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STREET KOMPASS Januar 2021

Willkommen zum nächsten Kompass,

dem ersten für das Jahr 2021. Willkommen zu einem weiteren fröhlichen Review-Reigen.

In all den ausgeknockten Tagen des Monats solltet Ihr aktuell Zeit und Muße finden, zwischen einem Spaziergang im Schnee oder im Regen, kleine und feine Kritiken von Rock’n’Roll bis Heavy Metal sowie von instrumental, sinfonisch, elektronisch bis progressiv zu goutieren. Ein heißer Tee mit einem Schuss Musik kann nicht schaden, den Kreislauf am Laufen und in Schwung zu halten.

Mit einem Knall erklären wir das Kompass-Jahr eröffnet. Denn die Monatsherrlichkeit ist dieses Mal:

 

M o n a t s h e r r l i c h k e i t

 

 

 

Q u i c k – R e v i e w s


MARK BRAVI – Origins
2021 (Independent) – Stil: Progressive Instrumental Rock/Metal

Tja, was sind denn nun die ´Origins´ der Musik des Marco „Mark“ Bravi? „Ein Klavier, ein Klavier!“ höre ich Muttilein Helga Panislowski aus dem Hintergrund rufen. ´Beyond The Unpredictable´ und ´The 10th Dimension´ sind des Progrockers Augenmerk und erkunden neue Sphären mit DEEP PURPLE-Orgel, DREAM THEATER-Keyboardleads und toller Atmosphäre – aufwühlend, cineastisch-episch und höchst melodisch, ganz ohne Sänger, den keiner der sechs zwischen 2013 und 2019 komponierten Songs benötigt. Das Klavier übernimmt dabei die Solistenstellung und gibt die sentimentale Grundstimmung vor, die den Weg für leidende Keyboardlamente und Matteo Pellis Gitarre ebnet. Doch auch die ruhigen Töne für die Momente, wenn Regentropfen an dein Fenster klopfen und du träumerisch in Gedanken schwelgen willst, sind auf dem gelungenen Debut des Italieners (Keyboards bei den Schweizern VIRTUAL SYMMETRY) auf knapp 30 Minuten zu finden. Sanfte, filmhafte Streicharrangements und Soundteppiche umgarnen das Piano, wenn der ´Phoenix´ sich aus der Asche erhebt, ´Strange As Life´ ganz in sich selbst versunken sein Thema mantrahaft wiederholt, mit ´VAL´ ein reines Klavierintermezzo zelebriert wird und am Ende ´Reborn´ eine weitere HANS ZIMMER’sche Filmkulisse zeichnet.

Auch wenn ich weniger der Instrumentalfan bin, erschafft ´Origins´ eine Bandbreite an Emotionen und erfreut mit zwei exzellenten, härteren Progperlen ebenso wie es in den vier sanften Stücken entspannt und zum Träumen einlädt.

(Less Lessmeister) – www.facebook.com/MarkBraviKeyboardist


BEZERKER – Lost
1989/2021 (Awakening Records) – Stil: Thrash Metal

Die aus Adelaide, Australien, stammende Formation veröffentlichte 1989 als Eigenproduktion ihr Debüt `Lost`, das inzwischen selten unter 150 Euro auftaucht. Da kommt so ein cooler Re-Release des Albums gerade recht.

2013 haute das australische Kleinstlabel „Into The Pit Records“ schon einmal ein Reissue des Albums raus, mit drei Bonustracks. Die neue Version von „Awakening Records“ bietet als Bonus das 5-Track Demo `Laugh At The Light`, das fast schon einen besseren Sound hat als die ursprüngliche Vinyl-Variante. Denn das ist ein nicht zu unterschätzender Schwachpunkt der Eigenproduktion: Der Sound. Man kann mit leben, aber besser geht immer.

