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SILVER TALON – Decadence And Decay

~ 2021 (M-Theory Audio) – Stil: Dark Heavy/Power Metal ~


Seit meinem Review der EP ´Becoming A Demon´ ist nun bereits etwas Zeit vergangen und seitdem hat sich im Hause SILVER TALON auch einiges getan.
Aber immerhin hat sich meine Befürchtung nicht bewahrheitet, dass Sebastian Silva sich zu Gunsten der aufstrebenden und sehr erfolgreichen Goth-Rocker IDLE HANDS, die zwischenzeitlich aus markenschutzrechtlichen Gründen in UNTO OTHERS umfirmieren mussten, entscheiden und SILVER TALON verlassen könnte. Ganz im Gegenteil: Mit COBRA SPELL, die er mit seiner Freundin Sonia Nusselder (ex-BURNING WITCHES) gegründet hat, ist er nun auch noch in einer weiteren Band aktiv (von seinen langjährigen Aktivitäten in der Mercyful Fate/King Diamond Cover-Band LUCIFER’S CHILD ganz zu schweigen).

So abwegig war der Gedanke aber gar nicht, haben sich doch die ehemaligen, noch aus SPELLCASTER-Zeiten verbliebenen Mitstreiter Gabriel Franco (Bass) und Colin Vranizan (Schlagzeug) genau dafür entschieden und sind nun nur noch bei UNTO OTHERS aktiv. An ihrer Stelle sind Devon Miller, Michael Thomson und Walter Hartzell getreten, die mit Ausnahme von Devon alle bislang unbeschriebene Blätter sind. Letzterer hat sich bereits bei den vielbeachteten und ebenfalls aus Portland im Staate Oregon stammenden SABATEUR seine Sporen verdient, auf deren Debüt von 2018 er nicht nur die Gitarrensaiten gezupft, sondern das er auch mit seiner Stimme veredelt hat.

Wer nun gut aufgepasst hat, der wundert sich möglicherweise gerade ein wenig…zwei gehen raus und drei gehen rein? Genau, denn während Michael und Walter die vakanten Stellen am Schlagzeug bzw. Bass besetzen, kommt mit Devon eine dritte Gitarre ins Spiel und SILVER TALON wächst zu einem Sextett heran. Auf den Bühnen kleiner Clubs (mir fallen da so einige ein) könnte es zukünftig also recht eng werden. Die Auswirkungen des zusätzlichen Saiteninstruments sind aber nicht zu überhören und alles andere als bloß ein Instrument mehr auf der Bühne.

 

 

Bereits die ersten Takte des Openers kommen so gewaltig aus den Boxen, wie ich das vermutlich letztmalig bei den seligen NEVERMORE empfunden habe. Was für ein brachiales Eingangsriff! Die sich dann dazu gesellende Stimme von Wyatt Hall verpasst dem Ganzen eine überraschend epische Schlagseite, wobei sie mich in den höheren Tonlagen stark an jene von James Rivera (nur nicht ganz so hoch) erinnert, aber selbstredend auch immer eine Menge Warrel Dane dabei ist. Was für ein Kontrast…und wie gut das funktioniert. Die Zusammenarbeit von Schlagzeug, welches hier sprichwörtlich zum Glühen gebracht wird, dem sehr gut hörbaren Bass und den Gitarren, insbesondere die der dem Ganzen die Krone aufsetzenden und immer wieder zwischendurch aufblitzenden Leadgitarren, lässt ein Dauergrinsen auf meinem Gesicht erscheinen.

Mit ´Deceiver, I Am´ gelingt SILVER TALON auf ihrem neuesten Werk ´Decadence and Decay´ ein Einstand nach Maß. Auch ´Resistance 2029´ schlägt in die gleiche Kerbe, lässt aber den Lead-Gitarren deutlich mehr Freiraum. Kein Wunder, agiert doch Anders Lars-Erik Allhage aka Andy LaRocque, etatmäßiger Gitarrist bei KING DIAMOND, auf diesem Stück als Gastmusiker. Dementsprechend ist dieser Song speziell auf ihn und sein Instrument zugeschnitten. Auch das mit Keyboardklängen und insgesamt etwas ruhiger startende ´As The World Burns´ behält den brachialen Grundrhythmus bei, jedoch agiert Wyatt in diesem Stück noch epischer, um nicht zu sagen theatralischer, als in den beiden vorausgegangenen, was ja durchaus auch zum Songtitel passt.

