Redebedarf

HEAVENS GATE

~ Interview mit Thomas Rettke ~


Nach mehreren Geschichten zu Bands im Osten Deutschlands, will ich jetzt mal einen Blick in den ehemaligen Westen werfen. So habe ich mit Thomas Rettke Kontakt aufgenommen, damit er mir mal erzählt, wie es in seiner Sturm und Drangzeit zuging. Schließlich wird er dieses Jahr 60, da sollte er wohl so einiges zu berichten haben. Natürlich mussten auch Fragen zu HEAVENS GATE gestellt werden. Schließlich gelten die Wolfsburger noch heute, und vielleicht gerade erst heute, als zugehörig zur Speerspitze des deutschen Speed Metal.

Lieber Thomas, erzähl mir mal kurz wie es war, in Wolfsburg zu Beginn der 1980er? War die Stadt zu der Zeit oder später eine Metal-Hochburg oder doch eher Diaspora?

Wir hatten eine kleine Metalszene, außer uns gab es noch zwei weitere Bands in der Stadt. Die eine hieß BLACK TEARS, die benannten sich später in SHORONA um. In der Band hat unter anderen auch Sascha Paeth gespielt. Da war er gerade 16 oder 17, als ich ihn kennen lernte, und ihn eigentlich abgeworben habe.

Die andere Band war PROTECTOR, die gibt es auch heute noch. Der Sänger von denen, Martin „Golem“ Missy, mit dem bin ich sehr gut befreundet. Wir schreiben uns ab und zu mal. Der lebt jetzt in Schweden, seine Band besteht außer ihm heute nur noch aus schwedischen Musikern. Er hat mir dann erzählt, dass seine ganze Band totale Fans von HEAVENS GATE sind. Das ist schon total abgefahren.

Wie gesagt, es gab eine große Musikszene in Wolfsburg, allerdings war damals, 1982, Heavy Metal nicht ganz so verbreitet. Ich muss auch sagen, als wir so anfingen, und auch das erste Mal in der Presse Erwähnung fanden, haben viele andere Wolfsburger Musiker uns ein wenig belächelt als langhaarige Zeckenzüchter. „Die schrammeln ja nur rum, auf der Gitarre“. Das hat sich aber in späterer Zeit relativiert und geändert.

Wie bist Du zum Metal gekommen?

Das ist eine ganz lange Geschichte. Ich war ein ganz kleiner Junge, als meine Schwester, die elf Jahre älter ist als ich, in einem Wolfsburger Kaufhaus eine Lehre als Einzelhandelskauffrau begann. Sie war oft in der Schallplattenabteilung dieses Kaufhauses tätig. Außergewöhnlich, wie ich damals auch, rothaarig, mit Sommersprossen, war sie eine hübsche und nette Person. Die ganzen Vertreter sind voll auf sie abgefahren. So hat sie alles mit nach Hause gebracht. Ich bin also in den 60ern aufgewachsen mit BEATLES, STONES, JIMI HENDRIX, all diesen Bands halt.

Irgendwie habe ich dann auch die ersten Sachen gehört von DEEP PURPLE, von LED ZEPPELIN, alles Bands die etwas rauer und rougher spielten. Nicht zu vergessen auch der gute Ozzy mit BLACK SABBATH damals. Ich fand den Sound einfach geil, den man damals mit den Gitarren machen konnte. Das hämmernde Schlagzeug und der Bass, das hat mich so fasziniert, dass ich immer mehr auch nach solcher Musik gesucht habe. Mit meinem damaligen besten Freund sind wir einmal im Monat, wenn es Taschengeld gab, in die Stadt gefahren und haben uns die neuesten Scheiben angehört. Man konnte zu der Zeit die Platten noch aus der Auslage nehmen, dann kamen die auf einen Plattenteller, es gab Kopfhörer und man konnte reinhören. So haben wir unsere ersten Scheiben gekauft. Das war schon … cool.

Eine coole Zeit…

Gab es Konzerte in der Nähe oder musstet Ihr weiter fahren?

Wir hatten in Wolfsburg die Stadthalle. Die wurde leider später von VW übernommen. Das ist heute mehr eine Kongresshalle. Bis dahin aber fanden da regelmäßig Konzerte statt. Ich habe da etwa die „Metal Battle“ gesehen, SAXON waren Hauptgruppe, Vorgruppe war OZZY OSBOURNE noch mit Randy Rhoads, unglaublich. Eigentlich sollten als Opener RIOT spielen, die allerdings aus Krankheitsgründen absagen mussten. Eingesprungen ist eine deutsche Band namens REVOLVER, eine Band mit einer Sängerin. Die hatten alle Gitarren, die sahen aus wie Revolver. Da war mehr Show als alles andere, war also nicht so toll.

