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MARTY FRIEDMAN – Tokyo Jukebox 3

~ 2021 (Mascot Label Group/The Players Club) – Stil: Shred ~


Folgende Situation. Nach mehreren Durchläufen von MARTY FRIEDMANs aktuellem Dreher ´Tokyo Jukebox 3´ erfasst mich ein wenig Neugier. Wie klingt denn so ein J-Pop-Song im Original, einer von dieser Auswahl? Also nutze ich das gerade freie Notebook und gehe auf die Suche. Zur aktuellen Single ´Makenaide´ finde ich zwei Videos. Das von MARTY und eines mit der Fassung der schon 2007 verstorbenen Sängerin ZARD. Diese ist auf der Bühne zu sehen, mit großer Besetzung vor einem seltsam verhaltenen Publikum. Während sie also dies Lied singt, betritt mein Sohn den Raum. Besorgt schaut er mich an, ob ich denn jetzt neuerdings Animés ansehe?

Recht hat er. Die Wirkung ist ähnlich. Ein leichter Zuckerschock, dennoch gefällt mir was ich sehe besser, als etwa 90% des Radiofutters heutzutage.

(Instrumentale) Soloalben von Gitarristen sind nicht wirklich eine große Liebe von mir. Das erste Album von VIENNIE MOORE, ´Minds Eye´, ist ein gern gehörtes Stück Musik. Auch MALMSTEEN geht gut, dank der guten Sänger, zumindest in der Frühzeit seiner Karriere. Schon schwieriger aus 1994 ´The Dark Chapter´ von MICHAEL ROMEO, das doch eher nur im Regal steht. STEVE VAI und JOE SATRIANI, so gute Musiker sie sind, ich werde nicht warm. Und beim LIQUID TENSION EXPERIMENT bin ich froh, dass sie es schaffen nach einer Band zu klingen und eben nicht nach dem Solovehikel eines John Petrucci.

Und dann ist da noch MARTY FRIEDMAN. In dessen Curriculum Vitae stehen Highlights wie CACOPHONY, HAWAII und MEGADETH. Dazu kommen seit 1988 eine ganze Reihe Soloalben. Sein zweites, ´Scenes´, 1992 erschienen, hat einen Ehrenplatz bei mir. Immer oft und gern gehört, vor allem wegen der guten ruhigen Stücke war es auch Begleiter in einige Ferienfreizeiten für Meditationen und ruhige Momente. Schon da hat Marty keinen Hehl gemacht aus seiner Liebe zu Japan. ´Scenes´ entstand in gemeinsamer Arbeit mit KITARO. Dieser japanische Musiker dürfte vor allem Liebhabern elektronischer Klänge bekannt sein.

Seit 2003 lebt er nun auch im Land der aufgehenden Sonne. Er trat dort in TV-Shows auf, musizierte mit weiteren japanischen Musikern. Es verwundert also sicher nicht, hier (nicht zum erste Male) japanische Popmusik neu zubereitet serviert zu bekommen.

Am schon erwähnten Track ´Makenaide´ kann der Hörer erschließen, wie Marty das Ganze angeht. Er nimmt jeden Song ernst, unterstreicht auch erst einmal die süßlichen Melodien. Dann aber nutzt er Breaks, Taktwechsel, Harmonieänderungen, um diesen Zucker mit dunklen, bitteren Momenten zu brechen.

Fast würde ich soweit gehen, zu behaupten, klanglich könnte diese Scheibe auch von John Petrucci stammen. Allerdings lässt jener spätestens seit ´Octavarium´ die nötige Portion Ironie vermissen, die für dieses Album benötigt wurde. Die Liebe zum japanischen Pop und eine gewisse ironische Distanz sorgen dafür, dass auch Menschen, die nichts mit Animés anfangen können, mit Figuren mit kugelgroßen Augen, mit einer fast diabetischen Süßigkeit, dass auch diese Fans ´Tokyo Jukebox 3´ ohne Bauchweh genießen können.

Leider gibt es nicht die vielen ruhigen Momente, die man von ´Scenes´ kennt. Dafür gibt es ein tänzerisch leichtes ´Kaze Ga Futeiru´, ein angriffslustiges ´U.S.A.´ oder das vertrackte ´Shukumei´.

Eine ältere eigene Nummer, ´The Perfect World´, wurde 2018 ursprünglich als Soundtrack der Netflix-Serie „B: The Beginning“ veröffentlicht und landete direkt an der Spitze der japanischen Charts. Auf der neuen Fassung nun arbeitete er mit der japanischen Sängerin ALFAKYUN. Ich finde es eine angenehme Abwechslung, auch ein Gesangsstück zu finden, allerdings ist das eher eine schwächere Nummer.

Noch ein Track ist spannend. ´Japan Heritage Official Theme Song´ ist eine weitere eigene Komposition, entstanden im Auftrag der japanischen Regierung, um als offizielle Hymne das Erbe Japans zu feiern. Hier stand ihm gleich mit dem TOKYO PHILHARMONIC ORCHESTRA ein ganzer Klangkörper zur Seite. Und endlich gibt es auch die ersehnten ruhigen Töne.

Für ein instrumentales Album mit Shred-Anteilen bin ich angemessen positiv überrascht. Selten bin ich in letzter Zeit durch einen virtuosen Musiker nicht nur durch brillante Technik sondern auch durch ansprechende Musik begeistert worden. Das ist doch wenigstens 8 Punkte wert.

https://www.facebook.com/martyfriedman.official