Redebedarf

THE STRING THEORY

~ Interview mit PC Nackt ~

THE STRING THEORY veröffentlichen in diesen Tagen ihr Werk ´The Los Angeles Suite´. Gelegenheit für uns, sich einmal etwas länger mit PC Nackt zu unterhalten, der als Dirigent, Komponist und Produzent an entscheidender Stelle des Projektes die Fäden in der Hand hält.

Wer in seiner Vita etwas stöbert, trifft auch auf seine Jahre bei NENA, als er maßgeblich an deren Comeback zu Beginn des Jahrhunderts beteiligt war. Doch heute wollen wir uns ganz der Musik von STRING THEORY zuwenden.

Hallo PC, Du hast 2007 mit Ben Lauber BERLIN STRING THEORY initiiert, eine spontane oder doch länger geplante Geschichte?

PC Nackt: Geplant war das nicht – wir haben aus einer Gelegenheit heraus begonnen, Musik von Berliner Freunden, z. B. Olli Schulz, TOCOTRONIC, für Streichquartett umzuarrangieren und aufzuführen. Dabei haben wir gemerkt, dass Songs von einem Streichensemble gespielt quasi Genre-neutralisiert werden, also kein HipHop, kein Punk oder kein Country/Western mehr sind, sondern eben über diesen Begriffen zu schweben scheinen.

Das hat Ben und mich inspiriert daraus ein Konzept zu machen: Das Wander-Orchester zur Überwindung von Grenzen jeder Art (Nationalität, Genre, Gender, etc.). Eine musikalische Skulptur aus Vertrauen und Hingabe.

Wie kam es dann zum Werdegang über GÖTEBORG STRING THEORY schließlich zu THE STRING THEORY?

In Berlin gegründet, waren wir ein Streichquartett + X und hießen THE BERLIN STRING THEORY. Teilnehmer waren u.a. Nathalie und Sebastian Barusta-Gäbel (GODS OF BLITZ). Das Erlebnis hat den beiden in Göteborg/Schweden lebenden Musikern so gut gefallen, dass sie vorgeschlagen haben, in Schweden das Gleiche mit schwedischen Künstlern zu tun. Also wurden wir die GÖTEBORG STRING THEORY, haben so José kennengelernt und waren schon doppelt so viele Musiker/innen – tatsächlich ein kleines Orchester! So sind wir immer multinationaler geworden und schließlich an den Punkt gekommen, einen Universal-Namen zu brauchen. Daher also nur noch THE STRING THEORY.

Um unsere Projekte unterscheiden zu können, führen die Platten aber immer noch die Namen der Entstehungsorte, wie z. B. bei der „AachenStringTheory“ oder der „LosAngelesStringTheory“.

Worin besteht der Unterschied zwischen Deinem Studiokollektiv CHEZ CHERIE und THE STRING THEORY, die Anzahl der Musiker außer acht gelassen?

Das CHEZ CHERIE ist ein Zuhause von Schaffenden, der Ort ist das Ziel und das Zusammenleben Ausdruck der Gemeinschaft.

THE STRING THEORY ist eine konkrete Aktion. Das gemeinsame Erfinden und Performen unserer Musik sind Ausdruck der Gruppe, die Reise ins Unbekannte das Ziel.

Wie hast Du eigentlich den Weg von deiner Liebe, dem Jazz, zur elektronischen und schließlich klassischen Musik gefunden?

Jazz war nie meine Liebe, eher eine Geliebte. Ich habe immer schon in vielen Teichen nach Wahrheit gefischt (Punk, Tekkno, Pop…). Musik bedeutet Emotion und Bewegung. Der Rest ist nur eine Frage des Instrumentariums (Drum-Maschine oder Geige), der Kultur (China heute oder Deutschland vor 100 Jahren) und des Marktes (Hype, Product Placement).

Du bist seit Jahren auch im Studio tätig. Ist das eine Arbeit auf die du dich auf Dauer ganz konzentrieren könntest, oder zieht es dich automatisch immer wieder als Musiker hinaus in die Welt, auf die Bühnenbretter?

