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JOHN LENNON/PLASTIC ONO BAND – John Lennon/Plastic Ono Band – The Ultimate Collection

~ 1970/2021 (Universal) – Stil: Singer-Songwriter ~


John Lennon lernt 1966 die japanische Künstlerin Yoko Ono kennen. Zwei Jahre später sind sie ein Paar. Im November 1968 veröffentlichen John Lennon und Yoko Ono das Album ´Unfinished Music No.1: Two Virgins´ und im Mai 1969 ´Unfinished Music No. 2: Life With The Lions´. Das erste Werk bekommt allein aufgrund des Coverartworks seine gewünschte Aufmerksamkeit von der Weltöffentlichkeit, denn der Inhalt selbst birgt hauptsächlich nur Geräusche und Gespräche. Lennon und Ono posieren nämlich für das Coverfoto völlig nackt im Keller der Londoner Wohnung von Ringo Starr. Im März 1969 legt das Paar direkt nach seiner Hochzeit sein weltberühmtes „Bed-In“ für den Weltfrieden ein und der letzte Teil der „Unfinished Music-Reihe“ erscheint im Oktober 1969 unter dem Titel ´Wedding Album´. Nebstdem gründen sie die PLASTIC ONO BAND und veröffentlichen drei Singles.

Unterdessen zieht John Lennon während eines Bandmeetings und endlosen Diskussionen über die Zukunft der BEATLES den Schlussstrich. Sechs Tage später, im September 1969, wird noch ´Abbey Road´ veröffentlicht, das Album mit den berühmten Zebrastreifen der Londoner Abbey Road, ehe nach zehn gemeinsamen Jahren das Musikerkollektiv BEATLES implodiert, damit jeder von ihnen sein eigenes Leben führen kann.

Nach der Trennung veröffentlicht John Lennon im Dezember 1970 sein erstes Post-BEATLES-Werk. Das Album von JOHN LENNON/PLASTIC ONO BAND ist ein echter Seelenstrip. Eine beim amerikanischen Psychologen Dr. Arthur Janov noch nicht beendete Urschrei-Therapie, reißt John Lennon in den Strudel all seiner traumatischen Erfahrungen. Er verarbeitet in der Folge musikalisch nicht nur die Trennung der BEATLES, sondern auch seine elternlose Kindheit, den frühen Verlust des Vaters, den Tod der Mutter sowie seine Beziehungen zu Religionen, Idolen und vermeintlichen Vaterfiguren.

 


“War Is Over!”-Poster-Nachbildung aus der Plakat- und Posterkampagne,
1969 u. a. in mehreren Großstädten wie New York, Los Angeles, Toronto, Tokio, Rom und Berlin.

 

Zum 50-jährigen Jubiläum dieses einmaligen Werkes und zu John Lennons 80. Geburtstag findet sich bereits 2020 das Buch „John & Yoko/Plastic Ono Band: In Their Own Words & with Contributions from the People Who Were There“ ein. Als nächster Festakt erscheint im April 2021 in einem Acht-Disc-Super Deluxe Boxset ´John Lennon/Plastic Ono Band – The Ultimate Collection´. Dasselbe Team, das 2018 ´Imagine – The Ultimate Collection´ erarbeitet hat, Engineer Paul Hicks und die Mixer/Engineers Rob Stevens und Sam Gannon, präsentiert neben dem Urwerk im brandneuen Stereomix („Ultimate Mix“) unveröffentlichte und rare Demos, Outtakes und Jams, in der Summe 35 bisher unveröffentlichte Demos und Outtakes, insgesamt 159 Tracks.

