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THE FLAMING LIPS – American Head

~ 2020 (Bella Union) – Stil: Experimental Rock/Psychedelic ~


Mit ihren jüngsten Werken schien sich eine der nach wie vor zweifellos verrücktesten, durchgeknalltesten und zugleich grandiosesten Bands dieses Planeten immer tiefer wie in eine Inselblase zurückzuziehen. Madcap-Projekte wie Track-by-Track-Hommagen an Klassiker-Alben von den BEATLES und PINK FLOYD, ein geradezu wahnwitziger 24-Stunden-Song und ein Album, das sich einer skurrilen Cartoon-Psychedelic widmete (´Oczy Mlody´ von 2017), ließen selbst ihre eingefleischtesten Anhänger erstaunt zurück und darüber rätseln, in welche Richtung sich der Sound der FLAMING LIPS künftig wohl entwickeln würde.

Das neue Album ´American Head´ wurde schließlich aus den Grenzen der Quarantäne erstellt und ist ein recht vielseitiges Werk geworden, dessen Stil sich von Song zu Song nahezu durchgehend ändert. Die Band hat einmal mehr mit ihrem Sound experimentiert, indem sie eine beeindruckende Infusion an Americana vorgenommen hat, während sie die Anteile an Akustikgitarre und Electronica jedoch weitestgehend behielten.

So dominieren auch nach wie vor die hausgemachten Orchestrierungen der Crazy-Oklahoma-Seven, die bittersüß-fragilen Melodien und ihre Ausweichmanöver von intimer Melancholie bis hin zu euphorisch aufsteigenden Wellen, die sich spätestens seit den Geniestreichen ´The Soft Bulletin´ (1999) und ´Yoshimi Battles The Pink Robots´ (2002) im Universum der LIPS manifestiert haben.

Der verträumte Opener ´Will You Return / When You Come Down´ erhebt den Hörer gleich aus den Tiefen der Realität und katapultiert ihn in eine idyllische Landschaft aus heiterem Gesang und perfekter Gitarre, die meisterhaft mit wackeligen E-Gitarren-Licks gemildert wird. Beim folgenden ´Watching The Lightbugs Go´ hingegen steht die U.S.-amerikanische Singer-Songwriterin Kacey Musgraves mit ihren atemberaubend-schönen, betörenden Vocals erstmals im Mittelpunkt, vor dem Hintergrund herzerwärmender Streicher und der marschierenden Percussion an Kriegstrommeln.

´American Head´ ist ein ausgesprochen introspektives Werk geworden, es spielt mit der tiefgreifenden Komplexität von Liebe, Verlust und Nostalgie und ist zugleich auch eine Anspielung auf die jugendlichen Abenteuer der Bandinsassen in ihrer Heimatstadt Oklahoma. Songs wie ´When We Die When We`re High´ oder ´You N Me Sellin’ Weed´ präsentieren den hektischen Derwisch des Lebens, den die Drugheads nun mal in seiner ganzen Pracht durchlebt haben. Diese Stücke klammern sich aneinander, wie bei einer Hymne für die Verdammten und wirken wie ein lebender Albtraum, in dem die Magical-Mystery-Tour und der American Dream frontal miteinander kollidieren.

´American Head´ ist ein Album, das die doppelseitige Münze der Nostalgie herausfordert, ihre Höhen umarmt, uns jedoch auch gleichzeitig mit ihren Tiefen konfrontiert. Stattlich, traurig, aber irgendwie auch unbestreitbar erhebend, ist es ein seltenes Konzeptalbum, das die Erzählung tatsächlich auch zusammenhält und gleich mit einer Reihe der kraftvollsten und bewegendsten Stücke der Band seit den frühen 00er-Jahren aufwartet. Die LIPS kommen langsam aber sicher wieder in Form.

(8,5 Punkte)

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