BEZERKER liefern harten Thrash Metal mit einer leichten Tech-Note, sprich TOXIK und Co. sind als Referenz zu nennen. Roh und recht ungeschliffen ballert das Zeug aus den Speakern. Mit Sänger Pat Cummins hat man einen ausdrucksstarken Shouter, der perfekt zu den teils hektisch agieren Stücken passt. Er bedient gut höhere Tonlagen. Der Re-Release ist toll aufgemacht mit einem 20-seitigen Booklet, Dual-Cover Artwork und ist limitiert auf 1.000 Stück. Eine lohnenswerte Anschaffung für Fans von TOXIK, SEVENTH ANGEL, STYGIAN,  SAVAGE THRUST und Co.

(8 Punkte – Jürgen Tschamler) – awakeningrecordscn.bandcamp.com/album/lost


CLARENCE ‚GATEMOUTH‘ BROWN – Clarence ‚Gatemouth‘ Brown
2021 (Bear Family) – Stil: Rock’n’Roll

Hier wurde Geschichte geschrieben. Hier ist Geschichte zu fühlen. Hier kommt einen Zusammenstellung von 29 Titeln des legendären Clarence „Gatemouth“ Brown, der, 1924 geboren, während des Zweiten Weltkriegs seine ersten musikalischen Stationen am Schlagzeug durchlebte, und mit einem spontanen Ersatzauftritt für T-Bone Walker im einst populären „Bronze Peacock“-Club in Houston seinen Siegeszug als einer der größten Bluesgitarristen antrat.

Der damalige Clubbesitzer wurde sein Produzent und rief extra „Peacock Records“ ins Leben. Bis Anfang der Sechzigerjahre nahm Clarence „Gatemouth“ Brown vorerst für das Label Scheiben auf. In den Siebzierjahren wurde er von der Szene wiederentdeckt, tourte durch Europa und in den Achtzigern selbst durch die USA und nahm mit CANNED HEAT ein Album auf (´Gate’s On The Heat´). Ein Jahr nach der Diagnose Lungenkrebs, starb er im Jahr 2005.

1 Grammy, 8 Handy Awards und die Aufnahme in die „Blues Hall of Fame“ waren die Anerkennung für seine künstlerische Leistung, die auf dieser Zusammenstellung gewürdigt wird – mit Aufnahmen zwischen 1947 und 1960, erst für „Aladdin“, dann für „Peacock“.

Alle Songs wurden von den besten Quellen gemastert und von dem Chicagoer Musikhistoriker und Bluesexperten Bill Dahl zusammengestellt. Zudem verfasste er für diese Kompilation eine unterhaltsame Biografie, die von Bildern und Illustrationen umsäumt wird. Clarence „Gatemouth“ Brown – eine echte Legende, die Personifikation eines Bluesgitarristen, ein Vorbild für Generationen.

(Michael Haifl)


ELEINE – Dancing In Hell
2020 (Black Lodge / Rough Trade) – Stil: Symphonic Dark Metal

Was hebt ELEINE von den unzähligen Gothic/Symphonic/Metalbands mit Fronterin dieser Tage hervor? Da gibt es für mich kleinen szeneaffinen, doch oft enttäuschten bis schockierten Sängerinnenlurchi mehrere Gründe. Grundvoraussetzung, eine Platte dieser Richtung überhaupt durchhören zu können, ist und bleibt der Wohlfühlfaktor Stimme und die von Madeleine „Eleine“ Liljestam gestaltet sich sehr angenehm im Vergleich zu vielen Möchtegern-Montserat-Caballés.

Dazu gesellt sich der „Beauty-and-the-Beast-Faktor“ dezent eingesetztes Growling, Cleangesang und letztendlich ansprechendes, aufregendes Songwriting mit ordentlich Schmackes und einer Prise dramatischer Bösartigkeit, in die sich die Sinfonikanteile mächtig statt kitschig einfügen. Das alles wird mit der gehörigen Prise Riff-, Drumpower und Härte plus filigranen Gitarrensoli dargeboten und ballert durchgehend richtig fett, ohne in eine eintönige Richtung zu verfallen.

Mit all diesen erfüllten Faktoren bleibt eine Scheibe, die gleichermaßen schön heavy, bombastisch und gefühlvoll ist und einfach Spaß macht… genau darum geht es doch, oder?