Nachdem VW die Kongresshalle gegründet hatte, ebbte das mit den Konzerten langsam ab. Da musste man natürlich auch ein bisschen fahren. Für uns ist Braunschweig die nächste grössere Stadt und Anlaufpunkt gewesen. Da gab es auch viele Konzerte. Oder wir sind nach Hannover gefahren, auf der A2 dauert das von uns etwa 50 Minuten. Dort habe ich Sachen gesehen wie KROKUS oder die SCORPIONS. Man konnte schon im nicht ganz fernen Umfeld ganz geile Bands sehen. Weit fahren musste man nicht.

Was hast Du denn so sehen können?

Ich habe in Wolfsburg noch vieles gesehen, STATUS QUO, RORY GALLAGHER, die alten SWEET und SLADE… 

Ich habe AC/DC in Hannover gesehen, noch mit Bon Scott. Da kannst Du mal sehen, wie alt ich schon bin. Vorgruppe waren damals JUDAS PRIEST. Die hatte ich noch gar nicht auf dem Schirm zu der Zeit. Die haben mich auch gar nicht interessiert. Ich bin halt wegen AC/DC da hin. Angus Young ist auf den Schultern eines Roadies durch Publikum geritten, direkt an mir vorbei.

Ansonsten ist die Liste zu lang. Aber immer wenn ich an die Konzerte damals denke, bewirkt das, dass ganz viele Synapsen im Hirn angeschaltet werden. Du hast plötzlich wieder irgendwelche Bilder vor Dir, Ereignisse, Vorkommnisse, lustige Erlebnisse.

Wie schwierig war es als Metalfan in Schule oder Beruf? Wie viele Vorurteile gab es etwa gegen lange Haare?

Eigentlich kaum. In den 70er Jahren war es gang und gäbe, dass Jungs längere Haare hatten. Ich hatte damals erst halblange Haare und habe die erst wachsen lassen, als ich anfing Schlagzeug zu spielen und eine Band zu haben. Da ich mit langen glatten Haaren eher aussah wie Otto Waalkes, habe ich mir irgendwann mal eine Dauerwelle reinmachen lassen. Das ging auch einigermaßen und ich habe es lange beibehalten. 

Wie gesagt, fast alle hatten lange Haare. Wenn ich mir Fotos anschaue aus meiner letzten Klasse 1976/77, da war ich sogar eher der Kurzhaarige. Also, Schwierigkeiten oder Vorurteile gab es da gar nicht. 

Angefangen hat alles mit STEELTOWER? Oder gab es noch musikalische Schritte davor?

Die gab es. Ich war Schlagzeuger in einer Band, die nannte sich STRING EYES. Das war eine Band, die hat ausschließlich Akustik-Songs gemacht. Und wir hatten keinen Sänger. 

Ich kam zu der Band wie die Mutter zum Kinde. Ich habe schon immer überall rumgetrommelt, auf den Knien, auf dem Bett, mit Kochlöffeln und mit sonst irgendwas. Meine Schwester sagte immer „Du wirst irgendwann Schlagzeuger…“, jawoll, genau. Eines Tages kam mein Schwager und schenkte mir ein Schlagzeug. „Ja, super, Wo soll ich damit spielen? Soll ich das mit nach Hause in mein Zimmer nehmen? Ich schlage dreimal auf die Trommel, da steht die Polizei vor der Tür!“ Aber es kam noch eine Überraschung dazu. Ein Kumpel von ihm war Gitarrist und seine Band suchte einen Schlagzeuger. Ich dachte, das ist doch blöd, ich habe noch nie richtig gespielt. 

So bin ich also in den Schulkeller gegangen. Ich habe mein Drumkit da aufgebaut. Das war ein altes Sonor-Schlagzeug. Da haben wir einfach losgespielt, vier Stunden, fünf Stunden, wir konnten kein Ende finden. Wir haben tatsächlich zusammen Songs kreiert. Ein paar Auftritte hatten wir auch. Was mich aber immer geärgert hat, wir hatten keinen Sänger. Auch die Musik war nicht so ganz das, was ich mir vorgestellt hatte, weil ich da schon dem Hard Rock und Heavy Metal verfallen war.

