Redebedarf

FISH

~ Interview mit Fish ~


Keine Frage, das neueste Album von FISH, bürgerlich Derek William Dick, wird nicht nur aufgrund der Tatsache, dass es sein letztes Studioalbum sein soll, bei vielen Menschen Emotionen wecken.

Daher habe ich mich ans Telefon geklemmt, um zur Mittagszeit mit Fish über ´Weltschmerz´ (Review siehe hier), die noch anstehende Tournee und die aktuelle Weltlage zu sprechen.

Hallo Fish, wir mussten seit ´A Parley With Angels´ zwei Jahre auf ´Weltschmerz´ warten. Doch ich glaube, du hast sogar schon 2015 bei den Live-Aufführungen von ´Misplaced Childhood´ das Album ´Weltschmerz´ für 2017 und danach deinen Abschied angekündigt. Eine ganz schöne Verspätung. Was hast Du in der Zeit gemacht?

Ja, das war die Idee. Aber in der Zeit sind so viele Sachen passiert. Wir hatten die „Farewell Childhood-Tour“ fast zum Ende gebracht, als sich mein Keyboard-Spieler den Arm brach und wir Shows verlegen mussten. 2016 war wirklich ein hartes Jahr, mein Vater starb. Und ganz gleich wie mental du darauf vorbereitet bist, wenn jemand stirbt und dein Leben verlässt, ist es ein großer Schock.

2016 war insgesamt einfach ein schwieriges Jahr, weil ich zudem schwere Rückenprobleme und Operationen hatte. Ich war nicht in guter Verfassung und musste erst einmal alles mental verarbeiten. Ende 2017 gab es viele Ideen, ohne sie zu Papier zu bringen. Ich konnte einfach kein Album schreiben.

2018 standen dann die ersten Aufnahmen an, die wir für die EP ´A Parley With Angels´ genutzt haben. 2018 und 2019 waren hart für mich. Wir waren am Komponieren. Ich bekam 2019 zweimal eine Sepsis und musste beide Male ins Krankenhaus. Das war ein großer Schock.

Es sind so viele Dinge in den Jahren auf dem Weg zum Album geschehen, so viele Erfahrungen, die sich im Album wiederfinden. ´Grace Of God´ ist inspiriert von meinem Krankenhausaufenthalt mit der Blutvergiftung im Sommer 2019. Mir wurde meine Sterblichkeit, mein Alter bewusst.

Ich wollte eigentlich nicht auf Tour sein, wenn ich 65 bin. Das war der Hintergrund dieser Ankündigung im Jahr 2015. ´Weltschmerz´ soll auch mein letztes Album sein. Und es war eine lange Zeit bis hierhin, weil so viele Ereignisse meinen Weg kreuzten.

Immerhin habt Ihr zuletzt die Zeit bis zur Veröffentlichung des Albums etwas ausfüllen können, etwa mit Singles.

Ja, ´Man With A Stick´ kam von der EP ´A Parley With Angels´ heraus. Jetzt weitere zwei. Die Songs von der EP haben wir übrigens nochmals komplett für das Album gemischt, so dass sie völlig neue Versionen sind.

Der zweite Aufnahme-Block nahm sogar die Zeit bis Ende 2019 in Anspruch. In 2020 haben wir dann das Album zum Start des Covid-Lockdowns abgemischt. In der Situation wollten wir uns auch nicht hetzen, so dass die Veröffentlichung von Juli auf September verschoben wurde.

Darin liegt schon der Unterschied, wenn du ein Independent-Musiker oder bei einem Major-Record-Label bist, was ich aus eigener Erfahrung her kenne. Wenn du unabhängig bist, kannst du den Weg nehmen, den du selber nehmen willst, und ich bin froh, nicht mehr bei einem Major zu sein. Bei einem Major läuft alles auf den geplanten Release-Day hinaus. Da hätten wir jetzt ein riesiges Problem, wenn die Tour nach 2021 verschoben wird. Da würde ich hier ohne Live-Shows, ohne Einkommen sitzen und warten. Das wäre eine ganz schlechte Situation. Die Art und Weise wie wir jetzt von uns aus das Album verkaufen und verschicken, so funktioniert‘s, das ist der perfekte Weg. Das Musik-Business hat sich ja komplett vorändert, seit ich in diesem 1982 angefangen habe.

