Bands der StundeMeilensteine

SAGA: A beginner’s guide through Uncle Alberts eyes – CHAPTER III

~ ´Scratching The Surface´ – Zwei Meilensteine, für die eine Seite des Atlantiks nicht bereit war ~


 

 

Nachdem SAGA gerade mit ihrem Best-Of-Akustikalbum ´Symmetry´ ein Lebenszeichen von sich gegeben haben, wird es allerhöchste Zeit, unsere kleine Retrospektive um ein weiteres Kapitel zu ergänzen. Wir begeben uns also zurück ins Jahr 1983. Mit dem besonders durch Liveauftritte hart erarbeiteten, exzellenten Ruf und dem weltweiten Erfolg des Magnum Opus ´Worlds Apart´ sollte die Karriere meiner fünf Lieblingskanadier endgültig durch die Decke gehen, doch wie wir alle wissen: Life’s a bitch…und das Showbiz umso mehr. Die Achtziger brachten durch neue Radiohörgewohnheiten und die Entwicklung neuer, elektronischer Sounds so manches alte Siebziger-Schlachtschiff ins Wanken. Mehr oder weniger erfolgreich arangierten sich Bands wie GENESIS, KANSAS, RUSH, STYX oder YES mit den neuen Gegebenheiten oder Anforderungen (oft durch Labelseite, die Airplay-taugliche Songs forderten). Einigen kann man durchaus eine künstlerische Weiterentwicklung attestieren, doch die „alten“ Fans wendeten sich häufiger enttäuscht ab.

SAGA dagegen entstanden direkt in dieser Zwischenzeit von auslaufenden Prog-Giganten und neu aufkommenden Pop-Interesses und arbeiteten schon von Anfang an mit innovativen Keyboardsounds bis hin zur Mitentwicklung und der Etablierung der E-Drums, was eines ihrer Markenzeichen werden sollte, noch bevor jeder zweite männliche Schulballgänger bei der Kuschelrunde mit Phils ´In The Air Tonight´ lediglich auf das legendäre Break wartete, um punktgenau wild mit den Armen in der Luft rumzufuchteln. Doch „back to business“, wie die Geschäftswelt sagt. Auch SAGA, die eigentlich für die 80er bestens gewappnet sein sollten, rutschten langsam in eine Krise, wie ihr in unserem Chapter IV bereits erfahren konntet. Es lag zumindest anfangs weder am geänderten Original-Logo – das die Fans ebenso wie das Maskottchen der ersten drei Platten „Uncle Albert“ liebten und das zackig-knackig genau diese explosive Live-Energie darstellte, die später das Markenzeichen der kommenden Metalbands werden sollte – noch an den Songs der nächsten beiden Outputs, die nach dem ersten Klassiker-Quartett zumindest noch essenziell waren oder doch auf ihre eigene Art am Klassikerstatus nagten. Doch genug der Worte, hört selbst, werft die Münze – Kopf oder Zahl… und benehmt euch!

1983 – Heads Or Tales

 

 

Mit ´Worlds Apart´ eroberten SAGA die Welt endgültig im Sturm, doch aus irgendeinem Grund geriet danach der globale Siegeszug ins Stocken. An der künstlerischen Qualität des direkten Nachfolgers lag es meines Erachtens allerdings nicht. Geschäftliche Entscheidungen und Missmanagement sollten die Geschicke und Finanzen einer der individuellsten Bands der Musikgeschichte in den kommenden Jahren in den Keller fahren.

Erneut arbeitete man mit dem genialen Künstler und Produzenten Rupert Hine (R.I.P.), der Power und Sound wie noch nie zuvor geliefert hatte, ohne die Band in eine Richtung zu drängen. Auch ´Heads Or Tales´ strotzte nur so vor Kraft und ist bis heute sozusagen das Progmetalalbum der Discografie. Härter und explosiver – möglicherweise auch kantiger – waren SAGA nie wieder und weichten dabei eigentlich gar nicht so weit vom vorherigen Erfolgsrezept ab. Auch die extrem kurze Aufnahmezeit im Studio hatte keinen Einfluss auf die Güte dieses Albums, doch der eben noch geknackte und sehnlichst angepeilte Markt USA ließ dieses Werk in noch kürzerer Zeit durchfallen, kein Mensch weiß bis heute warum.

Aber kommen wir einfach ohne große Umschweife und mysteriöse Verschwörungstheorien auf den Inhalt, der so ganz anders klang wie der Sound auf dem Signature-Album ´Worlds Apart´ und doch wiederum durch den 2020 leider verstorbenen Rupert Hine – dessen Karriere als Produzent vieler namhafter Künstler und auch Musiker unter seinem Namen als auch TINMAN eine eigene Abhandlung wert wäre (ich bin noch jung und es ist nicht aller Tage Abend) – eine unverkennbare, einmalige Soundpolitur erfuhr.

