angriff genommen habe, an dem ich euch nun rein emotional ohne journalistisch-objektive Distanz ungeschminkt und ohne Netz und doppelten Boden teilhaben lasse (erstmal „better raw“, Feinheiten folgen später) :

´Out For The Glory´ ist schlichtweg Kiske-HELLOWEEN at it’s Best und dieser Song hätte mich zum Pre-Orderer des Albums werden lassen statt der beiden erwähnten Songs. Chewie, wir sind zu Hause! Gefühlvoll startet Deris danach mit eben diesem erwähnten ´Fear Of The Fallen´ in den Ring, das mir zusammen mit dem fulminanten Opener als Uptempo-Duo gleich besser gefällt als aus dem Kontext gerissen.

Die Spannung steigt. Wie wird es weitergehen? Jetzt müsste nach Adam Riese mein kultig verehrter Hansen dran sein. Der Rhythmus simuliert zunächst ´I Want Out´ und Hansens Stimme ist weit und breit nicht zu hören – zumindest nicht fiese und solo. Dafür ist die ´Best Time´ zwar nicht meine Sternstunde, aber ebenfalls ordentlich anzuhören. Ein wenig BILLY IDOL in den Strophen und der Refrain durchaus dramatisch gelungen. Kommt schon… Hansen!, Hansen!, Hansen!… nö.

Dafür singt Andy (so langsam nehme ich die Kosenamen, das spricht dann wohl für meine positive Stimmung zur Platte) kraftvoll gegen die ´Mass Pollution´ an. Die Aufforderung „Make some noise!“ – sollte diesen Song zusammen mit klassischen Metalriffs zu einem Livebrecher-Ohrwurm nach feinster JUDAS PRIEST-Art machen. Oh, Synthies und Keyboards eröffnen Michis (ja, den mag ich auch noch immer) ´Angels´, die nach einem PARADISE LOST-artigen Beginn (haha – ´One Second´ Tanz-Ära natürlich!) schön fetzen und bei dem Titel auch etwas Theatralik und Epik mit wunderbarem Gitarrensolo auffahren bis hin zu fast schon progressivem Power-Drama. Alter. Bin beeindruckt.

Geil, gleich weiter im Uptempo. Da gibt’s immer noch nix zu motzen, ´Rise Without Chains´ liefert wieder HELLOWEEN, wie der Fan es sich seit „Keeper“ nur wünschen kann. Langsam kriege ich Angst. Wo bleiben die Aufreger und vor allem: wo bleibt Hansen? ´Indestructible´ läutet die zweite Halbzeit ein und fängt mal mit einem herrlichen, fucking-rohen Oldschool-Riff an; ist mir zum ersten Mal jedoch im Refrain zu gewöhnlich und belanglos nach der ersten Hälfte und nach all‘ den Jahren und ähnlichen Gruppen im Powermetal-Geschäft. Macht aber nix, denn mit 6:1 auf der „haben-Seite“ ist die Zwischenbilanz noch mehr als ordentlich.

Der ´Robot King´ rappelt ebenfalls im Hochgeschwindigkeitsmodus kräftig los und entweder hängt es an mir, dass ich langsam gesättigt bin oder das Niveau fällt langsam doch etwas ab. Auch das Epik-Finale rettet nichts, sondern wirkt wie eine andere Songidee, die drin verbraten wurde. Jaja, klassisch ist’s schon, aber vom digitalen Herrscher haben wir nun schon vielfältig aufregenderes gehört. ´Cyanide´ ist ein akzeptabler Heavy-Titel, der auch locker auf die letzten paar sehr guten Scheiben gepasst hätte und ´Down In The Dumps´ erhebt sich konträr zum Titel aus der Gosse wie ein „Eagle“, der sich „free“ fliegt. Naja bei sich selbst covern ist immer noch am Legitimsten und knallen tut’s auch immer noch schön. Guter Smasher, der ordentlich rappelt.

Tja und nun geht’s nach dem spacigen Intro ´Orbit´ – das auch das originale Happy-HELLOWEEN-Thema wieder aufgreift – schon in die letzte Runde für Ausdauerathleten mit dem bekannten ´Skyfall´, das so ziemlich alle Trademarks der Band vereint, aber im direkten Vergleich zu den „Keeper“-Epen nicht wirklich mithalten kann, da es irgendwie aus Versatzstücken zusammengesetzt wirkt, doch auch das wird weiterhin im Auge des Betrachters liegen, außerdem wurde der Wein erst entkorkt und muss noch atmen.