Also ist ´Weltschmerz´ die Essenz Deiner Gedanken aus den letzten fünf Jahren oder wurden Dir die Themen von den Weltereignissen förmlich aufgezwungen?

Es ist eine Mischung aus beiden. Weißt Du, ich habe 2017 meine Freundin, meine jetzige Frau, geheiratet. In 2015 verbrachte ich noch vier oder fünf Monate in Deutschland, bei Simone in Karlsruhe. Also habe ich mich in der Zeit sehr deutsch gefühlt, doch das Wort „Weltschmerz“ kenne ich bereits mein ganzes Leben. Du weißt, das ist ein universelles Wort, kein speziell deutsches.

Wir haben seit 2015 die Flüchtlingskrise, die Klimaveränderung und alles andere gesehen. Da fühlt man den Weltschmerz. Das hat mir Angst gemacht, wie vielen von uns. Du schaust Fernsehen, hörst Radio, und du fühlst dich hilflos. Du fühlst dich erdrückt von der gesamten Welt, weil du nichts machen kannst, in dem Moment. Du kannst nicht helfen, du kannst nichts ändern und alles geschieht um dich herum. Und wenn du dies alles am Fernseher verfolgst, das ist definitiv ein Gefühl von Weltschmerz. Es ist also das perfekte Jahr, um dieses Album zu veröffentlichen.

Wirst Du nicht manchmal bereits von den ganzen Nachrichten ganz trübsinnig …

Wer zum Teufel nicht. Wir haben uns gestern Abend 20 Minuten lang Donald Trump im Fernsehen angeschaut. Und wenn du das hörst, und zuhörst, was er sagt. Und wenn du Boris Johnson zuhörst. Und wenn du mitbekommst, was alles passiert, dann macht mich das wütend, das deprimiert mich. Du kannst heutzutage gar keine Nachrichten mehr schauen ohne wütend oder deprimiert zu werden.

Bezieht sich denn der Trigger-Point, der entscheidende Auslösepunkt des Songs ´Walking On Eggshells´ auf die Politik, den Brexit oder die Gesellschaft an sich?

Nein, nein, ´Walking On Eggshells´ handelt von einer Beziehung, wenn einer von beiden oder beide psychisch krank sind, etwa Persönlichkeitsstörungen. Inspiriert von Geschehnissen, die ich persönlich erlebt habe, beim Reden mit Freunden. Daraufhin habe ich etwas recherchiert und bin auf das Ratgeberbuch „Stop walking on eggshells“ [Deutsch: „Schluss mit dem Eiertanz: Ratgeber für Angehörige von Menschen mit Borderline“] gestoßen. Es gibt Tipps, was du in einer Beziehung machen kannst. Der Trigger-Point ist, wenn du etwas sagst oder tust. Auch wenn du unschuldig bist, du kannst es fühlen, wenn der Punkt da ist. Du musst deine Beziehung genau erforschen.

Der Trigger-Point hat also nichts mit dem Brexit zu tun, ich wollte der ganzen Politik fernbleiben. Mit ´Weltschmerz´ wollte ich nicht Großbanken, große Unternehmen, große Politik behandeln, sondern Menschen. Die meisten Songs sind aus der Perspektive einer Person geschrieben, einem Charakter, der mit den Problemen der heutigen Welt kämpft. Alle sind betroffen, Menschen mit Depressionen, Persönlichkeitsstörungen, Krebs und Menschen mit Demenz, ´Rose Of Damascus´ beschreibt ein junges Mädchen, das vom Krieg flüchtet.

Ja, das ist der Song über die schlimmsten Gräuel, über all die Kriege auf der Welt: ´Rose Of Damascus´ über Syrien.

Die Syrien-Krise wollte ich nicht direkt thematisieren, sondern über ein Mädchen schreiben, das in einem Land lebt, das sich langsam nach dem Westen ausrichtet. Sie kämpft für eine Revolution, da ihre Welt komplett von einem Krieg zerstört wurde. Sie hat keine Familie mehr, keine Freunde. Sie muss einfach weg. Es handelt also nicht vom Bürgerkrieg, sondern von Menschen.