 

 

Auf unserer Seite des großen Wassers liefen das fulminante ´The Flyer´ und das außergewöhnlich-schön-loopende ´Scratching The Surface´ auf jeden Fall regelmäßig im Radio – zumindest bei den Stationen, die ich hörte und die damals noch Leute mit Geschmack im Studio sitzen hatten. Zu dieser Zeit wurden jene Titel auch regelmäßig von den Hörern in die wöchentlichen Top-Listen gewählt. Ebendieser Opener ´The Flyer´ zeichnet sich durch einen überirdischen Drive aus und ließ Ian Crichton derartig viel Spielraum für seine unnachahmliche Gitarrentechnik, die in einer konstruktiven Konkurrenz zu Jim Gilmours Keyboardsounds stand, wie es nur die Lord-Blackmore-Duelle bei DEEP PURPLE in einen gleichberechtigten Kontext bringen konnten. Dazu unterstrichen die Lyrics den unbändigen, unbremsbaren Willen der Band, sich wie Ikarus in Richtung Rock-Olymp zu schwingen:

Just hang on a minute
I’ll try hurry back
I hate to make you wait
But I’m going and I’m going fast
I’m the flyer
With only one desire
I’m the flyer
Nobody’s gonna shoot me down

Boah, diese trockenen Drums, die mit Bläsern und dem unerbittlichen Bass von Jim Crichton unterlegt eine gewisse Härte an den Tag legten, die sich durch das gesamte Album zog. Dazu diese friedliebenden, harmonischen Keyteppiche, vor denen die Gitarrenlicks Michael Sadlers prägnanten Gesang umschnurrten. Das muss man erstmal auf sich wirken lassen. Hypnotisch, aber treibend verlangte ´Catwalk´ gerade nach einer Jazz-Session der Improvisation, wie sie auch als Bonustrack oder „extended Version“ auf Tonträger gebannt wurde und sich zu einem Lehrstück für Musiker auf der einen Seite als auch einem Ohrgasmus der rein hörenden Zunft entwickelte – wer außer mir spritzt ab bei einem gewissen epischen Part, der leider nur einmal kommt, den andere Bands jedoch als Kernthema für ein komplettes Konzeptalbum genommen hätten? Ian rules!

Entspannung heißt bei SAGA auf ´Heads Or Tales´ weiterhin Qualität mit einem speziellen Sound, dem ´Sound Of Strangers´, der gewohnt swingend losläuft und in ein Instrumentalinferno ausartet, in dem sich Keys und Gitarre so lange umtanzen, bis es Steve Negus an der Schießbude zu bunt wird und er mit einem Drumfill herausexplodiert und uns wieder in den Song zurückholt. So, ihr Lieben, jetzt könnt ihr sagen, was ihr wollt, aber ´The Writing´ ist fucking HEAVY METAL! Mit Bläsern. Eine gewisse Düsternis, die niemand bei SAGA vermuten würde, steigert sich in metallische Epik! Mein kleiner Metalverstand sieht hier nach ´Tired World´ vom Debütalbum das Potenzial in einem Song, der sich für eine fähige Metalband zur Coverversion anbieten würde…wer sich traut. Mystische Textzeilen drehen sich ironischerweise um das Verlieren und das Quäntchen Glück, welches in der realen Welt nicht so sehr auf dem Weg lag:

The sun is in the fifth house
You are sure to feel its strong effects
The clouds are clearing away
This losing streak will end today
The writing is on the wall
Those words will change it all
The writing is on the wall
Good luck is just the thought

Mystik ist nun „the Name“, ´Intermission´ is the Game. Eine der schönsten zurückgeschalteten Nummern mit Sequenzer-Rhythmus liefert Michael Sadler die große Bühne für sein gefühlvolles Organ, während sich E-Bass und die gesamte Band um die wunderschöne Gitarrenarbeit eines Ian herumschlängeln. Pure Harmonie. „Warum labert der Typ immer von „Hardrock“ und dem „härtesten“ SAGA-Output?“ Der ´Social Orphan´ gibt im Uptempo die Antwort und wer das gerade nicht nachvollziehen kann, ist hoffnungslos Doublebass-abhängig. Mann, würde ich mir wünschen, dass irgendeine Band die Eier hätte, diesen Ausbruch an Lebendigkeit zu covern! Ha! Wenn irgendwer einen Song wie ´Helpless´ als Schwachpunkt seiner Platte (verzeiht mir, so fühlte ich damals) zu bieten hat, dann bitte! Denn dieser etwas kommerzieller ausgerichtete Song (hahahaha, fripp you, commerce) bietet im Instrumentalteil mal wieder alles, was die Verantwortlichen im Radio noch nie haben wollten, jedoch den Fan beglückt.

