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ARABS IN ASPIC – I-III

~ 2003/2004/2010/2021 (Karisma Records) – Stil: Prog Rock ~


„Guten Abend und willkommen, hier sind die letzten Neuheitsanschlage für heute Abend. Ein Mann aus Aradabia wurde gestern Vormittag auf dem Hamburger Bahnhof festgenehmt, verdächtigt ein Selbstmordmörder zu sein. Seine Explosive war aber nur eine riesengroße Kartoffel. Und sein Kommentar war sehr besoffen.“

Solche Texte entstehen wohl, wenn man weit im Norden lebt, wo es lange Winter gibt, dunkel und kalt ist. Etwa im mittelnorwegischen Trondheim, woher die Band ARABS IN ASPIC stammt, die seit 1997 existiert. Nachdem das letzte Album ´Magic And Madness´ für einige Furore sorgte, besorgt man, mit „Karisma Records“ im Rücken, nun die Wiederauflage der ersten drei Alben. Unter dem Titel ´I-III´ gibt es eine Vinylbox, die preislich allerdings ziemlich heftig ist, dafür auf 300 Exemplare limitiert ist. Jedes Album erscheint allerdings auch einzeln als CD oder als LP in schwarz oder farbig. Es ist also Zeit, sich rückwärts in die Diskographie einzuhören.

Progeria – 2003

Gut sechs Jahre brauchten ARABS IN ASPIC bis zu ihrem ersten Album. Gerade anderthalb Minuten werden benötigt, dem Hörer die Tür zu öffnen und ihn in die ´Progeria´ zu führen. Wer ein paar italienische Brocken zuzuordnen vermag, der dürfte den Zusammenhang mit Libreria und Gelateria sehen, nur gibt es hier weder auf die Augen noch für den Geschmackssinn. Der dritte der sechs Sinne wird hier bedient, das Gehör. 

Wer als erstes das letztjährige Album ´Magic And Madness´ kennenlernte, dürfte zuerst schwanken. Ist das die gleiche Band, die 2020 so tänzerisch in die Jahresbestenlisten proggte? Ja, auch wenn stilistisch Welten liegen zwischen dem Debüt und dem heutigen Output.

Auf ´Progeria´ gaben sich ARABS IN ASPIC noch bedeutend psychedelischer. Die drei Tracks, die dem kurzen Intro nachfolgen, geben sich als waschechte Longtracks. Schwere Gitarrenriffs ergänzen sich mit schwebenden Sounds, manches klingt, als wären die Stücke in endlosen Improvisationen entstanden. Regentropfen, Orgeltöne, ein Sturm zieht auf. Langsam baut sich der ´Silver Storm´ auf, Windstärke um Windstärke, Wolken treiben vorüber, Blitz und Donner. In ´Shelob’s Cave´ wartet Shelob, der große weiße Zauberer, dass der Sturm vorüberzieht. In tiefen Gedanken ist er versunken. Seine Gedanken führen ihn in Vergangenheit und Zukunft. Gutes und Schlechtes wägt er ab. Neben dem Sturm in der Natur, kommt der Sturm in seinem Geiste. In seinen Händen hält er einen Stein. Natternzunge heißt dieser, oder Donnerstein. 

Die Augen geschlossen, der Duft der Kräuter in der Nase, die in einem kleinen Feuer verbrennen, so beginnt er zu träumen. Zu diesem Stein gesellt sich vor des Magiers Augen erst ein zweiter, dann ein dritter. Ganz viele Zähne füllen ein riesiges Maul, das Maul öffnet sich. Großer Zahn, denkt er,  μέγας (megas) groß und ὀδόν (odon) Zahn, griechische Buchstaben formen sich zu einem Wort. ´Megalodon´. Der Herr der Meere, schon lang ausgestorben, nun endlich, im Sturm, erkennt der Magier die Bedeutung dieses kleinen Steines.

So kann man dies Album hören und verstehen. Andere Hörer haben vielleicht andere Bilder. Und so wird in der ´Progeria´ doch nicht nur das Gehör angesprochen. Der Hörer, der es zulässt, der kann die Klänge sehen und jeden Ton spüren. Er kann vielleicht sogar ahnen, dass die ARABS IN ASPIC mehr sind, als nur Musiker. Denn schon auf ihrem Debüt vereinten sie Magie und Wahnsinn.

Dass ein Stück wie ´Silver Storm´ tatsächlich noch auf dem 2018 erschienenen Livealbum ´Live At Avantgarden´ erklingt, beweist die Klasse schon des Debüts. Dazu finden sich später auch immer wieder Haie und andere Fische in den Stücken der irgendwie sympathisch verrückten Norweger. Leider ist ´Progeria´ viel zu kurz, um als volles Album durchzugehen. (8 Punkte)

Far Out In Aradabia – 2004

Nur ein Jahr brauchten die Trondheimer für den Nachfolger. Und beim Opener ´Arabs In Aspic II´ kommt der Humor der Norweger durch. Hieraus stammen die eingangs zitierten Zeilen. Untermalt werden sie durch schwere, fast schon SABBATH-artige Riffs. Diese sind dann nicht nur Teil des folgenden ´Hair Of The Sun´. Durch das ganze Album ziehen sich Klänge, die einer Rockscheibe von 1972 entstammen können. Laut und leise, Hammond und Mellotron, akustische Gitarren und Melodien zum Schwelgen. Selten hört man heute noch Musik, die so aus der Zeit gefallen scheint.