Ich denke, daran sollten die Menschen denken, bei der Flüchtlingskrise. Es sind Menschen. Leute rennen nicht in den Westen, um reicher zu werden, sondern rennen einem Krieg davon, weil sie nichts mehr haben. Das hat also eine komplett andere Dynamik. Es ist einfach ein junges Mädchen, das ein neues Leben sucht.

Und welche Geschichte erzählt uns das zweite Epos ´Waverley Steps (End Of The Line)´?

Zu ´Waverley Steps (End Of The Line)´ hat mich das Lesen über die Organisation CALM inspiriert, die „Campaign Against Living Miserably“. Es betrifft Menschen, aber hauptsächlich Männer. Vor ein paar Jahren sah ich die Selbstmordraten von Männern über 20 und die Zahlen waren beängstigend. Und dann gibt es den Zugverkehr zwischen London und Edinburgh und in der lokalen Presse liest du immer wieder von tragischen Unfällen, denn Leute reden nicht mehr von Selbstmord auf der Bahnstrecke, es sind tragische Unfälle.

Und so wollte ich eine Story schreiben, inspiriert von den News aus Edinburgh. Es geht um einen Soldaten, der nicht nur unter Stress leidet, und sich nicht helfen lassen will. Er geht zu den Waverley Steps, einer Treppe, in der Nähe vom Bahnhof Waverley Station, und erwartet den Tod. Das lässt mich an viele Menschen in der Welt denken. Es ist ein Song über Depressionen und potentielle Selbstmorde.

Das ist enorm wichtig, weil ich in den letzten Jahren definitiv Anzeichen von Depressionen hatte. Du weißt, was alles in meinem Leben geschah, ich hatte die Sepsis, musste zweimal mit dem Krankenwagen ins Krankenhaus von Edinburgh und war beide Male nahe dran, zu sterben. Und so kam dieses dunkle Element in das Album. Es ist ein wunderschönes Album, denn das ist alles, was ich machen wollte. Aber es behandelt eben auch dunkle Themen.

´Grace Of God´ klingt beinahe nach einem Todeskampf im Krankenhaus und der Angst, seine Geliebten zu verlieren….

´Grace Of God´ handelt von meiner Zeit im Krankenhaus als ich die Sepsis hatte. Und dabei schaute ich auf die Menschen in der Welt und realisierte, dass ich glücklich sein kann. Denn es gibt Leute, denen es viel schlechter geht. Und von diesem Gedanken her habe ich die Inspiration für das Lied genommen. Es gibt woanders höhere Sterblichkeitsraten.

… doch der ´C Song´ scheint einem ja einen positiven Ratschlag mit auf den Weg zu geben?!

Der ´C Song´ sollte in Deutschland „K Song“ heißen. C ist Cancer. Es ist ein Song über Krebs. Jemand erhält die Diagnose. Die Message ist, du wirst mich nicht runterziehen, fertigmachen.

In ´This Party’s Over´ beschreibst Du Konsequenzen, die von unseren Kindern bezahlt werden müssen. Eine politische Botschaft?

Nein, auch keine Politik, bei ´This Party´s Over´ schrieb ich die Lyrik als ich eines morgens aufwachte. Ich schaute auf meinem Computer nach musikalischen Ideen, nach Skizzen, und sah eine, die Robin Boult zusammengefügt hatte.

Zu der Zeit war ich richtig besorgt, denn du musst ein Problem erst einmal erkennen. Du weißt, während des Lockdowns haben viele Leute Alkohol-Probleme bekommen. Mein letztes Jahr war auch so ein Fall, wir haben das Album geschrieben, ich hatte die Sepsis, dann umgaben uns zu dieser Zeit Depressionen und Stress. Und da habe ich bei mir selbst festgestellt, dass ich zu viel trinke. Mit der Band, bei den Aufnahmen, die Nächte durchzuarbeiten, miteinander reden und so weiter.

Um Weihnachten herum habe ich dann realisiert, wenn ich die nächsten drei, vier Monate an dem Album arbeiten will, muss ich mein Leben ändern. Also habe ich aufgehört zu trinken. Ich habe sechs Monate lang keinen Alkohol mehr angerührt. Ich war mir meiner Verantwortung bewusst, ich kann mich nicht hinter einer Flasche verstecken.