 

 

Dafür gab’s ja das von Keyboarder Jim Gilmour wunderschön gesungene ´Scratching The Surface´, welches durch seine Machart irgendwie schon dem Zeitgeist damals entsprach (zumindest im Provinzradio), aber nicht unterschätzt werden sollte. Die Loops mit diesen hymnenhaften Guitarlicks sind einzigartig – ebenso einzigartig wie das bedeutendste Break in der Geschichte der elektronisch unterstützten Gitarrenmusik, wenn Steve diesen unglaublich geilen Roll über die Toms zelebriert und das synchron mit Gitarre und Keys. L.E.G.E.N.D.Ä.R.

Scratching the surface
You better come up for air
A new experience to get you there
Scratching the surface
You better come up for air
Strapped to the media, a machine for fear

Genau so unglaublich außergewöhnlich die musikalischen Abenteuer des ´Pitchman´, der im Instrumentalteil ein weiteres Mal die Synchronizität von Drums, Gitarre und Keyboard feiert. Jetzt ist es mir klar, warum SAGA niemals gecovert wurden, es ist schlicht und einfach trotz aller Skills der neuen Generation an Musikern unmöglich, denn was diese fünf Personen damals ablieferten, kann man nur als Mannschaft, als fünf Freunde durchziehen. Die innere Uhr tickte zu dieser Zeit einfach gleich bei allen Mitgliedern, leider lief im Hintergrund die Sanduhr des Erfolges weiter unausweichlich ab. Life’s a bitch! And the business as well.

 

1985 – Behaviour

 

 

Neues Label (BMG in Europa), anderes Studio, selbst gemacht mit neuem Co-Produzenten – neues Glück? Auch dieses Werk hätte das Zeug dazu haben müssen, SAGA den verdienten Erfolg zu bescheren, zumal man diesmal einen noch perfekteren Spagat machte zwischen kommerziellerem Material, das dennoch Klasse besaß und den typischen Trademark-Krachern. Auf den ersten Blick oder Hördurchgang entdeckte der alte Fan zwar schon einige AOR- bzw. Radio-Anbiederungen oder etwas mehr cheesy Zutaten, doch das Niveau lag im Nachhinein deutlich über der Latte zum zeitgenössischen Pop. Auch bei mir dauerte es einige Zeit, bis ich die Genialität einiger Kompromisse und Kurskorrekturen verarbeitet hatte – danach wurde dieses Album jedoch zum Dauerbrenner wie die bisherigen fünf Klassiker, von denen es sich natürlich schon unterscheidet. Vielleicht war es durch den äußeren Druck zu kopflastig und es wurde diesmal zu aufwendig oder zu lange daran gefeilt. Hinter den Kulissen brodelte es schon beim Songwriting- und Aufnahmeprozess, die Einheit der Band schien Risse zu bekommen.

Nichtsdestotrotz knallt dieses letzte hoffnungsvolle „make-it-or-break-it“-Album in der vorläufigen Erfolgsbesetzung gnadenlos auf mich ein. Wer wäre so mutig und setzt einen derart verqueren Rhythmus hinter den kommerziell ausgerichteten Opener ´Listen To Your Heart´, in das Michael Sadler seine verdammte Seele mit aller Inbrunst hineinsingt? Dieses Lied hat alles, was die 80er so toll gemacht hat – Nonkonformität, Eigensinn, Experimentelles und dazu noch fucking real SAGA inklusive Liebeserklärung an die Fans:

If you listen to your heart
You’ll know what you want to do
Just look into my eyes
You know I’ll care for you
Listen to your heart
You know that you want me too
No matter where you go I’ll be there for you

Weitaus einfacher scheint der folgende Brecher ´Take A Chance´, der in der Tradition von Hitsingles wie ´Wind Him Up´, ´On The Loose´ oder ´The Flyer´ stehen sollte, aber irgendwie nicht mehr den Zeitgeist getroffen hat. Fuck the times! Hört euch diesen Song heutzutage auf eurer mittlerweile aussagekräftigen Heimanlage an – wieviel SAGA mehr soll noch gehen? Meisterwerk. Und gaaaaanz anders, aber gaaaaanz genauso genial erklingt mit meinem heutigen Wissen die damalige Chartanbiederung ´What Do I Know´, die rein als Song gesehen mit diesem musikalischen Können im Hintergrund so ziemlich alles wegbläst, was im seichteren AOR Sektor jemals gelaufen ist. Ihr Neider, versucht mal solch‘ einen perfekten Song zu machen.