Das Studio ist das perfekte Instrument zum Kreieren und Festhalten von Ideen. Zeit spielt eine untergeordnete Rolle und die Aufnahme steht am Schluss als definitives Ergebnis.

Live geht es um die Erfahrung, den Körper, die Menschen und die unendlichen Interpretationsmöglichkeiten von Musik. Nur das „Jetzt“ zählt! Ein nie endender Prozess mit unerklärbaren Momenten.

Beides gehört zusammen und erzeugt eine Dynamik, ohne die ich gar nicht existenzfähig wäre.

Vermisst du nicht manchmal das triste Tour-/Studio-/Tour-Leben mit einer festen Band?

Ich war seit ich 15 bin praktisch immer auf Tour oder eben im Studio mit einer meiner Bands – die STRING THEORY ist halt ne große Band.

Trist ist nur das Covid-Chaos und ich bin traurig wegen all dem Nonsens, die Musik nicht mit unserem Publikum teilen zu können.

Immerhin habt ihr mit THE STRING THEORY auch bereits fünf Tourneen gespielt. Aber dies ist bestimmt aufwändiger in Planung und Ausführung?

Klar, STRING THEORY bedeutet immer einen riesen Aufwand an Vorbereitung, Logistik, Equipment und Personal. Aber wir haben Spaß an komplexen Aufgaben und lieben es an Herausforderungen zu wachsen.

Lohnt sich solch ein Unterfangen eigentlich bei so vielen Musikern, oder habt Ihr Sponsoren?

Es lohnt sich natürlich – das ist eigentlich eine Mega-Untertreibung. Natürlich müssen wir bei so viel Alarm unmittelbare finanzielle Abstriche machen. Dass es uns dabei aber um ganz andere Dinge geht, dürfte klar sein.

Wie muss man sich überhaupt Euer Zusammenwirken vorstellen? Gibt es gewisse Köpfe, die vorab alles planen, auch die Musik komponieren?

Der harte Kern beschließt ein Projekt. Sebastian, Gitarrist und Cheforganisator der Band, kümmert sich dann um die Logistik und übernimmt die Kommunikation.

Ben und ich sind für die Musik zuständig, formulieren eine musikalische Basisidee und schmeißen dann unsere besten Ideen zusammen.

Bei den Aufnahmen sind alle aus der „Familie“ dabei, Chérie z. B. organisiert meistens die Chöre, Daniel Schröteler entwirft neue Instrumente und Tilman Hopf, genialer Tonmeister vom CHEZ CHERIE, leitet die Aufnahmen.

Nathalie und Chérie kümmern sich ums Artwork, später um Videos, Bühnenbilder, etc…Sebastian kümmert sich schließlich um den Release und die Tour.

 

 

Und wie kommt man ohnehin auf die Idee, ein Kollektiv mit so vielen Musikern vereinen zu wollen?

Als Gruppe etwas zu erleben, ist eine zutiefst menschliche Erfahrung. Die Begeisterung über das enorme Volumen, die Geborgenheit, das Potential, ist einfach euphorisierend.

Außerdem werden die Schwächen der Einzelnen durch die Stärken Anderer mehr als kompensiert und so kommt jeder von uns in den Genuss von Erfolgen, die allein so nicht möglich gewesen wären. 😀

… und dann noch mit denen auf Tournee zu gehen?

Tja, wenn schon, denn schon … immerhin habe ich so die Royal Albert Hall von innen gesehen. 🙂

Wo würdet Ihr lieber spielen: in der Alten Oper Frankfurt oder im Madison Square Garden New York?

Alte Oper kenne ich ja schon (toll!), von daher würde ich lieber im „Madison Square Garden“ spielen.

Die Studio-Sessions zum neuen Album in Los Angeles müssen ja spontan vonstatten gegangen sein. Aber ohne Vorbereitung und ohne Lieder geht ihr doch nicht ins Studio?