Bei Vinyl und Digibook gibt’s noch ´Golden Times´ und ´Save My Hide´ zu bestaunen, das Earbook wird zusätzlich noch mit der bereits bekannten Tour-Single ´Pumpkins United´ bestückt. Da mir jedoch die zwei Ersteren nicht vorliegen, also weiter mit der rein digitalen Albenversion:  Ich hatte bis jetzt die erste Hälfte übermäßig Spaß und wäre damit als Minialbum absolut bedient und glücklich gewesen. Ob die zweite Hälfte noch wächst, zeigen die nächsten Tage – aber denkt daran: Wir reden hier schon über ein überdurchschnittliches musikalisches Niveau. Die Strenge ist rein auf das HELLOWEENsche Gesamtwerk zu sehen. Bis dann.

So. Im Auto. Daheim auf der Couch. Über Kopfhörer. Über Standboxen (wie das erste Mal). Mit Karin. Alleine. Am Stück. Häppchenweise. Ich habe mir echt nochmal Mühe gegeben, um meinen ersten Eindruck und ´Helloween´ dem Test-Of-Time zu unterziehen. Fazit: Ich nehme den originalen und zugewanderten Hanseaten ab, dass sie schlichtweg Spaß zusammen hatten. Am meisten gewachsen sind bei mir neben den Sofortzündern im Nachhinein ´Fear Of The Fallen´ mit seinen ruhigen Parts, das kompromisslose ´Cyanide´, irgendwie aus nostalgischen Gründen ´Down In The Dumps´ und ´Skyfall´ muss ich letztendlich doch zugestehen, dass die Muskeln ordentlich spielen gelassen werden.

Zusammenfassend bleibt zu erwähnen, dass der Wiedererkennungswert der einzelnen Songs sehr hoch ist und sie sich wirklich fast ausnahmslos sofort ins Hirn fressen. Das passiert mir nicht mehr so oft und war schon immer eine Stärke von HELLOWEEN. Einen großartigen Platzierungsversuch in der Discografie-Ära über ´Master Of The Rings´ hinaus (so fair sollte man gegenüber Andy Deris sein) überlasse ich jedem von euch selbst, verweise aber auf ´Keepers Of The Seven Keys – The Legacy´, welche für mich unabhängig der konstanten Klasse immer noch ein absolutes Highlight war.

Die EP als auch die ´Walls Of Jericho´ sollte man endlich ruhen lassen und eben als das betrachten, was sie sind: Unumstrittene Gesellenstücke, die sich als eigenständige Klassiker etabliert haben, aber mit dem Rest von HELLOWEENs Werdegang nicht mehr viel zu tun haben. Wer weiß, vielleicht wären das durch andere Entscheidungen die einzigen Überbleibsel in der Geschichte einer Band gewesen, die wohl alles richtig gemacht hat, denn sonst hätte es keine „United-Tour“ und auch diese Scheibe nicht gegeben.

Da hilft kein analysieren, mäkeln und diskutieren, HELLOWEEN bleiben in dem von ihnen etablierten Stil das Ei und das Huhn. Die von mir oft umschiffte mathematische Bewertung erscheint mir besonders in diesem Fall so unnötig wie political & gendergerechte Correctness und die erzwungene Änderung meiner Muttersprache. Persönlicher Wunsch: Mehr Kai am Mikro und zwar mit 2-3 Fulltime-Songs statt nur Backings oder paar vereinzelte Strophen und Screams. Alles Gute zum Jubiläum HELLOWEEN, R.I.P. Ingo – never forgotten. Die Legende besagt, dass auf seinem Originalkit getrommelt wurde und er somit posthum ebenfalls ein gewürdigter Teil dieser historischen Reunion ist.

Die normale Vinylversion ist vorbestellt trotz persönlichem Ärger über den bunten Versionenwahn dieser Veröffentlichung. So ist das eben heutzutage im kapitalistischen Land of the Free – feiern hin, feiern her. Ich war, bin und bleibe halt ein alter Kürbis.

Less Lessmeister

 

 


Pic: Martin Haeusler
(VÖ: 18.06.2021)