(Less Lessmeister) – www.facebook.com/eleineofficial


EXPLICIT HUMAN PORN – In Excexx
2021 (M&O Office) – Stil: Alternative/Industrial Rock/Metal

31 Minuten für Fans solcher Leckerhappen wie RAMMSTEIN und KORN. LACUNA COIL und IN THIS MOMENT gehören ebenfalls zu den Favoriten.

EXPLICIT HUMAN PORN (EHP) stammen aus Paris und huldigen seit 2016 dem Alternative- als auch Industrial-Rock-Metal: Lowe North (Gesang), David Revan (Gitarre), Crypp Mor (Bass) und Kevin Lanssen (Drums).

Während die Musik wie eine durch den Magen gesauste Version von RAMMSTEIN erklingt, schenkt sich der Gesang der Lady am Mikrofon auch bisweilen böse Growls, Heulen und Klargesang. ´Cheatcodes´ ist düster, ´Foodporn´ aggressiv und angsteinflößend, ´Zero Solid Bodies´ ist hymnisch und ´X-Rated´ hat große EBM-Einflüsse. Am Ende gibt’s ´Keine Lust´ von RAMMSTEIN.

EXPLICIT HUMAN PORN ist zum Reinbeißen da. Auf in die exzessive Apokalypse.

(Michael Haifl) – www.facebook.com/explicithumanporn


FATAL FUSION – Land Of The Sun
2010/2021 Re-Release (Independent) – Stil: Prog Rock

Im letzten Sommer hat mir das vierte Album der Norweger FATAL FUSION mächtig zugesagt. Aber wohl nicht nur mir. Jetzt nämlich wird das Debüt ´Land Of The Sun´ aus 2010 auf CD und erstmals auf Vinyl wieder zugänglich gemacht.

Die Jungs haben eine mächtige Entwicklung gemacht. Während das aktuelle Werk ´Dissonant Minds´ nah zum Neoprog steht und zum Prog Metal der Marke FATES WARNING, waren sie auf dem Erstling verdammt 70er. Da hört man etwa mal klassischen Blues Rock mal frühen Heavy Rock. In ´Shot To The Ground´ verknüpft man SANTANA mit Jazz Rock. An anderer Stelle grüßen ATOMIC ROOSTER und DEEP PURPLE. Die stark in den Vordergrund gespielte Orgel trägt einen erklecklichen Teil dazu bei. Auch vor einer Ballade mit Piano und Streicherschmelz wird kein Halt gemacht, siehe ´Remember´.

Nicht unerwähnt sollen die beiden abschließenden Longtracks bleiben, die in ziemlich transatlantischen Gewässern fischen. Das mit knapp 16 Minuten längste Stück ´Out To The Fields´ kommt gar instrumental daher. Langweilig ist es aber in keinster Weise. Und weil alles gut gespielt ist, gut ins Ohr geht, werde ich niemanden abhalten, sich mit FATAL FUSION zu beschäftigen.

(8 Punkte – Mario Wolski) –www.facebook.com/fatalfusion


HELLFIRE FACTION – The Lemniscate Delusion
2020 (Independent) – Stil: Metal

Rock Operas gibt es ja mittlerweile wie Mikroplastik in den Weltmeeren, aber im True Metal-Kontext sind die doch eher so rar gesät wie Schwerter von Excaliburs Güte im See von Avalon. Die Brasilianer HELLFIRE FACTION nehmen sich diesem Notstand insofern bedingt an, dass ihre sechs neuen Songs mit sechs verschiedenen Sängern stilistisch breit gefächert das Thema Endlichkeit und die Macht der Zeit, die alles überdauert, in einer knappen halben Stunde behandeln. Mit zwei weiteren Bonustracks aus den Zeiten der Vorgängerband STEPS OF SILENCE kommt man einer Longplayerlänge von knapp 40 Minuten schon näher. HELLFIRE FACTION schöpfen aus diversen Bereichen des Metal und können somit ein absolut überzeugendes Album für aufgeschlossene Metalfans liefern. Nach US-metallischem Einstieg mit ´The Rape Of Daphne´ kombiniert ´Transmigration Of The Soul´ THERION mit CELTIC FROST, ´At The Shrine Of Horus´ fügt riffende Erinnerungen an HELSTAR hinzu und ´Phantasmagoria´ birgt eine gewisse HALLOWS EVE-Räudigkeit. Mit dunkler Stimme und Atmosphäre gelingt mit ´Vertumno´ der Blick zu NEVERMORE, die beiden älteren Bonustracks taugen ebenfalls absolut für die True Metal und Powerthrash-Gemeinde.