Wir haben die beteiligten Künstler im Vorfeld gebeten, uns ihre Ideen zum Thema „LA_Suite“ zu schicken. Das waren zum Teil kurze Fragmente mit dem Telefon aufgenommen, manche Traxx waren schon Demoproduktionen ganzer Songs. Das Meiste kam dann natürlich erst Stück für Stück im Laufe der Aufnahmewoche selbst bei uns an, teilweise am Abend vor der jeweiligen Aufnahme. So haben wir uns in den Nächten die gesamte Produktion und die Noten theoretisch ausgedacht. Den Rest konnten wir am Tage in kürzester Zeit mit Hilfe der Spontanität der Gruppe vor Ort erarbeiten.

Und wie habt Ihr dann von jetzt auf gleich die Gastmusiker gefunden?

Das war ein wochenlanges Überzeugen im Vorfeld. Malte Hagemeister und Kristian Nord von „California Music“ aus LA haben hierfür ihr Wahnsinns-Netzwerk von beeindruckenden Musikern/innen aktiviert.

Das Vertrauen, das die Beiden in ihrem Umfeld genießen und die freundliche Beharrlichkeit mit der sie alle Teilnehmer „zu ihrem Glück“ überreden konnten, hat schließlich die „LA StringTheory“ möglich gemacht!

Eine bewusste Maßnahme, um in die langjährige Zusammenarbeit mit einem Künstler, mit José González, Abwechslung hinzubekommen?

Wir lieben José und um weiter für ihn ein ebenbürtiger kreativer Partner zu bleiben, ist es wichtig, dass wir auch eigenständig an unserer Sprache und Karriere arbeiten.

Ich freu mich schon, mit unseren neuen Ideen auf seine neuen Songs zu treffen!

 

 

Entsteht die musikalische Bandbreite ebenso hinsichtlich einer gewollten Abwechslung oder aufgrund der Eigenheiten aller Komponisten?

Die Bandbreite entspringt zum großen Teil Bens und meinem grundsätzlichen Eklektizismus. Ein anderer wichtiger Faktor sind aber die vielen Teilnehmer/innen, von den Instrumentalist/innen bis zu den Sänger/innen, die jeweils eine eigene kulturelle Ausgangssituation mitbringen und mit ihrem Sound das Bild sehr prägen.

Habt Ihr noch Musiker im Auge, mit denen Ihr in Zukunft gerne zusammenarbeiten würdet?

Die Liste von potenziellen Kollaborateuren ist endlos, von Kate Bush zu Yuval Noah Harrari… Im Moment liegt der Fokus gerade aber auf unserer nächsten Platte, die dieses Mal ganz ohne externe Vocalist/innen sein wird.

Und da Dein Schöpfungspotential nie zu versiegen scheint, schreibst du nebenbei noch Musik für Kinofilme und Theaterproduktionen. Auch eine Möglichkeit, in den kommenden Wochen beschäftigt zu sein, oder versiegt die Nachfrage dahingehend derzeit auch?

Es ist keine Frage von Angebot und Nachfrage mehr: Zur Zeit passiert ein gesellschaftlicher Umbruch, der die Produktionsmaschinen ganz Allgemein ins Stottern gebracht hat. Es war selten soviel Raum da, um mit Mustern zu brechen und Neues zu schaffen. Ich bin dadurch mega inspiriert und brenne vor Tatendrang, den ich auch auslebe – eine spannende Zeit für Künstler und Homo Sapiens!

Gibt es Hoffnung, THE STRING THEORY noch 2020 live zu sehen?

Leider nein! Wir hatten Konzerte in den USA und Europa geplant, was aber alles wegen Covid abgesagt wurde. Keiner weiß, für wann man wieder planen kann, aber sobald es losgeht, sind auch wir mit der STRING THEORY am Start.

Wir freuen uns jetzt schon.

 

https://www.facebook.com/wearethestringtheory


Pics: Robin Hedberg
The String Theory-Collage: Robert Samsonowitz