´Siseneg´, ´Talking Mushroom´, ´Come To Me´, Humor und Musikalität liegen nahe beieinander. Und streckenweise könnte der unbefangene Hörer vermuten, da war man im Studio nicht ganz nüchtern. Und da hat man das fast 19 Minuten fassende ´Butterpriest Jam´ noch nicht gehört. 19 Minuten Impro-Rock erster Güte, so kann es geklungen haben, wenn Ritchie Blackmore sich im Probenraum mit John Lord gekabbelt hat. Dieses instrumentale Schmankerl ist das Herzstück, der Höhepunkt. 

Das Debüt ´Progeria´, das eigentlich viel zu kurz geraten ist und der Nachfolger klingen sich so ähnlich, sind sich zeitlich ziemlich nahe. Es kann vermutet werden, dass beide Alben in einer Session aufgenommen wurden. Da auch qualitativ kein Abfall zu erkennen ist, hat auch Album Nummer 2 eine hohe Bewertung verdient. Der Humor und der ´Butterpriest Jam´ sorgen dafür, dass ich einen halben Punkt obenauf lege. (8,5 Punkte)

Strange Frame Of Mind – 2010

Sechs Jahre dauerte es nun, um einen Nachfolger einzutüten. In dieser Zeit gingen ARABS IN ASPIC einen Weg, den auch andere Musiker schon gingen. Ich würde das mal als Seitwärtsbewegung beschreiben. Denn ohne die Psychedelic- und Blues Rock-Wurzeln früher Tage zu leugnen, mogelten sich hier die ersten Prog-Elemente in den Sound. Das war wohl auch Folge des Einstiegs von Stig Arve Jørgensen an den Keys. Er wurde rekrutiert, nachdem sie ihn erlebten, wie er den Klassiker ´Hocus Pocus´ performte. (Es gibt eine CD-Version, die diesen Song als Bonus enthält, noch besteht Hoffnung, dass der Re-Release auch damit aufwartet.)

Nach Betreten des ´Aspic Temple´ ist schon die erste Begegnung mit dem tanzenden ´The Flying Norseman´, die diese neuen Einflüsse enthüllt. Erstmals finden sich hier leicht funkige, tanzbare Passagen. So ist ´Strange Frame Of Mind´ sicher das Bindeglied zwischen ganz frühen und heutigen ARABS IN ASPIC.

´Mørket´, hier kommt die Vorliebe für DEEP PURPLE wieder durch, bringt die nächste Überraschung. In diesem Song nutzen die Trondheimer erstmals ihre Muttersprache. Wer mich kennt, der weiß, mit muttersprachlichen Lyrics rennt man bei mir offene Scheunentore ein. Das schier babylonische Sprachengewirr nutzten sie auch auf ihren nächsten Alben. (Auch hier ist es Zeit, sie nochmals zu veröffentlichen.) Erst beim letzten Album blieb norwegisch außen vor, dem inhaltlichen Bedarf gedankt. 

´Strange Frame Of Mind´ wirkt nicht so homogen, wie die Vorgänger. Und es fehlt, trotz einiger guter Tracks, ein wenig ein roter Faden. Aber das dürfte klar sein, hier ging eine Band auf die Suche nach dem weiteren Weg. Diese Suche ist allerdings schon weitgehend geglückt. Mit ´TV´ erfolgt eine erste Beschäftigung mit dem Umgang mit elektronischen Medien, was zum Konzept von ´Magic And Madness´ führen sollte. ´Arabide´ wartet (nicht nur) mit schönen balladesken Tönen und starken Chören auf.

Ja, ich brauchte etwas länger, mich mit diesem Album anzufreunden. Vielleicht hätte ich ARABS IN ASPIC einfach nur früher kennenlernen sollen. Doch mit jedem Durchlauf mehr, entwickeln sich auch diese Stücke hier zu veritablen Ohrwürmern.

(8 Punkte)

Wer sich nicht mehrere Alben auf einmal zulegen möchte, wer einfach mal checken will, was hier musikalisch passiert, dem lege ich das schon erwähnte Livealbum ans Herz. Aber es schadet sicher nicht, tiefer in der Materie zu graben.

https://www.facebook.com/arabsinaspic

https://arabs.bandcamp.com/

Natürlich haben sie noch weitere Nachrichten zu berichten gehabt…

„Neuere Forschung hat festgestellt, dass die Sonne blondes Haar hat. Ein Pilot aus Eritrea meint aber, dass diese Forschung muss falsch sein. Er meint ganz sicher, dass sie rotes Haar hat. Das war die letzten Neuheiten, jetzt kommen unsere polnischen Jungfrauengäste.“