Ich habe eine infernalische Freude an diesem Mix aus Theatralik, Power, leichter Progressivität, US- und Thrashelementen als auch ein wenig Kauz – achtet einfach darauf, dass ihr die 8-Trackversion bekommt. HELLFIRE FACTION sind definitiv so heiß wie ein Samba an Karneval auf den Straßen von Rio de Janeiro – auch wenn man nur Beobachter ist!

(Less Lessmeister) – www.facebook.com/hellfirefaction


HELLROCK – This Is Metal
2021 (Steel Shark Records) – Stil: Heavy Metal

2019 in einer 100er Auflage veröffentlicht und umgehend vergriffen, gibt man HELLROCK mit ihrem Album `This Is Metal` 2021 noch eine zweite Chance. Die Band aus Toulouse, Frankreich, liefert puristischen Heavy Metal, der in den Achtzigern kaum aufgefallen wäre, durch seine doch eher durchschnittliche Qualität für die damalige Zeit.

HELLROCK ist ganz klar als europäische Hartwursttruppe auszumachen und wäre damals sicher als typische „Mausoleum“-Band durchgegangen. Die Bandmitglieder selbst sind alles erfahrene Musiker aus der französischen Szene, dementsprechend professionell klingt das ganze Material. Fans von CUTTY SARK, WILDFIRE, SAXON und Co. machen bei diesem Album nichts falsch. Heavy Metal und sonst nix.

Die elf Songs sind alle nach der gleichen Rezeptur aufgebaut und können grundsätzlich überzeugen. Stramm nach vorne marschierende Tracks wie `This Is Metal`, `Blood Red Line` oder `King Of Shame` machen fett Laune, da Heavyness und Melodien sich gut ergänzen. Auch mit dem Gesang Paul Eyssette kommt man gut klar, wobei der bei den ersten Durchgängen nicht ganz zünden will. Kurzum, ein solides Heavy Metal Album für Puristen, die auf Vertrautes setzen und keinerlei Risiko eingehen wollen.

(7 Punkte – Jürgen Tschamler)


HERUMOR – Eine Liebe nicht weniger tief (Zwielichtgeschichten I)
2020 (Trisol/Soulfood) – Stil: Folk/Mittelalter

Alexander »Asp« Spreng ist der Hörerschaft mit Sicherheit als Namensgeber der Frankfurter Rockband ASP bekannt. Der ASP-Frontman meldet sich 2020 mit einem Solo-Album zu Wort. Mit ´Eine Liebe nicht weniger tief (Zwielichtgeschichten I)´ entschwindet der Sänger und Musiker aus den dunklen Pfaden seiner Hauptband und präsentiert ein Storytelling-Folk-Album unter dem Projektnamen HERUMOR.

Der Titelsong ´Zwielichtgestalten´ ist ein schlichter Liedermacher-Song im Folk-Korsett. Dagegen zeigt ´Der Knochenmann, das Vöglein und die Nymphe´ bereits eher die Nähe zum Mittelalter-Folk. In aller Epik und im Rüstzeug des Geschichtenerzählers tragen Songs wie ´Rüstzeug´ die Töne in den morgendlichen Nebel. ´Eine Liebe nicht weniger tief (Zwielichtgeschichten I)´ soll dem Hörer schließlich die Tore zu einer Fantasy-Welt öffnen, die er sich beim Genuss der Scheibe mit ihrem Instrumentarium aus Flöten, Akkordeon oder Dudelsäcken vorstellen kann. Party- und Saufkumpanen müssen leider draußen bleiben. Alexander Sprengs Mitstreiter nicht: Patrick Damiani (Gitarre, Bass, Schlagzeug, Perkussion, Cello, Hammond, Harmonium), Andreas „Tossi“ Groß (Background-Gesang), Nikos Mavridis (Violine, Harmonium), Thomas Zöller (Great Highland Bagpipe, Scottish Smallpipes, Borderpipe, Low Whistle, Tin Whistle, Concertina), Tim Ströble (Cello) und Holger Much (Flöte).