Wenn ich schon ein Schlagzeug habe und Musik mache, musste es Musik sein, die mir gefällt. So habe ich mich also aus dieser Band gelöst. Dann habe ich verzweifelt versucht, Leute zu finden, die mit mir eine Metal Band gründen. Komischerweise haben drei Leute von STRING EYES gesagt „Wir können ja mal versuchen, hast Du auch Ideen?“ Ich hatte da schon Songs und Texte geschrieben. Mein Englisch war damals Gully, absolut Gully… Ich habe also jedem gesagt, was er spielen soll und dazu getrommelt. Weil wir keinen Sänger hatten, hieß es, ich soll singen. Ich bin doch kein Sänger, ich bin Schlagzeuger! Aber sie haben mich so lange getrietzt, bis ich nachgegeben habe.

Irgendwann haben wir uns eine 8-Spur-Maschine geliehen und haben im Proberaum tatsächlich ein paar Demos gemacht. Wir haben ein paar Kassetten, wie es damals üblich war kopiert, ich weiß nicht wie viele, 100 oder 150 Stück vielleicht. Die haben wir an Freunde, Bekannte und Verwandte verschenkt. Nach ein paar Wochen bekam ich plötzlich Post von einem Label, „Earth Shaker“, einem deutschen Ableger von „Mausoleum“. Die kamen ja ursprünglich aus den Niederlanden. „Earth Shaker“ waren in Essen ansässig. Die haben uns einen Plattenvertrag angeboten. Ein Kumpel von uns hat die Kassette heimlich weggeschickt. Er hat seine Kopie noch mehrmals kopiert und hat die in die Lande geschickt. Und so haben wir tatsächlich unseren ersten Plattenvertrag bekommen. (Dort erschien dann STEELTOWERs Album ´Night Of The Dog´ – Anm. d. Verf.)

Warst Du da noch Schüler oder schon in Ausbildung oder Beruf?

Ich war, als STRING EYES gegründet wurde bei VW in Ausbildung als Werkzeugmacher. Diese habe ich leider nicht zu Ende gemacht. Es kamen viele Sachen zusammen, etwa meine häusliche Situation. Die war nicht rosig, meine beiden Eltern waren alkoholabhängig. Da gab es viele Auseinandersetzungen und Probleme. Damals in den 70ern hat man sich keine Hilfe geholt, so wie heute. Man hat alles in sich reingefressen. Ein paar enge Freunde haben mich begleitet und unterstützt. Irgendwann bin ich darum aus Wolfsburg abgehauen, weil ich es nicht ausgehalten habe. Ich war bei meiner Tante in Bayern für vier Wochen. Als ich dann zurück kam war die Lehre futsch. Ich habe nun mal unentschuldigt gefehlt. Das wars dann…

Seitdem habe ich mich, bevor es mit der Musik etwas erfolgreicher wurde, mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten. Ich habe so viele Jobs gemacht, das kann ich gar nicht erzählen. Das einzige das ich nie war, ich war nie Herbergsvater in einem Puff, das kann ich sagen. (kichert) Ansonsten habe ich alles gemacht, was man sich vorstellen kann.

Ein Album nebst drei Demos habt Ihr unter diesem Namen schon eingespielt. Wie stolz ist man selber und wie reagieren die Kumpels?

Von den Wolfsburger Musikern wurden wir ja erst ein wenig belächelt. Als dann aber durch die Presse ging, dass wir einen Plattenvertrag haben, hatten wir auf einmal ganz viele Freunde und ganz viele Fans. Eigentlich unglaublich. Wir waren fast die einzigen, außer BLACK TEARS, die hatten einen Vertrag mit SPV, die haben auch zwei Platten gemacht. Danach haben sie sich aufgelöst. Wir waren also die Band, die eine Platte gemacht hat. Im Plattenladen haben wir Autogramme gegeben und so Sachen. Das war schon cool.

Moment, ich muss mal was trinken. Von der vielen Sabbelei ist meine Zunge ganz trocken. Das ist mein Problem, wenn ich einmal anfange zu sabbeln, kann ich nicht aufhören. Das kennen viele meiner Bekannten und Mitmusiker. Die müssen mich dann schon mal stoppen. (fröhliches Lachen)

Wo und wie war Euer erster Auftritt?

Die ersten Konzerte, die wir gemacht haben, die gingen völlig durch die Decke und waren völlig ausverkauft. Wir hatten hier einen kleinen Saal, der nannte sich Kulturzentrum. Die Kids nannten ihn KZ, zu meinem Leidwesen, es war aber umgangssprachlich so eingebürgert. Wenn es also hieß, da ist ein Konzert, wusste jeder, worum es ging. Der Saal war feuerwehr- und sicherheitstechnisch zugelassen für 195 Leute. Bei unserem ersten Konzert mit STEELTOWER waren da 350 Menschen. Der ist auseinandergebrochen. Es war so heiß da drinnen, so stickig, aber ein Alarm, richtig geil! Seitdem waren wir in Wolfsburg so ein bisschen die Local Heroes. 

