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SIR RICHARD BISHOP – Oneiric Formulary

~ 2020 (Drag City) – Stil: Experimental/Neo-Folk ~


Der Begriff „Oneiric“ steht für Inhalte und Erzählungen, die traumhaft und voll von Illusionen sind. So lautet auch die zentrale Prämisse von ´Oneiric Formulary´, dem neuen Album von SIR RICHARD BISHOP und dem ersten Solo-Ausflug des ehemaligen SUN CITY GIRLS-Saiten-Gurus seit der Veröffentlichung der meisterhaften ´Tangier Sessions´ aus dem Jahr 2015. „Oneiric“ ist ein geeignetes Qualifikationsmerkmal für die zehn Songs, die Bishop hier präsentiert und wie sie im Netz seiner Gitarre durch eine Art hauchdünnes Halbbewusstsein eingefangen zu sein scheinen – einem Raum zwischen wachem Bewusstsein und träumerischen Surrealismus. Dabei schwankt Bishop zwischen den für ihn typischen, majestätisch anmutenden Akustik-Balladen und oftmals nur halb initiiertem Experimentieren hin und her.

Beim rund neunminütigen ´Graveyard Wanderers´ etwa mischen sich elektronisches Summen und seltsame, spektrale Geräusche mit schrägen Pieptönen und lautem Winseln und erzeugen eine gänzlich nervenaufreibende Atmosphäre. Ein Song mit einer fast düsteren und methodischen Geschwindigkeit, der jede Menge Koffein oder Traumamphetamine injiziert. Es ist schon ziemlich erstaunlich und mutig, welche Wege Bishop hier teilweise nimmt. Keine zwei Spuren klingen auf diesem Album gleich und gerade die experimentellen Ausschweifungen besitzen einen höchst provokativen Charakter.

Natürlich gibt es hier aber auch wunderbare Gitarrenmusik, wie sie von einem so begnadeten Künstler wie Sir Richard zu erwarten ist. Der zweite Track ´Celerity´ ist ein frenetisches, akustisches Stück, das in Form und Tempo geradezu ängstlich wirkt. Auf ´Enville´ und ´Black Sara´ wechselt der Meister sogar von seinem traditionellen amerikanischen Gitarrenstil hin zu Klängen Spaniens und Marokkos und die Songs brillieren mit zahlreichen extravaganten Farben und außermusikalischen Wendungen. Bishop ist eben seit seiner Zeit bei den SUN CITY GIRLS ein musikalischer Sound-Erkunder und wenn er mit dem Grundlegendsten seiner Musik-Werkzeuge, einer einzigen Gitarre, den Stil wechselt, strahlen seine Fähigkeiten und seine Erfahrung erst richtig aus.

Gegen Ende des Albums bietet Bishop mit ´The Coming Of The Rats´ noch ein launisches E-Gitarren-Stück mit einem kratzenden Backing-Track, der gerade noch so erkennbar ist und einer dramatisch wirkenden Gleitlinie, die sich durch das Ganze hindurchzieht.

Im Vergleich dazu führt uns der letzte Song ´Vellum´ wieder zurück in die Bereiche der ´Tangier Sessions´ mit einem komplexen, ausgewählten Gitarrenmuster, insbesondere im letzten Drittel. Hier gibt es jede Menge Ausgangspunkte und Brücken, auf denen Bishop nur allzu gern seine gehämmerten Triller und sechssaitigen Kopfdrehungen wie Feuerwerke in den schwarzen Nachthimmel hinein abfeuert. Die Arbeit ist ruhig, nach Maßstäben des Gitarren-Meisters sogar konservativ und dauert ungefähr sechs Minuten, ohne dabei den Halt zu verlieren. Ungefähr zur Hälfte flirtet der Song wieder mit der Leichtigkeit und Bombastik des Flamenco und in gerade solchen Momenten merkt man, wie Bishop die Ohren seiner Hörer doch immer wieder auf magische Weise verzaubern kann.

Es ist eine äußerst abrupte und kühne Art, das Album zu beenden und es beweist einmal mehr, wie versiert der Maestro auf ´Oneiric Formulary´ vorgegangen ist. Was für ein verrückter, schöner und brillanter Aufruhr von einem Album.

(8 Punkte)

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