(7 Punkte – Michael Haifl) – www.facebook.com/AspsWelten


METHUSALEM – Masters of the World (EP)
2020 (Into the LimeLight Records) – Stil: Heavy Metal

Geil! Endlich wieder ein ´Thunderstorm´ klassischen US-Metal mit ultrageilem Sänger, der einem irgendwie wohlvertraut scheint! Ach ja, Nick Holleman hatte unseren TRANCE einst auf dem KIT einen neuen Glanz verliehen, VICIOUS RUMORS verstärkt und singt aktuell bei POWERIZED und SINBREED. Das Mikro übernahm er nun von Gitarrist Dennis Hoekstra, der mit Dirk Jan Veenstra ein dynamisches Duo ergibt, dahinter machen Wilco van der Meij (Bass) and Jort Visser (Schlagzeug) ordentlich Druck.

Und damit ergibt sich auch gleich die Antwort auf die Frage: Nein, kein US Metal, auch wenn gerade die ersten beiden Stücke diesen Test als positiv durchgehen ließen. Spätestens mit der Uptempo-Hymne ´Frisian Metal Warriors´ wird die Herkunft zwar nicht auf unseren Teil der Inselkette verlegt, sondern weiter westlich in die Niederlande – seit Urzeiten ein starkes Pflaster für echten Metal. A propos Urzeiten: Zwar sind die Männer zusammen bei weitem nicht so alt wie Methusalem selbst, doch der erste Longplayer liegt nach Bandgründung 2000 nunmehr schon zehn Jährchen zurück, was die Hoffnung auf einen baldigen Nachfolger nach diesem äußerst ansprechenden Appetithappen wachsen lässt.

Diese EP macht echt hungrig auf mehr und sollte auch der US Metal-Fraktion runtergehen wie Budweiser der durstigen High School und College-Kehle.

(Less Lessmeister) – www.facebook.com/methusalemband


MOTHERS CAKE – Cyberfunk!
2020 (Membran/Membran) – Stil: Alternative-Psychedelic

Die Österreicher haben wieder einmal reichlich Sinn für psychedelische Alternative Rock-Kompositionen. Auf ihrem fünften Studioalbum zeigen sich MOTHERS CAKE mopsfidel und kochen abermals ihr eigenes Süppchen.

Yves, Benedikt und Jan tönen auf ihren zwölf neuen Songs, die sie in drei Tagen eingeholzt haben, nach JANE’S ADDICTION, RED HOT CHILI PEPPERS, RATM und LED ZEPPELIN, PINK FLOYD, BEATLES u.v.m.! In der einen Sekunde sind sie funky und folky, in der nächsten sind sie poppig und rockig und in einer weiteren Disco gefährdet.

Die Jungs hätten mir ihrem Crossover bestens in die Neunzigerjahre gepasst, obwohl sie von ihrem Sound gar nicht danach klingen. MOTHERS CAKE sind sozusagen die verrückte Antwort aus Tirol auf KULA SHAKER.

(7 Punkte – Michael Haifl) – www.facebook.com/motherscake


OBSOLEM – Between Scylla And Charybdis
2020 (Independent) – Stil: Prog Rock

Als Odysseus endlich nach dem Trojanischen Krieg seine Heimreise nach Ithaka antrat, wusste er noch nichts über seine vielen Umwege. Einer davon führte sein Schiff nahe Sizilien durch die Meerenge zwischen Scylla und Charybdis.

