MeilensteineVergessene Juwelen

ABSTRAKT ALGEBRA – Abstrakt Algebra

~ 1995 (Megarock Records) – Stil: Power Prog Doom ~


Über Leif Edling, dem Mastermind von Bands wie CANDLEMASS, KRUX, THE DOOMSDAY KINGDOM oder in ihren Anfangsjahren auch AVATARIUM, braucht man vermutlich nicht viele Worte zu verlieren. Allerdings könnte es durchaus sein, dass nicht allen Lesern dieses Textes die Band ABSTRAKT ALGEBRA ein Begriff ist. Dieses Manko werde ich nun beheben, da es sich bei dem selbstbetitelten und leider auch ohne einen Nachfolger gebliebenem Album von 1995 um ein vergessenes Juwel handelt. Obwohl…zur Sache mit dem Nachfolger komme ich nachher nochmal zurück.

Der Anlass für die Gründung von ABSTRAKT ALGEBRA war allerdings ein trauriger, nämlich die erstmalige Auflösung von CANDLEMASS im Jahre 1994. Aber noch im selben Jahr scharrte Leif eine illustre Schar von Musikern um sich, mit denen er eine etwas andere Spielart des Doom praktizieren wollte. Unter ihnen befand sich auch Mike Wead, dessen Gitarrenspiel bereits auf dem 1987 Demo, der ersten Zusammenarbeit zwischen CANDLEMASS und Messiah Marcolin, zu hören ist. Interessanterweise gründeten Mike und Messiah nach der Auflösung von HEXENHAUS und der Trennung von Marcolin und CANDLEMASS im Jahr 1992 die Power Doom Band MEMENTO MORI, womit Mike Wead schon gut für das vorbereitet war, was mit ABSTRAKT ALGEBRA folgen sollte.

Ich umschreibe die Musik von ABSTRAKT ALGEBRA mal mit progressivem Power Doom, wobei die Bezeichnung Power in diesem Fall durchaus ernst zu nehmen ist. Daran nicht ganz unschuldig ist vor allem der Sänger Mats Levén, der bei ABSTRAKT ALGEBRA die Gelegenheit bekam, seine außergewöhnlichen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Bereits zwei Jahre später durfte er dies vor einem breiteren Publikum tun, als er für Yngwie Malmsteen das Album ´Facing The Animal´ einsang. Für den progressiven Einschlag bei ABSTRAKT ALGEBRA ist aber zweifelsohne Mike Wead verantwortlich, der diese Leidenschaft schon bei der technischen Thrash/Speed-Metalband HEXENHAUS hatte anklingen lassen.

Bereits das erste Riff des Openers ´Stigmata´ macht deutlich, dass hier kein getragener epischer Doom zum Vortrage kommt. Und wie um das zu unterstreichen, beginnt der Song auch mit den Worten „Like a ton of bricks“. Schwer und hart wie Ziegelsteine prasseln die Noten in bester US Metal-Manier auf den Zuhörer nieder und Mats Stimme windet sich druckvoll aggressiv durch diese hindurch. Auch das nachfolgende ´Shadowplay´ hält den Druck aufrecht, lässt aber die Stimme von Mats noch einen Tick besser und vor allem melodischer zur Geltung kommen. Aber bereits ´Nameless´ entzieht sich einer eindeutigen Kategorisierung, doomiger und progressiver als die beiden Vorgänger mit vielen Tempowechseln bietet es zwar viel Abwechslung, aber auch keinen leichten Zugang und ist sicherlich nichts für den schnellen Musikkonsum zwischendurch. Noch eine Schippe in Sachen Strangeness legt dann das Titelstück drauf, welches mit einer Reihe von Soundsamples beginnt, dann aber seine ganze hypnotische Wirkung entfaltet und das Können von Mats Levén endgültig offenbart. Drückend schwer windet sich ´Bitter Roots´ aus der Rille, bevor mit ´April Clouds´ die Grenzen des Doom weiter ausgelotet werden, als dies jemals zuvor (und danach) von Leif mit einer seiner Kapellen, inklusive CANDLEMASS, getan worden ist. Bedrohliche Orgelklänge und geflüsterte Worte von Mats lassen das Stück zäh wie Lava durch die Boxen quellen und ziehen den Zuhörer hinab in einen mit ewiger Düsternis gefüllten Schlund. ´Vanishing Man´ verfügt über einen schon fast „Industrial“ zu nennenden Sound, zu dem sich die zumeist verzerrte und daher kaum wiederzuerkennende Stimme von Mats gesellt. Wenngleich durchaus interessant zu nennen, handelt es sich dabei meiner Ansicht nach aber um das schwächste Stück auf dieser Scheibe. Dieses Urteil kann man über das abschließende, über 15-minütige ´Who What Where When´ mit Sicherheit nicht fällen, welches gleich mit einem derart monstermäßigen Riff beginnt, das so auch auf jeder Scheibe von CANDLEMASS seine Wirkung hätte entfalten können. Auch Mats agiert wieder in Höchstform und das Stück entwickelt sich im weiteren Verlauf zu einer wahren Wundertüte an vertonten Ideen, die über weite Strecken rein instrumental vorgetragen werden.

