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THE ANCESTRY PROGRAM – Tomorrow

~ 2020 (Independent/Just For Kicks Music) – Stil: Modern Prog ~


2015 fanden mehrere Münchner Musiker als Künstlerkollektiv THE ANCESTRY PROGRAM zusammen. Zwischenzeitlich ist aus dem lockeren Zusammenschluss eine ansehnliche Band erwachsen und fünf Jahre später steht faktisch das Debüt in den Läden.

´Tomorrow´ ist eine kleine Wundertüte, die sich nicht so einfach fassen lässt. Das Quartett, bestehend aus Sänger Ben Knabe (PHANTONE, AMON DÜÜL), Gitarrist/Keyboarder Mani Gruber (BOYSVOICE), Keyboarder/Bassist/Gitarrist Thomas Burlefinger (7 FOR 4) und Schlagzeuger/Keyboarder Andy Lind (SCHIZOFRANTIK), zehrt aus einem viel zu mannigfaltigen Ideenfundus.

THE ANCESTRY PROGRAM, gerne auch TAP abgekürzt, vermischen zuweilen gewöhnlichen Prog Rock und Neo Prog mit Djent und Prog Metal auf äußerst zeitgemäß erfrischende Art und Weise. Und ganz wichtig: Den Herrschaften ist durchgehend der Spaß am Musizieren anzuhören, ohne dass dieses Debüt zu einer lächerlichen Spaßveranstaltung mutiert.

Auf über acht Minuten zeigt ´Silver Laughter´ in welche Richtung die nächsten 77 Minuten den Hörer tragen werden. Teutonischer Prog Rock vermengt sich mit metallischer Härte im polyrhythmischen Ausdruckstanz. Neben der instrumentalen Klasse beeindrucken bereits an dieser Stelle die sich stapelnden Gesangsmelodien. Die intensiven Momente stammen bei ´Another Way To Fly´ neben dem Prog Rock einerseits von ELP und andererseits von GENTLE GIANT, wobei die Gitarre einen ganz anderen Ansatz verfolgt.

 

 

Das zehnminütige ´Easy For Us´ pendelt zwischen New Artrockigen-Ausbrüchen und emotional gedämpften Momenten, enthält jedoch dezente TALK TALK-Einflüsse, einige, wenige Growls und einen hypnotisierenden, psychedelischen Ausklang. Die in den Siebzigerjahren gepflegten und zuletzt von SPOCK’S BEARD gebräuchlichen Break-Kaskaden dürfen in ´Tomorrow´ bewundert werden. Bei aller Härte und Break-lastigkeit zeigt sich der Prog Rock von ´More To This´ dennoch gerne in Verwandtschaft zu EVERON und SAGA.

Die gewisse Lässigkeit pflegen die Bajuwaren in ´Pun Intended´ und ´Tangerine Parties´. Ersterer wandelt sich aus der Leichtigkeit des Prog Rock, wäre sie etwa von den RED HOT CHILI PEPPERS vorgetragen, in einen heftigen Headbanger mit bösem Gebrüll. Diesen Sekunden-Death Metal im Partyraum mit Hammondorgel hätten ansonsten wohl allein Dan Swanö oder WALTARI erfinden können. ´Tangerine Parties´ spielt sich hingegen mit seinem Ping-Pong-Anschlag zum Heavy-Groove in die Bajuwarian-Polka. Eine andere Stimmung, die des Sinfo Prog, schwört ´Human Key´ mit Saxofon und Flöte herauf, derweil der tragische Rock-Refrain im Broadway-infizierten ´No Chorus No Home´ immer wieder urplötzlich vom Himmel fällt.

TAP muss bei aller instrumentaler Zurschaustellung ein sensationelles Niveau attestiert werden. Die Kompositionen versprühen Charme und Charisma und stehen in ihrer gebotenen Stilistik allein auf weiter Flur. Nur die Briten von NOVENA breiten momentan ebenso mächtig weit ihre Flügel innerhalb des Genres aus.

THE ANCESTRY PROGRAM sollte in diesem Jahr jeder auf seinem Programm-Zettel stehen haben.

(8,5 Punkte)

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https://theancestryprogram.bandcamp.com/album/tomorrow-cd