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JASON ISBELL & THE 400 UNIT – Reunions

~ 2020 (Southeastern Records/Thirty Tigers-Membran) – Stil: Americana ~


Jason Isbells Kompositionen werden von Jahr zu Jahr persönlicher. Auch in Interviews nimmt der 41-jährige Songwriter kein Blatt vor den Mund und redet offen über seine Alkoholsucht, der er seit seinem Entzug 2012 abgeschworen hat. Seine zweite Ehefrau und Mitmusikerin Amanda Shires sind sein Leben, ihre Tochter Mercy Rose sein Ein und Alles. So ist es nicht verwunderlich, dass das siebte Werk des ehemaligen DRIVE-BY TRUCKERS-Musikers der Vertonung eines Tagebuches gleicht.

 

 

´Reunions´ lässt Erinnerungen aus Vergangenheit und Gegenwart nur so heraussprudeln, zeigen einen besseren und nachdenklichen Menschen, der über unsere Väter, Frauen, Kinder, Gott und die Welt, über die Geister aus vergangenen Tagen singt. Die Menschen, die Jason Isbell und seine Lieben verlassen haben, geben ihn einfach nicht frei. Die aufwühlende Ballade ´Only Children´ und ´St. Peters Autogramm´ sind ein Bewältigungsversuch der aufgestauten Gefühle. Immerhin wird es für Isbell von Jahr zu Jahr leichter, Wein und Whiskey zu vergessen, ´It Gets Easier´ ist sein diesjähriges Statement.

 

 

Seine Gefühle verpackt Jason Isbell musikalisch in einen Country-Rock mit Soul, einer von ihm seit Kindheitstagen aus Nord-Alabama bekannten Musik. Gleichwohl sind seine Songs ruhiger geworden, werden zumeist von der Akustikgitarre geprägt. Allein die schnellen Saitenanschläge des Openers ´What’ve I Done To Help´ öffnen umgehend die Tore zum Himmel, zum von Isbell und seiner Begleitband ausgebreiteten Garten Eden. Schöner wird es hier und an anderer Stelle selten. Das treibend rockende ´Overseas´ erweist nicht zum Abschluss der A-Seite als weiteres Highlight. Beide Songs begeistern zudem mit quietschenden Saiten zum Abgang. Lauthals ruft nochmals auf der B-Seite ´Be Afraid´ nach Aufmerksamkeit.

 

 

Darüberhinaus breiten sich zarte, emotionsgeladene Töne aus. ´Running With Our Eyes Closed´, mit dem einzigen, schlichten Zeilen-Refrain, weckt den Mark Knopfler im Gitarristen. Dagegen dürften ´Dreamsicle´ und ´River´ nicht nur in Nashville, wo Jason Isbell 2019 rekordverdächtig sieben Nächte hintereinander im „Ryman Auditorium“ auftrat, großen Anklang finden. Die aufwühlenden 41 Minuten enden schließlich mit dem ruhigen, aber gütigen ´Letting You Go´, das selbstredend über das Loslassen der eigenen Kinder spricht und über eine Rose, natürlich Isbells Tochter, die von Natur aus weiß, wie sie zu wachsen hat.

Wer nach diesem Album nicht all seinen Lieben jede Verfehlung verzeiht und selber versucht, ein liebevollerer und besserer Mensch zu werden, sowie seine Geliebte schleunigst zum Traualtar führt, um Kinder in diese Welt zu setzen, darf als reichlich kaltherzig bezeichnet werden.

(8 Punkte)


Band-Pic: Alysse Gafkjen