Das ist also gewissermaßen ein „Wake-up-call“, darum geht es in dem Song. Es geht um Leute, die trinken, Drogen nehmen, sich isolieren. Denn die Probleme bestehen weiterhin. Das bedeutet das Lied.

Geht es bei ´Man With A Stick´ um den einen bösen Mann, Vater oder Lehrer, der sein Kind mit dem Stock schlägt oder handelt das Lied von etwas noch Weitreichenderem?

Es handelt von etwas Größerem. Es ist wie eine Beziehung. Als wir kleine Jungs waren spielten wir mit Stöcken. Ein Stock konnte alles sein, etwa Schlagzeugstöcke. Aber auch dein Lehrer hatte einen Stock. Er ist auch ein Symbol der Macht. In der Mitte deines Lebens bekommt der Stock dann einen neuen Sinn als Symbol der Macht. In den Kämpfen des Lebens. Du musst nur rüber schauen, auf die „Black Lives Matter“-Bewegung in den USA, schau nach Portland, Louisiana, da siehst du Menschen mit Stöcken. Am Ende deines Lebens bekommt er jedoch eine andere Bedeutung, er wird zu jemandem, der dich am Laufen hält, dich Aufrecht stehen lässt. Dieses Verhältnis zum Stock bezieht sich also auch auf das Älterwerden.

Der Höhepunkt von ´Weltschmerz´ ist tatsächlich der Titelsong – du redest von den Leiden der Bombardierten, der Armen, Obdachlosen und Hungernden auf dieser Welt, allen Vergessenen auf der Erdkugel, den Busch- und Waldbränden, dir missfallen aber auch die Gangs an der Straßenecke und die Mauern in der Wüste. Ist die Welt noch zu retten?

Das ist genau das, was du in den Nachrichten siehst, das ist der Weltschmerz. Und ich denke ja, wir können das schaffen. Wenn du dir während des Covid-Lockdowns den Pegel der Luftverschmutzung in Europa angeschaut hast. Wenn die Vögel wieder singen, wenn im Grand Kanal von Venedig wieder Fische schwimmen. Da sind einige wunderschöne Dinge passiert und da fragst du dich, warum ist es nicht immer so.

Ich finde es merkwürdig, jeder jammert immer über Flugzeuge und deren Routen und man fragt sich, müssen wir so viel fliegen, wie wir es tun? Dasselbe ist, wenn du schaust, was in Oregon, Kalifornien, passiert. Das sind keine abstrusen Vorstellungen, das ist die globale Erwärmung, all die Brände, die Böden sind viel zu trocken, von der globalen Erwärmung. Oder Hurrikans, die über den Golf von Mexiko kommen, das geschieht, weil der Golf von Mexiko in den letzten Jahren wärmer wird und nicht mehr abkühlt, das macht sie so mächtig.

Es wird alles immer gefährlicher, können wir also nicht endlich mal aufwachen? Das ist unsere letzte Chance, es geschieht alles jetzt, und es passiert, weil wir uns am Klima vergehen, weil wir uns am Planeten vergehen.

Ja, heutzutage kommt alles zusammen: das Klima, die Politik…

So sieht es aus. Joe Biden begann letztens vom Klimawandel zu erzählen, er hätte schon längst darüber was erzählen sollen.

Weißt du, ich bin Gärtner. Du brauchst dir nur das Album anzuhören, es werden Blumen und Bäume erwähnt. Und im Jahr 2016, als mein Vater starb, verbrachte ich meine Zeit nur noch im Garten. Ich habe Blumen gepflanzt, Samen gesät, habe alles zum Essen angebaut, auch die Luft hat mir geholfen. Der Garten ist für meine Frau und mich ein wichtiger Platz. Wir versuchen gemeinsam in den Garten zu gehen, weil das auch die beste Möglichkeit ist, vom Fernsehen und allem anderen abzuschalten, von der ganzen Welt. Das ist wichtig für mich.

 

 

Im Jahr 2015 hattest Du noch einen Teil des Jahres in Deutschland verbracht.