Nach diesem Triple Triple-Axe-Attack (Okay, beim zweiten Song sogar ein Quadruple-Axe-Attack), bei welchem das vom Schlagzeug ausgehende Dauerfeuer drohte, für erste Ermüdungserscheinungen verantwortlich zu werden, überrascht der Beginn von ´Next To The Sun‘ mit den Klängen einer Flamenco-Gitarre. Hatte ich am Ende des dritten Stückes noch erlöst die in meinen Lungen zurückgehaltene Luft ausgeatmet, so sauge ich diese nun überrascht, aber ganz und gar nicht unglücklich über die ruhigen und melodischen Töne, die nun eine willkommene Abwechslung darstellen, wieder ein. Das Ganze hält aber gerade mal 1 Minute und 50 Sekunden an, bevor die „Wall Of Sound“ wieder entfesselt wird, allerdings ruhiger, melodischer, düsterer als das bei den Vorgängersongs der Fall gewesen ist und immer wieder auch von Parts unterbrochen, die für die Leadgitarren bestimmt sind.

Und so oder ähnlich geht es auch bei den nächsten Stücken weiter. Bei ´Divine Fury´ eröffnet das Schlagzeug tatsächlich wie eine wilde Furie mit einer Blast-Beat-Attacke das Stück und bei ´Kill All Kings´ dominieren neben Schlagzeug und Gesang auch schon fast malmsteenesque zu nennende Gitarren, bevor es bei ´What Will Be´ wieder an der Zeit ist, bei den Klängen einer Akustikgitarre kurz zu verschnaufen. Im Gegensatz zu ´Next To The Sun´ verbleibt dieses Stück bei den ruhigen und langsamen Klängen und entpuppt sich im weiteren Verlauf als gelungene Halbballade, was zu diesem Zeitpunkt durchaus willkommen ist. Zum Abschluss überrascht dann das mit knapp acht Minuten längste Stück ´Touch The Void´ als episch verträumtes Mid-Tempostück mit progressiven Gitarrenparts und Spoken-Word-Samples, die dem ganzen zwar stellenweise einen experimentellen Touch geben, aber in welchem vor allem auch nochmal zusammenfassend alle wesentlichen Stilelemente dieser Scheibe einen kurzen Gastauftritt haben.

Wie nicht anders zu erwarten und ich auch erhofft hatte, bleiben SILVER TALON auf ihrem Debüt der Linie, die sie mit der EP aufgezeigt hatten, treu. Zwar tief in den 80ern verwurzelt, klingt die Musik dennoch sehr modern, mit unheimlich viel Power, manchmal etwas thrashig, manchmal sogar mit progressiven Elementen (da sind wieder die Parallelen zu NEVERMORE) und gleichzeitig auch düster bedrohlich. Die Produktion hätte für meine Ohren etwas weniger schlagzeuglastig sein dürfen, aber gerade das werden die meisten Rezensenten und Fans vermutlich lieben. Ein richtiger Ohrwurm ist zwar nicht dabei, aber die Scheibe umschifft dennoch sicher die Klippen der Monotonie. Im Großen und Ganzen halten SILVER TALON auf ihrem Debüt das Niveau der EP. Deshalb erhalten sie von mir auch erneut

(9 Punkte)

 

 

Das Album wird Digital, als CD, auf Kassette und in einer limitierten Vinyl-Auflage erhältlich sein. Da ich nicht alle Einzelheiten hierzu an dieser Stelle auflisten möchte, es gibt zum Beispiel eine ´ectoplasmic miasma´ genannte Farbvariante, verweise ich hier auf den Shop des Labels.

Das in meinen Augen tolle Cover wurde vom bekannten Fantasy-Künstler Gerald Blom geschaffen, der unter anderem auch schon für ´Doom´ und ´World Of Warcraft´ künstlerische Beiträge geliefert hat.

Und zu guter Letzt noch die Information, dass ´Decadence & Decay´ von Zack Ohren (Eigentümer von „Castle Ultimate Productions“ und Gitarrist bei MIDNIGHT CHASER) und Gabe Johnston produziert worden ist.

https://www.silver-talon.com/
https://silvertalon.bandcamp.com/
www.facebook.com/silvertalonband

Line-up:
Wyatt Howell – Gesang
Bryce R. VanHoosen – Gitarre
Sebastian Silva – Gitarre
Devon Miller – Gitarre
Walter Hartzell – Bass
Michael Thompson – Schlagzeug


(VÖ: 28.05.2021)