Livehaftig

Ein Abend mit TOXIK SHOKK

~ Live im Live-Stream ~


Corona hin – Krise her

Da wir nicht in ihrer Haut stecken, können wir (fast) alle nicht nachfühlen, wie es Musikern, Technikern, Konzertveranstaltern, Security-Menschen oder den fleißigen Händen an den Theken, und wohl vielen anderen mehr, wirklich geht, die seit gefühlten Ewigkeiten zum Nichtstun verdammt sind.

Ja, es werden im Moment Ideen im Schmerz geboren. Auto-Konzerte, Live-Streams aus dem Proberaum. Trotz versprochener Hilfen, die Veranstaltungsbranche hängt im luftleeren Raum. In dieser Phase nun spielen auch die Thrasher TOXIK SHOKK ein Streaming-Konzert. Nach langer Probenarbeit ist es nun auch an der Zeit, den neuen Frontmann Alfred Marbach noch bekannter zu machen. So könnte dieser Abend seine Reifeprüfung werden.

Die Aktion soll natürlich auch einem guten Zweck dienen. Erlöse des Abends gehen an den Mitveranstalter. Im pfälzischen Weingarten ist der Sitz der Firma MegaSound. Als Dienstleister im Bereich Veranstaltungstechnik leidet auch sie unter den aktuellen Beschränkungen. 
Darum betreten sie am 4. Juli um 20.30 Uhr die Bühne der Stadthalle in Germersheim, um mal wieder Ass zu kicken. Mit dabei sind sicher ihre Hits und natürlich Dr. Frankenmosh.

Als ich die ersten Infos zu dieser Veranstaltung erhielt, war mir klar, ich will dabei sein. Also habe ich des Doktors Vertreter kontaktiert. Und so mache ich mich an diesem Samstag auf den Weg. Nicht im Taxi nach Leipzig, nur über den Rhein, nach Germersheim. Die Stadthalle, relativ grün gelegen, von außen ein ziemlich unspektakulärer Bau, hat aber einen wunderbaren Saal. Den hat die Stadt kostenfrei zur Verfügung gestellt. Scheinbar gibt es doch ein paar Politiker, die die Not der Veranstaltungsbranche sehen.

Zwischen Aufbau, Soundcheck und Auftritt ist natürlich viel Zeit, ein paar Gespräche zu führen. Etwa mit Dieter, dem Inhaber der Firma MegaSound. Der erzählt mir etwa, dass er seine letzte Rechnung am 3. März geschrieben hat. Seitdem gibt es keine Einnahmen mehr. Fünf Touren sind ihm gecancelt worden, zwischen 4 und 15 Terminen. Einiges wurde verschoben, manches fiel ganz weg. Und noch niemand weiß, wie es weitergeht. „Es geht ja auch nichts von heute auf morgen. Wir brauchen da auch Vorlauf.“ 

Woran es auch mangelt, im Gegensatz etwa zur Autoindustrie fehlt in der Verantaltungsbranche jemand, der Lobbyarbeit leistet. Das liegt auch an mangelnder Vernetzung. Von der Night of Light, die zuletzt stattfand, halten viele der Anwesenden eher wenig. „Die gab schöne Nachrichtenbilder, hatte aber keinen Effekt. Besser wären alle Teilnehmer, jeder mit zwei Ziegelsteinen, nach Berlin gefahren. Die Steine vor dem Eingang des Reichstags gestapelt, das hätte mehr Wirkung erzielt.“

Die Protagonisten des Abends sind jedoch andere. Mitten im Aufbau nehmen sich TOXIK SHOKK die Zeit, mich zu begrüßen. Gleich ein paar Sachen mit vom Auto zur Bühne getragen, man will sich ja nützlich machen. Es ist dem „normalen“ Konzertbesucher, also auch mir, kaum bewußt, wie viel Arbeit hinter so einem Abend steckt. Der folgende Soundcheck wird auch genutzt, um ein paar Stücke komplett noch einmal durchzuspielen.

Matze bei der Soundcheckjamsession

Das sagt einiges über die Arbeitsmoral der Jungs. Sie feiern eben keine Rock’n’Roll-Party. Natürlich wird später zum Essen ein Bier getrunken. Aber am Ende des Abends sind alle noch fahrtüchtig. Axel, auch Max van Trommel genannt, das Arbeitstier am Schlagzeug, und Gitarrist Matze nutzen sowieso jede freie Minute, um miteinander zu jammen. Tim, der Bassist, wirkt wie der Ruhepol der Band, ist aber auch immer wieder zuständig für einen lockeren Spruch.