Simone und ich sind im Juli 2016 hierüber gezogen. Wir haben 2017 geheiratet. Es war sehr schwierig. Ich mag Deutschland, ich mag die Umgebung von Karlsruhe. Simone mag Schottland und ich Deutschland. Die Entscheidung war nicht einfach, aber hier haben wir das Studio, den riesigen Garten. Wenn wir in Karlsruhe geblieben wären, müsste ich all das neu aufbauen und mein restliches Leben arbeiten, weil ich mit meinen 62 Jahren keinen Kredit mehr von der Bank bekommen würde.

Es ist nicht einfach für uns, wir haben unsere Familien. Meine Frau hat ihre Töchter mit Familien. Besonders im Lockdown war es sehr sehr schwierig. Meine Frau hat ihre Eltern bald ein Jahr nicht mehr gesehen. Und meine Mutter ist 87 Jahre alt, wir müssen sie jetzt hier bei uns zuhause pflegen. Das sind alles Familienprobleme, aber in Deutschland wäre es nicht einfacher.

Ich glaube, Dir gefällt auch der Brexit ganz und gar nicht …

Ja, der Brexit. Ich mag die Idee des Brexit nicht. Der Brexit war eine Lüge, die von der „Tory Party“ in die Welt gesetzt wurde, von Nigel Farage und der Partei, ein Abschaum, sie haben gelogen.

Mein größtes Problem ist, dass wir damals im Jahr 2014 ein Unabhängigkeitsreferendum in Schottland hatten. Und einer der Gründe war, weshalb wir nicht unabhängig wurden, dass viele Leute Angst hatten, weil die Tory-Regierung erzählte, wenn ihr das UK verlasst, verlasst ihr Europa. Also entschieden sich die Leute, weder das UK noch Europa zu verlassen. Und zwei Jahre später kommt der Brexit-Deal, obwohl mehr als 60-70 Prozent der Schotten für das Verbleiben in Europa stimmten. Auch Nordirland stimmte so ab, aber England votierte zum Verlassen. Und plötzlich bekommen wir gesagt, wir verlassen Europa. Aber das wollen wir nicht. Also wollen wir jetzt ein zweites Referendum, ein zweites Unabhängigkeitsreferendum.

Im Mai nächsten Jahres haben wir große schottische Regierungswahlen. Und im Moment sieht es danach aus, als könnte die „Scottish National Party“ gewinnen. Im Moment sind etwa 55 Prozent für eine Unabhängigkeit, aber je mehr Boris Johnson und die „Tory Party“ auf einen No-Deal-Brexit zusteuern, desto mehr werden die Leute für ein selbständiges Land sein. Und Covid hat uns gezeigt, dass das Gesundheitswesen unter der schottischen Regierung unserer Ersten Ministerin Nicola Sturgeon die Situation weit mehr im Griff hatte als die UK-Regierung. Und die Leute haben gesehen, dass wir fähig sind, nach uns selber zu schauen. Aber jeder redet derzeit nur über das Geld, dass wir kein Geld haben, obwohl zurzeit sowieso niemand Geld hat. Aber wir müssen ohnehin alles neu programmieren und auf die Dinge schauen, die wir ändern können, um das Leben besser zu machen.

Es passieren im Moment so viele Sachen, im November haben wir die Wahl in den USA, die ist sehr wichtig, und die Frage, in welche Richtung sich die Unabhängigkeit entwickelt. Und dann haben wir noch Covid. Wir haben noch nicht den Boden der Kurve berührt und wenn eine zweite Welle kommt… Nächstes Jahr, denke ich, wird es nicht einfacher. Ich sehe mich noch nicht auf der Tour 2021. Auch Live-Shows sehe ich noch nicht im nächsten Herbst, wir werden in derselben Position wie jetzt sein. Wir haben Social Distancing, Konzerte mit Social Distancing können nicht funktionieren. Ich kann nicht Social Distancing-Konzerte in Europa geben, das macht allein finanziell keinen Sinn. Und auf der anderen Seite, ich will mich selbst nicht in Gefahr bringen, meine Band und die Crew und deren Familien, aber auch meine Familienmitglieder.

