PlattenkritikenPressfrisch

PAUL GILBERT – Werewolves Of Portland

~ 2021 (Mascot Label Group) – Stil: Instrumentaler Gitarren Rock/Metal ~


Paul Gilbert muss man nun nicht unbedingt noch vorstellen. Seit Mitte der 80er Jahre ist er mit an der Speerspitze der Gitarrenvirtuosen, die damals aus dem Mike Varney-Dunstkreis oder anderen Quellen in hoher Zahl aufgetaucht sind. Paul spielte 1986 auf dem Debüt seiner Band RACER X ´Street Lethal´, einem Klassiker der Metal-Geschichte, der auch heute noch sehr gut in den Ohren klingt. Von 1989 bis 1996 wurde er dann zum Millionen-Seller bei MR. BIG. Daneben hat er immer wieder Solo-Platten veröffentlicht und auch hin und wieder etwas mit RACER X oder ab 2017 wieder mit MR. BIG.

´Werewolves Of Portland´ ist eine weitere „Instrumentalplatte“, bei der wieder bei sämtlichen Hobby-Gitarristen die Kinnladen Richtung Boden zeigen werden, denn Paul ist ohne Zweifel einer der großen Meister seines Fachs. In den 80er-Jahren bin ich gerne auf den Zug von Vinnie Moore, Yngwie Malmsteen oder Tony Macalpine aufgesprungen, hatte aber schnell bei den instrumentalen Gitarrenplatten einen hohen Sättigungsgrad erreicht. ´Werewolves Of Portland´ habe ich mir sehr gerne angehört, wenn ich auch zugeben muss, dass die Platte beim ganz Durchhören den unbegabten (gibt es eigentlich nicht) Gitarristen in mir doch etwas gestresst bzw. überfordert hat.

Paul frickelt und shreddert schon ordentlich, aber nie ohne Sinn und Verstand. Da der olle Corona-Virus die Anwesenheit anderer Musiker erschwerte bis unmöglich machte, nahm Multiinstrumentalist Paul die Platte einfach komplett selbst in die Hand und hat das bisschen Schlagzeug, Bass und Keyboards auch noch gleich alleine eingespielt. Das hört man jetzt aber selbstverständlich nicht. Aber vorne steht natürlich in aller Ehrfurcht die Sechssaitige.

 

 

´Hello! North Dakota´ heißt der Opener und der gibt die Richtung für das Album vor: ausgedehnte Gitarrenpassagen, vertrackte Rhythmen mit vielen Breaks, Melodie gepaart mit Virtuosität. Beim Folgesong ´My Goodness´ klingen auch die schwierigsten Passagen leichtfüßig und man darf schon neidisch auf die Künste des guten Pauls sein. Beim Titelsong zeigt Paul Gilbert, dass er auch saubere Riffs im Multipack mundgerecht servieren kann. Die Breaks gibt’s dazu im Überfluss und Ideen, die andere Gitarristen in einem halben Dutzend Songs servieren würden. Beeindruckend, aber auch ganz schön anstrengend für den „Bauchhörer“ und nicht Gitarrenprofessor (von mir ist die Rede).

´Argument About Pie´ ist dann wieder eingängiger, obwohl nach verhaltenem Beginn die technische Gitarrentrickschlagzahl auch hier schnell in den roten Bereich steigt, gibt es hymnenhafte, melodische Passagen, die leichter verdaulich sind. Bei ´Meaningful´ zeigt er, dass er auch Slide und Country kann. Na ja. ´I Wanna Cry (Even Though I Ain’t Said)´ schwankt zwischen Blues und Fusion. Das hätte Gary Moore auch auf ´Back On The Streets´ in der Post-COLLOSEUM II-Zeit einbauen können.

´Argument About Pie´ wäre mit dem Opener und dem sehr starken ´Problem-Solving People´, dem Mix aus Hendrix’scher Energie und Metal-Riffs, die Anspieltipps von meiner Seite (wenn sowas heute noch up-to-date ist).

Musikalisch ist das alles erstklassig und Paul Gilbert explodiert vor lauter Kreativität geradezu. Da hier aber ein schnöder – nicht des Gitarrenspiels mächtiger – Schreiberling sitzt, gibt es für die Überforderung der Gesamtpackung Paul Gilbert einen halben Punkt Abzug, dass sollten die „Yngwies“ (gibt es die noch? Oder wie heißen die jetzt?) unter der Leserschaft in ihre Bewertung miteinbedenken.

(7,5 Punkte)

https://www.facebook.com/paulgilbertmusic/


Pic: Jason Quigley
(VÖ: 4.06.2021)