Insgesamt steht dieses letzte Stück stellvertretend für die gesamte Scheibe. Riffbetont mit wenig Gitarrensoli. Doomig und gleichzeitig mit enorm viel Power, aber immer auch leicht experimentell progressiv. Spannend und alles andere als monoton. Aber sicherlich auch nichts, um nebenbei Hegel oder Kant zu lesen.

Tatsächlich arbeitete Leif an einem Nachfolger für dieses Album, wobei sich die Arbeiten daran in die Länge zogen und viel Geld im Tonstudio verschlangen. Da kam ihm wohl der überraschende Vorschlag von „Music For Nations“ ganz recht, ihm eine Platte zu finanzieren, falls er CANDLEMASS wieder zusammenführen und das Album unter diesem Banner erscheinen würde. Flugs hatte Leif eine (fast) neue Mannschaft um sich versammelt, zu denen unter anderem auch Michael Amott (ARCH ENEMY, SPIRITUAL BEGGARS etc.) gehörte, und das bereits zu Papier und zum Teil auch schon im Studio auf einen Tonträger gebrachte Material an CANDLEMASS’sche Songstrukturen angepasst. So ganz ist ihm das dann aber doch nicht gelungen, denn das ´Dactylis Glomerata´ genannte Werk kam, wie bereits das Album von ABSTRAKT ALGEBRA, nicht so recht bei der Anhängerschaft von CANDLEMASS an.

(Es existieren zwei Re-Release der ´Dactylis Glomerata´ auf DoCD von „GMR Musi“ 2006 und „Peaceville Records“ 2008, bei denen die zweite CD 1997 von Mats Levén eingesungen worden ist und das enthält, was die zweite Scheiben von ABSTRAKT ALGEBRA hätte werden sollen. Viele der Stücke finden sich auf der ´Dactylis Glomerata´ wieder, dort allerdings neu arrangiert und von Björn Flodkvist eingesungen.)

Zur neuen Besetzung von CANDLEMASS gehörten übrigens mit Jejo Perkovic am Schlagzeug und Carl Westholm an den Keyboards zwei ehemalige Mitglieder von ABSTRAKT ALGEBRA zum Line-Up, wobei letzterer im Booklet des Albums von ABSTRAKT ALGEBRA lediglich als Musiker am „Additional Keyboard“ aufgeführt wird. Aber wie so viele andere Musiker, die irgendwann von Leif engagiert worden sind, taucht auch er in dessen Curriculum noch mehrmals auf. So bedient Carl ebenfalls die Tasteninstrumente bei KRUX und auf den ersten beiden Longplayern (und EPs) von AVATARIUM. Auch Sänger Mats Levén ist auf zwei EPs von CANDLEMASS zu hören, die er vor wenigen Jahren eingesungen hat und steht ebenfalls bei KRUX am Mikrofon. Ich mag die Stimme von Mats sehr und finde, dass sie einen perfekten Kontrast zu den dunklen Riffs von Leif setzt, aber es ist wie immer. Die Anhängerschaft von CANDLEMASS verbindet diese Band mit Messiah und lässt keinen zweiten Sänger neben diesem am Mikro dieser Band zu. Somit wird wohl der Liveauftritt von CANDLEMASS mit Mats auf dem Hammer Of Doom des Jahres 2015 der erste und letzte in dieser Kombination gewesen sein, den ich je gesehen haben werde, denn zwischenzeitlich ist er dort durch den (Gast-)Sänger des Debüts Johan Längquist ersetzt worden.
Lediglich mit den beiden Gitarristen von ABSTRAKT ALGBEBRA haben sich Leifs Wege nach der Auflösung der Band nie wieder gekreuzt. Beide sind aber danach auch so sehr erfolgreich unterwegs gewesen. Mike Wead bei KING DIAMOND und MERCYFUL FATE und Simon Johansson bei MEMORY GARDEN und neuerdings bei WOLF.

Aus heutiger Sicht ist es mir absolut schleierhaft, wieso dieses Werk bei der Metal-Gemeinde nicht die ihm gebührende Beachtung bekam, oder genauer gesagt, mit Missachtung gestraft wurde. Vermutlich war es einfach nicht die richtige Zeit und vermutlich hatten die Anhänger Leifs ein Album in der musikalischen Tradition von CANDLEMASS erwartet. Demzufolge lag die mittlerweile längst vergriffene und nicht mehr allzu häufig aufzufindende CD lange Zeit wie Blei in den Regalen und es ist wohl kaum darauf zu hoffen, dass das Album in absehbarer Zeit wiederveröffentlicht werden wird, erst recht nicht als LP. Aber falls doch, dann sollte das dann verantwortliche Label über die Verwendung eines anderen Artworks nachdenken, denn das Originalartwork ist meines Erachtens nicht gerade dazu angetan, die potentielle Käuferschicht anzusprechen und dazu zu animieren, in das Album hineinzuhören.