Zurzeit ist bei mir alles okay, ich kann warten, ich bin geduldig. Wir müssen einfach abwarten, wie es sich entwickelt. Finanziell ist das natürlich nicht gut, aber ich lehne Autokonzerte ab. Und genauso schwierig ist es, die Band zusammenzubringen. Um sie zusammenzubringen, muss ich ihnen Arbeit geben, aber ich kann ihnen keine Arbeit geben, weil niemand sagen kann, wann wir wieder arbeiten können. Ich kann nichts machen. Du kannst mit den Füßen auf den Boden stampfen, es ändert daran nichts. Es nutzt nichts, sich zu ärgern, ich kann es nicht ändern.

Und das ist ein weiterer Grund, inmitten von all dem haben wir den Brexit, das ist lächerlich, das ist völlig lächerlich. Das ist eigentlich eine Situation, in der alle näher zusammenrücken und nicht auseinander gehen sollten. Wir müssen vielmehr in Europa stärker miteinbezogen werden, wenn nicht das UK, dann Schottland. Schau, selbst meine Mutter, sie ist 87, hat in den letzten zwei Jahren ihre Haltung von pro UK zu pro Unabhängigkeit geändert.

Ja, das sind harte Zeiten …

Aber wir werden hindurchkommen. Ich denke, das Gute am Lockdown war, dass er Gemeinschaften zusammenbrachte. Ich war beeindruckt, von den Menschen, die für andere eingekauft haben und geschaut haben, ob bei diesen alles in Ordnung ist. Da kam in Schottland ein Sinn für die Gemeinschaft auf, was mich erfreut hat. Das Gemeinschaftsgefühl war hier zuvor nicht zu spüren. Diese Schwierigkeiten haben uns wieder mehr zusammengebracht. Mir wurde auch wieder bewusst, dass ich schottisch bin.

Wir müssen einfach positiv denken. Deine letzten Worte auf dem Album sind „The rapture is near“. Die Zeit ist nahe! Die Entrückung ist nahe! Bist Du gläubig, oder ist das nur so ein Spruch?

Nein, nein, „the rapture is near“ ist eher wie „lifting the spirits“ ausgesprochen. Wie ein großes Erwachen.

Konntest Du wenigsten die Zeiten während des Lockdowns sinnvoll nutzen? Hast du dich deinem Garten gewidmet?

Wie ich sagte, der Garten hat uns gerettet. Aber wir waren ja auch noch mit ´Weltschmerz´ beschäftigt, mit dem Mischen im März und dem Zusammenfügen des Albums. Seit dem Beginn des Lockdowns arbeiteten wir immer noch an ´Weltschmerz´. Außerdem haben wir zwei Videos im Lockdown gemacht. Wir haben also bis Juli am Album gearbeitet.

Obendrein machen wir den Versand von hier, denn ´Weltschmerz´ ist nur über fishmusic.scot erhältlich. Ich verkaufe es nicht über Amazon oder andere Wiederverkäufer, nur über fishmusic.scot. Es gibt nur den einen Mailorder von hier. Nächste Woche haben wir einen großen Tsunami an Paketen für all die Pre-Orders.

Gut zu hören, ich freue mich schon auf meine Bestellung…

Also wir sind immer noch schwer beschäftigt. Aber das ist gut so. Wir leben hier wie in einer Oase, auf Distanz zu Edinburgh, auch wenn du dich manchmal isoliert und abgetrennt fühlst.

Du wurdest ja 2017 an der Schulter und 2016 an der Wirbelsäule operiert. Ist dies ein Grund, nicht mehr live spielen zu wollen?

Ich habe nicht gesagt, dass ich nie mehr live, sondern meine letzte Tournee spielen will.

Lieder zu schreiben ist toll für mich und ich liebe alles, was das Musik-Business mir schenkt. Ich bin sehr dankbar, dass ich so privilegiert bin. Ich hatte eine lange und wirklich gute Karriere im Musik-Business. Aber ich will auch mal andere Dinge ausprobieren, ich möchte gerne Bücher schreiben oder Drehbücher und zurzeit bin ich auf der Suche nach einer Idee für einen Film. Und das will ich machen.