Paul Hicks mischte das Originalalbum unter den Augen von Yoko Ono Lennon in den „Abbey Road Studios“ neu und originalgetreu. Besonders in 5.1 Surround Sound und Dolby Atmos wird der klare Sound deutlich, der ganz eindeutig die Stimme von John Lennon in den Mittelpunkt rückt. Die unveröffentlichten „Stereo-Outtakes“ enthalten etwa ´Mother´ ohne Glocke und ´Love´ ohne das Klavier von Spector sowie ´Cold Turkey´ mit funky Gitarren von Lennon und Eric Clapton. Weitere Outtakes der Songs geben Demo-Aufnahmen zu jedem Song preis. Ein ganz neues Hörerlebnis sind die „Elements Mixes“ von Paul Hicks, die bestimmte Elemente und Details der Songs zur größeren Beachtung in den Vordergrund stellen, etwa isolierte Gesangsspuren. Ebenso die „Raw Studio Mixes“, die den Hörer direkt den originalen Sessions beiwohnen lassen. Zum ersten Mal sind die 22 Jams zu hören, denen sich die PLASTIC ONO BAND mit Billy Preston und Phil Spector zwischen den Aufnahmen widmete, um zu improvisieren, etwa mit Chuck Berrys ´Johnny B. Goode´ und Fats Dominos ´Ain’t That A Shame´, oder einfach Spaß an einer Elvis Presley-Parodie zu haben. Auf der Blu-Ray ist obendrein erstmals die „Freeform-Jamsession“, die auf dem parallel veröffentlichten Album ´Yoko Ono/Plastic Ono Band´ ihren Platz fand, in voller Länge zu hören. In dreifacher Länge zum Originalalbum ist in diesen Sessions etwa die Version von ´Why´ achtzehn Minuten lang.

Als gewöhnliche Bonusse enthält die „Ultimate Collection“ endlich auch die drei Hitsingles aus 1969: ´Give Peace A Chance´, ´Cold Turkey´ und ´Instant Karma! (We All Shine On)´. Diese, dem Album vorausgegangenen Songs von John Lennon kennt die ganze Welt. ´Give Peace A Chance´ singt Lennon mit Yoko Ono und „LSD-Papst“ Timothy Leary, Allen Ginsberg, Derek Taylor sowie Petula Clark während des „Bed-Ins“ in Montreal am 1. Juni 1969 ein, derweil Mitglieder des kanadischen Radha-Krishna-Tempels durch das Zimmer tanzen. ´Cold Turkey´ entsteht während des „kalten Entzugs“ von Lennon und Ono und ´Instant Karma! (We All Shine On)´ schreibt John Lennon an einem Tag, nimmt es mit George Harrison an der Gitarre, Klaus Voormann am Bass und Alan White am Schlagzeug auf, und beendet es mit dem ebenfalls spontan in der Stadt anwesenden Musikproduzenten Phil Spector noch am selben Tag.

Das Album ´John Lennon/Plastic Ono Band´ ist hingegen von einem völlig anderen Kaliber. Vom Rock- und Psychedelica-Sound der BEATLES ist wenig zu vernehmen. Zu einer sparsamen Instrumentierung – mit Ringo Starr am Schlagzeug, Klaus Voorman am Bass und dem Produzenten Phil Spector – lässt John Lennon sein Herz sprechen und seiner Seele ihren Lauf. Keine Hit-Maschinerie, sondern eine dem Schmerz zugewandte Kompositionskunst entblößt sich.

Im neuen Vorwort schreibt Yoko Ono: “Was John und ich an den Alben mit der PLASTIC ONO BAND besonders mochten, war, dass wir der Welt damit eine ungeschönte, grundlegende und absolut aufrichtige Realität anboten. Wir beeinflussten andere Künstler, machten ihnen Mut. Wir machten diese Kombination aus Verletzlichkeit und Stärke, die zu der Zeit in der Gesellschaft nicht auf viel Verständnis stieß, zu etwas, auf das man stolz sein konnte. Für einen BEATLE war es geradezu revolutionär, zu sagen: ‘Schaut, ich bin ein Mensch, ich bin echt’. Das hat John eine Menge Überwindung gekostet.”

