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WOLVENNEST – Temple

~ 2021 (Ván Records) – Stil: Occult Psychedelica / Doom ~


Wir leben ja aktuell im Zeitalter des Konjunktivs, und manchmal ist das schon ziemlich schade. Hätte Roadburn 2020 stattgefunden, wäre WLVNNSTs drittes Album dort uraufgeführt worden (beim virtuellen „Roadburn Redux“ vom 16. – 18. April wird die Aufführung nun jedoch nachgeholt: https://www.roadburnredux.com/), wie bereits sein Vorgänger ´Void´ bei der letzten Ausgabe 2019. Und wer diesen schwarzen Ritt damals miterlebt hat, weiss, was es auslöst, wenn sich das belgische Soundtüftlerkollektiv in Trance spielt, denn das ist ihre eigentliche Motivation – Musik für sich selbst zu machen; wenn sie anderen genauso gut gefällt, umso besser…

Und da ich es liebe, neue Musik völlig unvoreingenommen zuerst einmal live zu entdecken, hätte mir dies speziell im Fall von ´Temple´ sehr gefallen, gerade weil es eine so ganz andere Platte ist als ´Void´ (2018) oder die dazwischengeschobene EP ´Vortex´ (2019). WLVNNST sind eine herausragende Liveband, ihre Songs gewinnen auf der Bühne durch die für sie typischen, scheinbar endlosen Loops und Klangschichten der drei Gitarren, den mäandernden Synthesizer- und Thereminteppichen plus der diversen Vocals zwischen hörspielartigem Sprechgesang und rituellen Anrufungen eine Macht und fesselnde Präsenz, wie sie im Moment im okkulten Doom niemand sonst hervorrufen kann. Der oft belächelte Ausdruck „Ritual“ trifft auf ihre Performance 100% zu, es ist ganz einfach, sich im Sog der meist überlangen, hypnotischen Songs zu verlieren, die stets von der dunklen Nacht der Seele, dem Tod und dem Übersinnlichen erzählen.

Daran hat sich auch auf ´Temple´ grundsätzlich nicht viel geändert, doch ist sie spröder, nicht so leicht zugänglich wie die wie aus einem Guss glänzenden Platten davor. Heutzutage findet der an- und abschwellende Trip innerhalb eines einzigen Songs statt (´Mantra´, ´Soufflé De Mort´), und der nächste ist schon wieder von völlig anderem Charakter (das paralysierende ´Swear To Fire´ mit seinem 20ies-„Metropolis“-Touch, das hochatmophärisch in Peaceville Three-Goth schwebende ´Incarnation´…). Waren die vorigen Alben Ergebnisse des Zusammentreffens von Individuen mit völlig unterschiedlichen musikalischen Hintergründen, der Ausdruck und das Ausloten dessen, was diese dann als Band fühlen und was ihre gemeinsame Energie ausmacht, so haben wir es nun mit einer Art Bestandsaufnahme zu tun, dem Experiment, herauszuarbeiten, woraus das Septett (wenn man Multiinstrumentalist und Produzent Déhà mitzählt) seine Inspiration zieht.

 

 

Der Tempel ist ein Ort der Verehrung göttlicher Wesenheiten, und als solche stellt sich auch das neue Werk dar. Es ist gleichzeitig eine tiefe Verneigung vor stilistischen Einflüssen wie Ambient, Dark Wave und Trip Hop, 70ies Krautrock und Psychedelica, sowie der Ästhetik des Black Metal, als auch eine Würdigung bestimmter Vorbilder und kontemporärer Mitstreiter. Wie in einer Liturgie, die sich aus vielen einzelnen Facetten zusammensetzt, die nicht auf den ersten Blick zusammenhängend erscheinen und doch am Ende ein Gesamtbild ergeben, umschliesst ´Temple´ das, was WLVNNST als Einzelne wie als Kollektiv im Jahr 2020 beschäftigt hat, in dem der Tod in vielerlei Hinsicht eine neue, grosse Rolle gespielt hat. Und diese Dunkelheit, Schwere (das Tempo ist fast durchgehend sehr langsam gehalten: ´All That Black´, ´Alecto´), die Zerrissenheit, Vereinzelung bis hin zur Einsamkeit, aber auch die kreativen, hochfliegenden Kräfte, die all dem entgegengesetzt werden können und müssen, werden beschworen: „I like darkness, darkness is beautiful…“.

Besonders fallen die beiden Stücke heraus, auf denen der Gesang von anderen übernommen wurde: die Gruselgeschichte ´Succubus (feat. King Dude)´ nähert sich mit ihrem Americana-Touch TJ Cowgills eigener Band stark an, und bringt dazu eines dieser wunderbar ausführlichen, erzählend-flirrenden Soli von Marc De Backer, die der extremen Schwere stets Transzendenz, den Aufstieg in höhere Sphären entgegensetzen. Noch deutlicher ist die Hommage an DIE große US-Goth-Doom-Band mit ´Disappear´, dem Song, der am meisten aus dem Plattengefüge herausfällt. Wüsste man’s nicht besser, nur undeutlich wie von weitem gehört, würde man’s für einen bisher verschollenen TYPE O NEGATIVE-Titel halten, so perfekt gibt Déhà den ultratiefen Peter Steele-Impersonator. Hier stimmen Struktur, Instrumentierung und Sound in so vielen Details, dass dem Fan die Tränen in den Augen stehen vor Überraschung und Genuss. Gleichzeitig werden Parallelen zur UK-Gothic Doom-Fraktion deutlich, seien es PARADISE LOST oder MY DYING BRIDE. Und nicht nur Shazzulas standesgemässes „Ugh!“ zu Beginn von ´Swear To Fire´ erinnert an TRIPTYKON, mit denen die Belgier sich Grenzgängertum, abyssale Tiefe und schwarze Schwere teilen.

´Temple´ ist damit der perfekte Ort, an dem sich Gleichgesinnte vom Rande des schwermusikalischen Tellers zu Kontemplation, Erleuchtung, Austausch und gegenseitiger Befruchtung treffen können: „Open the gates!“

(8,5 Punkte)

 

 

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