Und weißt du, ich denke, die besten Melodien sind schon geschrieben, die besten Hooklines, und das Musik-Business hat sich geändert. Für Musiker ist es schwieriger geworden, mit den Aufnahmen Geld zu verdienen. Und du musst auf Tournee gehen, um Geld zu verdienen. Und ich will nicht im Tour-Bus sitzen, wenn ich 65 Jahre alt bin. Und die Realität ist, dass ich keine Arenen mehr bespielen werde, also spiele ich weiterhin Gigs auf demselben Level wie in den vergangenen fünf Jahren. Das ist die Realität.

Und ich habe es geliebt auf der Bühne zu stehen. Gemeinsam mit den anderen zu performen, ein unglaublicher Job. Aber die 22 Stunden, die vom Tag übrigbleiben, sind schrecklich, ich hasse sie. Rumhängen, warten. Gerade die letzte Tour, als die jungen Kerle in der Crew mit dabei waren und ihr Bier getrunken haben. Ich habe das schon zwanzigmal in meinem Leben gehabt. Ich laufe dann lieber herum oder setze mich in meinen Raum, schaue Netflix und trinke einen Wein, bereite mich auf die Show am nächsten Tag vor und achte auf meine Stimme. Ich will auch nicht so lange von meiner Frau getrennt sein, von meinem Zuhause und dem Garten. Stattdessen verbringe ich sechs Wochen im Tour-Bus, nur um zwei Stunden auf die Bühne zu gehen. Das will ich nicht mehr. Auch physisch wird es immer schwieriger, das ist eine Tatsache des Lebens. Ich bin auch nicht GENESIS, ich bin nicht die ROLLING STONES, die eine Armee von Physiotherapeuten und Fünf-Sterne-Hotels haben und eine Menge an Leuten, die dein Leben schön gestalten. Ich habe das nicht, ich mache nicht alle vier Tage ein Konzert, ich mache fünf Shows die Woche. Ich will das nicht mehr. Warum sollte ich es auch machen wenn ich 65 Jahre alt bin?

Und wie beschäftigst Du Dich bis zum kommenden Jahr?

Natürlich im Garten. Aber wir werden auch die Remasters von ´Vigil In A Wilderness Of Mirrors´, ´Internal Exile´ und ´13th Star´ sowie ein Live-Album von der ´Clutching At Straws´-Tour in Angriff nehmen. Wir haben also genug zu tun und finden schon andere Aufgaben bis wir touren können.

Wir waren dermaßen glücklich als wir jetzt erst einmal das Album fertiggestellt hatten. Meine Frau und ich öffneten die erste Flasche Wein seit sechs Monaten und hörten uns das Album an. Es war das Gefühl eines Abschlusses. Und es ist genau das geworden, was ich machen wollte, mich mit einem großen Werk zu verabschieden.

Und der Druck ist diesmal völlig anders. Normalerweise gehen wir es komplett anders an. Diesmal ist es mir egal. Ich habe ein tolles Album gemacht. Ich weiß es. Und wie oft es sich verkauft war überhaupt nicht der Antrieb. Ich habe mein Statement zum Ende meiner Karriere gesetzt. Das ist das beste Album, das ich machen konnte. Dieses Album ist eines, das ich hören möchte, wenn ich 80 Jahre alt bin, und eines, das ich auch als Musiker machen wollte.

Es ist das Ende einer Ära, und ich nehme die nächsten Herausforderungen an. Ich werde nicht aufhören, ich gehe nicht in den Ruhestand von meinem Leben, ich gehe in den Ruhestand von der Betätigung im Musik-Business.

Schreibst Du bald an einem Buch, vielleicht an einer Biografie?

Ja, das ist möglich. Aber zurzeit ist mein Kopf nicht frei. Auf einer Tournee schreibe ich auch nicht, selbst wenn mir Ideen einfallen. Ich schreibe dann nicht ernsthaft, weil ich ganz auf die Tournee konzentriert bin. Mein Kopf ist dann schlichtweg woanders. Und momentan bin ich ganz auf ´Weltschmerz´ fokussiert.

Eins noch: Welches Album Deiner Karriere ist Dein Favorit?

Die Antwort ist einfach: Mein Lieblingsalbum ist ´Weltschmerz´.

 

 

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Pics: Wojtek Kutyla