Natürlich und ehrlich ist diese Selbstreflexion. „We’re afraid of everyone“, singt John Lennon aus der ´Isolation´ heraus und klingt dabei als spräche er von dem Jahr 2021. Denn er und Yoko Ono sehen sich bereits anno 1970 abgekapselt vom Rest der Welt. Er beklagt als erstes den Verlust seiner Mutter, die ihn nach ihrer Scheidung in die Obhut ihrer Schwester gab. ´Mother´ ist auch der erste Song und beginnt mit dem Glockengeläut zum Verlust eines Menschen. Obwohl der Song natürlich die persönlichen Probleme von John mit seiner Mutter und seinem Vater in den Vordergrund stellt, soll er alle Eltern dieser Welt wachrütteln, es seinen nicht gleich zu tun. Klagend, schreiend ruft John seinen Schmerz in die Welt hinaus: „Mama don’t go, Daddy come home.“

Erst recht fangen Johns Stimmbänder Feuer, wenn er diese in ´Well Well Well´ malträtiert und ganz nebenbei eine Revolution angehen mag („We sat and talked of revolution. Just like two liberals in the sun. We talked of women’s revolution. And how the hell we could get things done.“), will er doch ein ´Working Class Hero´ sein, und malt dabei ein trostloses Bild des Lebens. Denn von Geburt an („As soon as you’re born, they make you feel small.“) drücken sie Dich nach unten und versuchen Dich, klein zu halten. Doch John besitzt mehr als einen Hoffnungsschimmer und stimmt mit ´Hold On´ den Optimisten an: „Hold on John. John hold on … Hold on Yoko. Yoko hold on. It’s going to be alright. You’re going to make the flight.“ Am Ende des kleinen Liedes sieht er sogar für die gesamte Welt das Licht am Ende des Tunnels.

Schließlich ist ihm in den letzten Jahren einiges klar geworden und er präzisiert es in ´I Found Out´. Er ist enttäuscht von den politischen und religiösen Führern, findet für Religion kein Verständnis mehr und hat daher mit ´God´ einen weiteren Anti-Religions-Song parat („God is a concept by which we measure our pain. I’ll say it again.“). Er glaubt nur noch an sich, an Yoko und an sich selbst, glaubt sogar nicht mehr an Robert Zimmerman aka Bob Dylan und die BEATLES: „I don’t believe in magic, I don’t believe in I-Ching, I don’t believe in Bible, I don’t believe in tarot, I don’t believe in Hitler, I don’t believe in Jesus, I don’t believe in Kennedy, I don’t believe in Buddha, I don’t believe in mantra, I don’t believe in Gita, I don’t believe in yoga, I don’t believe in kings, I don’t believe in Elvis, I don’t believe in Zimmerman, I don’t believe in Beatles.“ Ja, der Traum ist vorbei: „The dream is over. What can I say? The dream is over.“

Der Ex-BEATLE glaubt aber an die Liebe und spricht in ´Love´ die wahren Worte aus („Love is real, real is love. Love is feeling, feeling love. Love is wanting to be loved.“). Ihm bleiben auch allein die Liebe und die Hoffnung. Ob rosige oder unschöne Erinnerungen, die aus der Vergangenheit herüberstrahlend immer noch die Gegenwart beherrschen, ´Remember´ will diese mit dem Bezug auf den britischen Feiertag „The Fifth of November“ feuerwerksmäßig in einer Explosion auflösen. Die Erinnerungen an die eigene Mutter sind bei Lennons Traumata jedoch allgegenwärtig und so schließt er im Angesicht dieses anhaltenden Schmerzes das Werk in der Form eines Schlafliedes mit ´My Mummy’s Dead´ ab.

John Lennon war ein nackter Träumer, verletzlich wie ein Säugling, in einer rauen Welt. Seine einstigen Helden und Götter verblassen Anfang der Siebzigerjahre in der Finsternis der Geschichte. Alle Konstrukte seines bisherigen Lebens stürzen auf ihn ein, doch sie bleiben wie alle Emotionen und wiederentdeckten Traumata schmerzhaft spürbar und wechseln wie die Nacht mit dem Tage. Fürwahr: The dream is over.“

(Klassiker)

johnlennon.com

plasticonoband.com

facebook.com/johnlennon


Neben dem „Super Deluxe Boxset“ erscheint eine 1-CD-Version mit den „Ultimate Mixes“ des Originalalbums und den drei Bonus-Hit-Singles, sowie eine 2-CD- bzw. 2-LP-Version erweitert um eine Bonus-CD bzw. -LP mit den Outtakes von allen Songs.