Bei OBSOLEM geht es eher um den Menschen in der heutigen Zeit, sein Verhältnis zu Technik und Fortschritt. Leider ist die Musik nicht der versprochene Meeresstrom, eher plätschert es zu oft dahin wie ein kleiner stiller Waldbach. Die Franzosen haben ein paar starke Stücke am Start, ohne Frage, etwa ´Diabolus Ex Machina´, das Rap und Prog Metal der Marke FATES WARNING verbindet. Es gibt Passagen, die erinnern an SEVEN STEPS TO THE GREEN DOOR, auch DEPECHE MODE scheinen gern gehört zu werden. Zudem haben sie mit Leia Oo eine herausragende Sängerin, die OBSOLEM vor der Unterklassigkeit rettet. So springen sie der gepflegten Langeweile gerade noch von der Schippe.

Auf Odysseus warteten noch einige Gefahren. Vielleicht haben auch OBSOLEM noch einen Weg vor sich. Dann dürfte es auch gelingen, die noch fehlenden wenigen Schritte nach vorn zu machen.

(7 Punkte – Mario Wolski) – www.facebook.com/Obsolem


EL PISTOLERO – Mexican Standoff
2021 (Metalapolis Records/DA Music) – Stil: Heavy-/Street Rock

MOTÖRHEAD trifft AC/DC – nichts Neues so gesehen. Aber die deutsche Kapelle liefert mit ihrem Debüt ein schnörkelloses, dreckiges Heavy Metal-Rock`n`Roll-Album. Ganz in der Tradition genannter Bands und weiteren Combos, wie AIRBOURNE oder ROSE TATTOO, zockt man einen biersüffig runter.

Tighte Taktung, biergeschwängerte Riffs, roher Gesang – die volle Breitseite Arschtreter-Mucke. Während `Stormbringer` wie ein Track von einer der letzten ROSE TATTOO-Scheiben klingt, hämmert der Beat bei `Sticky Fingers` AC/DC-gerecht aus den Boxen. Mit  `Desert Road` bedankt man sich bei MOTÖRHEAD und Lemmy. `Painkillers` ist schlicht ein Tritt in die Familienplanung.

Alles schon gehört, alles schon mitgemacht und dennoch machen solche Scheiben Spaß. Punkt. Aus. Give it to me, Baby. Weniger Perfektion, dafür pure Leidenschaft. Rock`n`Roll, Baby.

(7 Punkte – Jürgen Tschamler)


PULSE – Adjusting The Space
2020 (NRT-Records) – Stil: Space-Elektro-Metal

Schluss mit lustig, ihr Mimosen – jetzt gibt’s endlich mal wieder schönen Space-Elektro-Metal auf die Ohren! Klarer Fall: Reinmetaller machen einen großen Bogen um die 2014 gestarteten Österreicher PULSE, musikalische Weltenwanderer und Schwarzvolk werden auf ihrem Zweitling bestens elektrometallisch bedient. ´We Won’t Come In Peace´ stellt die Sachlage eingangs klar: RAMMSTEIN-Loops und Beats mit Grollvocals zielen auf die Beine ab und die DEATHSTARS haben sich irgendwo im Raumschiff versteckt, ´Major Tom´ selbst gegen Ende ebenso. Nicht so rabiat wie SUICIDE COMMANDO und nicht so EBM-basiert wie SPEZNATZ gehen PULSE eher flott tanzbar á la FUNKER VOGT zu Werke und erreichen deren Hitpotential. In und zwischen den Songs finden sich Soundintermezzos und Reminiszenzen an die großen Elektropioniere wie KRAFTWERK oder TANGERINE DREAM, welche den Ausflug stets interessant halten. Der Titelsong selbst entpuppt sich als Uptempo-Zappelhymne, die auf eingängigen Festivals für Abriss sorgen sollte. Doch PULSE scheuen sich nicht, den Antrieb abzuschalten und sphärisch durchs All zu gleiten, mit einem ´Encounter´ der FLOYD’schen Gitarrenkunst, und mit getragener Epik bei ´Points Of Nibiru´ zu überzeugen. Mastermind, Voice, Gitarrist und Soundprogrammer der Cyberorgie ist Nemesis (ASTAROTH), assimiliert hat er dazu Bassist Vidar, Schlagzeuger Pulsar und Gitarrist Dom.

Wer seit der Transformation der Black Metaller COVENANT in THE KOVENANT bereit für die ´New World Order´ des Elektro-Metal ist, dürfte den Trip in höchsten Zügen genießen – ich bin mit Höllenfreude mit an Bord.