 

 

Natürlich kann ich aus eigener Erfahrung mit meinem damaligen Dickkopf verstehen, dass jemand sagt: „Määäh, das war nicht mehr „uns“ SAGA. Dafür sollte aber ´Misbehaviour´ direkt wieder hinweghelfen, denn da war mal wieder alles drin: dieser Rhythmus, wo man mitmuss, der unbändige Lebenswille, Skills, Melodie, Sadler & die Gang – wat willste mehr??? Noch heute rätsele ich über die Namensbedeutung des Intros ´Six Lives Of Miss Midi´ zu der folgenden grandiosen Synthesizerballade ´You And The Night´, aber vielleicht klärt mich ja ein Wissender noch auf. Fakt bleibt, dass die Stimme eines Michael Sadlers in ihrer ganzen Euphorie des flotten Artrocks zuweilen nach Balladen schreit und dieses Stück nicht zuletzt aufgrund der perfekt gesetzten Percussion zum Gesang einfach ein Meisterwerk geworden ist. OK, ihr kampflustigen Alt-SAGA-Fans, die ihr keinerlei „Compromise“ wollt…kann ich euch denn nicht mal mit ´Out Of The Shadows´ aus euren dunklen Nischen rauslocken?

Hiding forever
I’ve got to break free from these chains
I’m not afraid to face the spotlight
I’m stepping out
Coming out of the shadows
I’m not afraid to face the daylight
I’m stepping out
Coming out of the shadows

Ab jetzt wird’s zum künstlerisch anspruchsvollen Wechsel wieder traditionell, das heißt SAGA mit (noch mehr) Druck und Power wie man es sich erträumt. Aber genau das ist auch live das Markenzeichen dieser Kanadier, auch mit dem folgenden ´Easy Way Out´, welches in Sachen knallendem Hitfaktor dem legendären Rocky-Soundtrack-Hit unseres geliebten Robert Tepper in nichts nachsteht – außer dem breiten Erfolg. Wenn immer ich von „Schwachpunkt der Platte“ rede, muss man bedenken, dass 35 Jahre vergangen sind, ich vielfältiger unterwegs war als zu dieser Zeit und mit meinem durch die Zeit geschulten Bewusstsein mittlerweile sagen kann: Nonsens.

Kommerziell, aber um 35 Jahre besser, was heutzutage unter dem Namen geliefert wird, erklingt die zweite Ballade ´Promises´. Aha, da sind sie wieder, die ewig gestrigen, die Lästerer, die ´Behaviour´ zweimal gehört haben und nicht mal die Eier hatten das Duo ´Here I Am´ und das mit zartem Übergang abschließende ´Once Upon A Time´ als ebenbürtige Klassiker im SAGA-Klassikerkatalog zu verbuchen. Meine etwa gleichaltrigen Freunde, hört es euch noch einmal an und zwar laut und nicht auf dem damals üblichen „Zony-Folkman“ und auch nicht auf dem schicken, zeitgemäßen Phone, sondern in elegantem Ambiente zu Hause. Zwei Boxen, Plattenspieler oder CD, Verstärker und L.A.U.T. – denn wir wissen, dass wir mittlerweile halb taub sind und können uns die Zeit nehmen, an glorreiche Tage zurückzudenken:

As a child
Each day seemed to last forever
All the answers
To mysteries were mine to uncover
As a child I was entertained by simple pleasures
All the questions
Were ways to find the hidden treasures
As a child
Sheltered by my innocence
I was searching
For ways to climb the highest fences
The days go by
Where did the time go
Goodbye once upon a time
No more thinking I’m past my prime
Goodbye once upon a time
No more living in the past
What’s mine is mine

 

Uff. Zwei Scheiben am Stück in einem emotionalen Hoch. 00:48 Uhr. Nur zwei Gläser Whisky. Doppelschwör. Oder waren’s drei? Ich verneige mich vor SAGA mit der Gewissheit, zwei meiner (vielen) erklärten Lieblingsscheiben von SAGA nach bestem Wissen und Gewissen neu interpretiert und genossen zu haben und freue mich über euch alle, die ihr wissen wollt, was vorher eigentlich war, wer Uncle Albert ist und warum man SAGA live gesehen haben sollte… so stay tuned…

… and ´Listen To Your Heart´.

 


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