Und dann ist da noch der „Neue“. Der Auftritt im Haus in Ludwigshafen vor einem Jahr war die Verabschiedung von Zottel. Er mußte aus gesundheitlichen Gründen das Mikro zur Seite legen. Immer noch aber ist er freundschaftlich mit TOXIK SHOKK verbunden. Die folgende Sängersuche war recht schnell beendet. Auf meine Frage, ob Alfred die Band vorher schon kannte sagt er: „Tatsächlich nicht. Ich war einfach auf der Suche nach einer neuen Band. Als ich den Post auf FB gesehen habe, dass hier ein Sänger gesucht wird, habe ich sie einfach angeschrieben. Und ich wurde zur Probe eingeladen.“ Tim ergänzt: „Nach drei Proben waren wir uns sicher, es würde funktionieren.

Der Neue, gar nicht zottelig

Jetzt interessiert mich noch, was Alfred anders macht als Zottel. Das solle ich mir doch einfach anhören. Und Tim fügt hinzu: „In den ersten Proben mußten wir Alfred noch dazu anhalten, sich nicht zu sehr an Zottel zu orientieren. Manche Stücke haben wir auch ein wenig angepaßt. Vor allem auch ´#Think´, das aber noch relativ neu und in Entwicklung ist.

Es nähert sich die Stage-Time. Nun zeigt sich, wie wichtig gute Vorbereitung ist. Nervosität? Fehlanzeige! Plötzlich ist es soweit. Das Licht geht aus. Die einzige Panne des Abends, die Anmoderation fällt aus, da direkt das Intro eingespielt wird. Und so starten TOXIK SHOKK mit ´Bleeding Red´ in ihr Set.

Was macht Alfred jetzt anders? Nicht viel, er ist einfach er selbst. Er singt etwas tiefer, mehr mit seiner eigenen, seiner unverfälschten Stimme. Bis auf wenige Schreie verzichtet er darauf, seine Stimmbänder zu quälen. Das wirkt natürlicher als bei Zottel, aber nicht minder aggressiv. So bleiben TS die gleiche Band mit den gleichen Songs.

Ja, sie spielen unter erschwerten Bedingungen. Der Sound auf und vor der Bühne ist völlig ungewohnt. Das war allerdings im Vorfeld klar. Heute wird für den Live-Stream gemischt und nicht für ein Publikum vor der Bühne. So muss etwa gegen den Hall in der Halle angemischt werden, was für eine Senkung der Lautstärke sorgt. Schließlich empfangen die Gesangsmikros jeden Ton, auch die überflüssigen.

Die fehlende Crowd macht sich vor allem an anderer Stelle bemerkbar. „Wir wussten ja, dass keiner da ist. Wenn ich aber die Augen öffne und der Saal ist leer, ist das schon seltsam.„, berichtet Alfred später. „Es ist total schwierig, sich zu pushen, ohne die Energie vom Publikum„, beschreibt es Matze.

… und die Musi spielt dazu

Ich würde die Stimmung gespenstisch nennen. Kein Applaus zwischen den Liedern. Kein Hüpfen, kein Bangen. Totenstille. Mit steigender Zuschauerzahl im Stream allerdings wird es im Chat aktiver. Und von dort kommt Lob. Gelobt wird speziell das Licht. Der Lichtmann schafft tatsächlich, die Stimmung wunderbar zu beleuchten und damit zu unterstreichen. Auch der Sound im Stream scheint zu stimmen, es sind keine Beschwerden zu lesen. 

Und die Band? Macht das Beste aus der Lage, legt einen fetten, trotz allem auch eneriegeladenen Gig hin. Damit sich die Chose auch richtig lohnt, gibt es auch noch zwei Cover. Von den SUICIDAL TENDENCIES haben sie sich ´Possessed To Skate´ ausgesucht. Noch besser ist der Abschluß mit ONSLAUGHTs ´Killing Peace´. Dann ist alles vorbei. Das Licht geht an. Zwei einsame Zugabe-Rufe und dann herrscht Stille. Eine zufriedene Stille. Die Band grinst von der Bühne herunter. Bedankt sich bei Technik und Kameraleuten. So sicher man es sich sein kann, TOXIK SHOKK freuen sich jetzt schon auf ein nächstes Mal, dann hoffentlich wieder mit Publikum.

Bis dahin, vergesst neben den Musikern nicht all die Techniker, Veranstalter, Kartenabreißer oder Thekenmitarbeiter. Ohne all diese Menschen, wäre es nicht nur still sondern auch dunkel.

 
[Die Rechte der Aufnahmen liegen bei der Firma MegaSound by Dieter Spirk. Auf deren Youtube-channel gibt es sicher demnächst das Ganze zum Nachschauen.]