(Less Lessmeister) – www.facebook.com/pulseaustria


SCATTERFACE – 2020
2020 (Echozone) – Stil: Industrial/Hardrock

Seit über acht Jahren musiziert Chris Techritz alias SCATTERFACE bei den Synth-Metallern =FUDGE= und sah 2020 die Zeit für ein Soloalbum gekommen, das er mit dem passenden Titel ´2020´ unter das Volk trägt.

Da man bei einem Solo-Projekt alles nach eigenem Gusto konzipieren und komponieren kann, findet sich auf diesem Scheibchen ein ganzes Sammelsurium an Stilen wieder. Zwischen Industrial Metal und Hard Rock fallen dem Künstler und Produzenten auch Ideen zu Folk und Ambient ein.

SCATTERFACE ist daher weit mehr als Synthwave, obwohl die Ästhetik darauf abzielt, sondern alles zugleich: Industrial Metal mit harten Gitarren, Computer-Spiel-Musik, Elektro und Post Rock, Metal und Klassik – sowie keinesfalls instrumental gehalten. Einige Sänger und Sängerinnen, sowie Musiker und Musikerinnen aus der ganzen Welt unterstützten ihn dabei. Selbst die Zeit für Balladen nimmt sich SCATTERFACE.

(7 Punkte – Michael Haifl) – www.facebook.com/Scatterface.Music


TIMESCALE – Axiom
2020 (Timescale) – Stil: Melodic Power Metal

Herhören, ihr EMERALD, EVERGREY, LEFAY und TAD MOROSE – Jünger(innen), es gibt ein Fest. Wenn es kurz und bündig ohne Schnörkel auf den Punkt kommen soll, dann lassen TIMESCALE eure Kinnladen runterklappen mit Heavyness, Drama, Melodien, kernigem Gesang und feinsten instrumentalen Skills. Ja, ihr Keyboardgegner – ihr dürft jetzt nach Hause gehen, wenn ihr immer noch nicht begriffen habt, dass Tasten Metal nicht verweichlichen, sondern ein künstlerische Symbiose mit verzerrten Saiten und treibenden Drums eingehen.

TIMESCALE verstehen es als vierköpfiger portugiesisch-kalifornisch-argentinischer Schulterschluss meisterlich, melodischen Metal so zu inszenieren, dass er einen mitreißt und begeistern kann, ohne auf der Nobelpreisliste für Innovationen stehen zu müssen. Schwachpunkte? Keine gefunden, außer dem recht kurzen „Timescale“ für dieses Debüt von knapp 33 Minuten.

Also einfach aufdrehen wie sich’s gehört, treiben lassen und diese Erstligasongs genießen – mehr geht in dieser Sparte kaum noch, ohne gleich wieder progressive Strukturen reinhauen zu müssen.

(Less Lessmeister) – www.facebook.com/TimescaleBand


TRIGGER CUT – Rogo
2021 (Independent) – Stil: Noise/Art-Punk

Verzweifelter Gesang und hyperventilierende Musik, alles aus den Neunzigern, plus scheppernde Gitarren, die den Zeiten, aber nicht den Grunge-Tagen entsprungen sein könnten – das sind TRIGGER CUT. Da herrscht Adrenalin-Überschuss. In den Zwanzigerjahren dieses Jahrhunderts. „Fuck“, schreit jemand.

Bereits das Debüt von TRIGGER CUT aus Süddeutschland namens ´Buster´ war ein Fest für den Noise Rocker (siehe hier). Das Beste, was es seit den Neunzigern zu hören gab, liegt aus den Händen des Trios jetzt vor. ´Rogo´ legt nochmals eine Schippe Genialität und Groll obendrauf. Diesen einst als Mischung aus SHELLAC und THE JESUS LIZARD bezeichneten Rausch rotzen Ralph Ralph (Treble Guitar, Gesang), Daniel W. (Bass) und Mat Dumil (Drums) jetzt erst richtig heraus und kreieren ihr eigenes Süppchen aus Art Punk, Noise Rock, Post Punk und Math Rock. What the hell.

