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BRATS – The Lost Tapes – Copenhagen 1979

~ 1979/2021 (High Roller Records) – Stil: Punk ~


Das Leben ist wie eine Flipperkugel. Du stößt gegen ein Hindernis, und schon kullerst Du in eine komplett andere Richtung. Den Kopenhagener BRATS ist das zweimal passiert.

Zuerst 1979, als diese Aufnahmen gemacht wurden, für ein Album, das bei dem befreundeten Label „Irmgardz“ erscheinen sollte. Dann kam aber die „CBS“. Die wollten auch die BRATS. Und laut diesem Vertrag, durften keinerlei Aufnahmen außerhalb des Majordeals erscheinen. Also verschwand das hier zu findende Material in der Versenkung.

Der zweite Richtungswechsel war der Einstieg von Kim Bendix Petersen. Damit wurde diese Band, unter neuem Namen, zu einer lebenden Legende.

„High Roller Records“ haben jetzt also diese Aufnahmen aus 1979 entstaubt und durch Patrick W. Engel im Tempel der Disharmonie remastern lassen. So ganz die Ersterscheinung ist das aber nicht. In Discogs wird ein Vinyl-Release von 2008 via Arg!-Records angezeigt.

In der Besetzung Yenz Cheyenne (Gesang und Bass), Hank Sherman (Gitarre) und Lars Monroe (Drums) war auch schon ein Viertel der späteren MERCYFUL FATE am Start. Musikalisch aber trennen diese verlorenen Bänder ganze Welten von einem Jahrhundertwerk wie ´Melissa´ oder ´Don’t Break The Oath´. Garagenlastiger 3- bis 4-Akkorde Punkrock, die Lieder meist kaum länger als zweieinhalb Minuten. Kurz und knackig. One, two, und ab geht die Luzie, ´On Dope´, ´No School´. Auch wenn bei ´Sense My Boy´ die Bridge streckenweise fast metallisch klingt, die spätere Metamorphose ist nicht bis kaum zu erahnen. Oder, von heute gesehen, ein ahnungsloser Hörer dürfte kaum erraten, wessen Vorläufer hier zu hören ist.

Es ist einiges los. Da stibitzt ´Ladies´ im New Wave. Im dreieinhalb-Minüter ´Can’t Sleep´ darf soliert werden. Aber was hier zu hören ist, im Vergleich zu ´Satan`s Fall´ ist das noch Schülerbandniveau. Und es geht sogar noch länger. ´So Alone´ schafft knapp über sechs Minuten und klingt wie ein früher Alternative Garage Grunge Rocker. Ideen waren also zweifelsohne vorhanden. Aber man spürt, gerade hier bei dem eher langsamen Stück, so einige Wackler im Timing und Nachholbedarf beim Songwriting.

Nein, es war nicht alles ausgereift. Dafür war es Punkrock. Der war damals nicht perfekt, er sollte es nicht sein. Das kam erst mit dem Poppunk aus Kalifornien. Zumindest solange Ausstrahlung stimmen und Gefühl, kann man auf Perfektion auch verzichten. Und die stimmen hier schon. Irgendwie.

Trotzdem, ein neues aktuelles Album dieser Art, hätte ich recht zügig auf die Seite gelegt. Da bin ich dann lieber bei den Folgen der folgenden Richtungsänderung der Flipperkugel, dem Einstieg des Königs. Ohne ihn und ´Melissa´ wären die BRATS wohl auch vergessen. Kaufen würde ich ´The Lost Tapes´ nicht, für viele Fans ist es aber sicher ein Dokument, um ihre Sammlung zu vervollständigen. Und es ist ein Beispiel dafür, wie groß etwas ganz kleines werden kann.

Wenn es die Chance bekommt, zu gedeihen.

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