(8,5 Punkte – Michael Haifl) – www.facebook.com/Trigger-Cut
https://triggercut1.bandcamp.com/album/rogo


V/A Season’s Greetings: Valentine’s Day
2021 (Bear Family) – Stil: Rock’n’Roll

Bald, schon bald ist Valentine’s Tag. Erfüllt am 14. Februar die Erwartungen Eurer Liebsten und die des Konsums, kauft im besten Falle einen schön aufgemachten Silberling aus dem Hause „Bear Family“, denn diese haben eine Zusammenstellung mit Rock ’n‘ Roll, Jazz, Pop, Blues und Country aus den Jahren 1936 bis 1964 vorbereitet. Das volle Liebesprogramm in 29 Songs.

Diese Songs sind Valentinstaglieder oder zumindest Liebeslieder, rare Kompositionen und reichlich Klassiker. Chet Baker, Stan Kenton und Artie Shaw haben den Jazz im Blut, Ed Townsend, Paris Sisters und Etta James die Balladen mitgebracht und Tom Dorsam, Nancy Lee, die schwedischen VIOLENTS sowie die AQUATONES die Rock-Songs. Selbst Paul Anka ist im Liebes-Boot.

(Michael Haifl)


V/A – That’ll Flat Git It – Vol. 37
2021 (Bear Family) – Stil: Rock’n’Roll

Es gibt eine Rockabilly-Serie der „Bear Family“ namens ´That’ll Flat Git It´, dem einstigen Erkennungszeichen des ersten Rockabilly-Discjockeys Dewey Phillips. Beste Tonband-Aufnahmen, bestes Mastering, unveröffentlichtes Bildmaterial sowie bislang unerforschte Künstler sind das Qualitätslevel für eine Serie, die mittlerweile die 37. Folge eröffnet.

No. 37 ist praktisch die Fortsetzung von Vol. 3. Die dort zusammengestellten Aufnahmen aus Rockabilly und Rock’n’Roll des ersten Major-Labels von der US-Westküste, „Capitol Records“ aus Los Angeles finden aktuell ihre Fortführung.

Das Label war in jenen Tage die Anlaufstelle für Country Music und Rockabilly. Diesmal kommen neben bekannten Künstlern wie Wanda Jackson, Gene Vincent, Tommy Sands oder Jack Scott auch unbekanntere, aber keineswegs untauglichere wie Bob Luman, Hank Thompson oder Cliffie Stone zum Zuge.

(Michael Haifl)


VICIOUS GRACE – Glass Houses
2021 (M&O Music) – Stil: Alternative Rock/Metal

Alain (Leadgitarre) und David (Gesang/Rhythmusgitarre) lernen sich früh in einem Musikgeschäft kennen, beenden im Laufe der Jahre die Schule und fangen an zu arbeiten. Doch die Liebe zur Musik ist größer und sie gründen 2006 ihre erste Gruppe. 2013 sieht den Beginn von VICIOUS GRACE mit den beiden anderen Musikern, Thierry Bompard (Bass) und Jean-Baptiste Coucaud (Schlagzeug).

VICIOUS GRACE lehnen es ab, auf Französisch zu singen, und bleiben aufgrund ihrer Einflüsse dem Englisch treu. Derer sind es THE CURE bis RED HOT CHILI PEPPERS, SLIPKNOT bis BRING ME THE HORIZON. Eine EP 2014 (´The Doors Inside´), eine metallischere 2015 (´Wake Up´) und 2017 die erste LP (´All My Gods Are Monsters´) erscheinen.

Mittlerweile zum Quintett angewachsen, spielen VICIOUS GRACE auf ihrem zweiten Full-Length-Scheibchen ´Glass Houses´ einen US-amerikanischen Alternative Rock/Metal, der sich in seiner fiebrigen Atmosphäre mit Leichtigkeit international behaupten kann.

(8 Punkte – Michael Haifl) – www.facebook.com/viciousgracemusic


 

 

 


Wir wünschen Euch gerade in diesen Zeiten nur das Beste. Bis zum nächsten Klick.
Euer
Michael und das gesamte Streetclip-Team

 


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