Man sah ja schon den Vorverkauf. Wir haben ein paar Karten drucken lassen. Es gab zwei Stellen, die Vorverkauf gemacht haben. Und dann bekam ich den Anruf: „Die Karten sind weg.“ Ähhh, wie, die Karten sind weg? „Sind alle weg. Kannst Du noch welche bringen?“ Dann habe ich tatsächlich die Druckerei nachdrucken lassen, und den Verkaufsstellen noch 50 oder 60 Stück gebracht. Zwei Tage später kam der Anruf, die Karten sind alle… Das gibts doch gar nicht. (Schade, dass kleine Bands heute scheinbar nicht mehr das Glück so treuer Fans haben, da muss um jeden Besucher viel mehr gekämpft werden. Das ist jedoch ein anderes Thema. – Anm. d. Verf.)

Wir haben alles selber gemacht. Alles. Wir haben die Anlage selber besorgt, uns ums Catering gekümmert, damit Techniker und Helfer ordentlich versorgt waren, unsere Frauen haben Salate gemacht und belegte Brötchen. Den Getränkeverkauf haben wir selbst organisiert, vom Getränkeabholmarkt haben wir Bier bekommen, alles auf Kommission. Wir hatten auch eine Vorband. Um einen Abend zu füllen, hatten wir nicht genügend Songs, so haben wir gesagt, wir brauchen eine zweite Band. Als die fertig war, und die Umbaupause begann, kamen die Leute von der Theke. „Das Bier ist alle.“ Wie, wir haben kein Bier mehr? 50 Kisten Pils waren schon nach der ersten Band weg. Ich habe dann angerufen, dieser Getränkemarkt hatte eine 24-Stunden-Hotline, nach 15/20 Minuten kamen die und haben noch mal 50 Kisten Pils hingestellt. Mit den Getränken haben wir mehr Geld verdient, als mit den Eintrittskarten…

Warum die Umbenennungen erst in CARRION und später in HEAVENS GATE?

Nachdem ich mich von ein paar Mitmusikern trennen musste, es hat einfach nicht mehr funktioniert, weder menschlich noch musikalisch, habe ich ein paar neue Leute rekrutiert. So war es nicht mehr die ursprüngliche Band STEELTOWER und so haben wir uns CARRION genannt. Unter diesem Namen haben wir Demos gemacht und bekamen einen Plattenvertrag angeboten. Da haben wir festgestellt, dass es eine englische Punk Rock Band unter dem Namen gab. Wir wollten nicht verwechselt werden. Ob die ein Recht an dem Namen hatten, oder ihn haben schützen lassen, keine Ahnung. So haben wir verzweifelt nach einem Namen gesucht.

Wir waren schon im Studio um ´In Control´ aufzunehmen. Sascha und ich waren jeden Tag da, im Horus Sound in Hannover, wir waren so etwas wie die Musical Directors. An einem Wochenende kam unser Bassist Manni, im Gespräch erzählte er, er hätte gestern einen Western gesehen „So ein langweiliger Scheiß“. „Wie hieß denn der?“ Als der Titel fiel, haben wir uns alle angeschaut  und gewusst, Alter, das ist es! HEAVENS GATE! Wir wollten immer so ein positives Feeling rüberbringen mit unserer Musik. Das hatte nicht mit Religion zu tun. Aber, hörst Du Metal gehst Du durchs Himmelstor. So haben wir recherchiert, ob es den Namen schon gab, damals gab es das Internet noch nicht, wir haben Plattenfirmen angeschrieben. Und so haben wir beschlossen, ab sofort heißen wir HEAVENS GATE.

Ich glaube, mit dem Einstieg von Sascha Paeth ging es so richtig los?

Muss ich so sagen, weil, wir hatten das Angebot für den Plattenvertrag und den Verlagsvertrag schon. Um noch einmal etwas professionellere Demos zu machen, sind wir noch mal ins Studio. Da waren wir im Horus Sound. Unser damaliger Gitarrist hatte leider ein Problem mit der Kifferei, der war so nervös, so neben der Spur, der ist alle halbe Stunde aufs Klo gerannt und hat noch eine Tüte durchgezogen. Und jedes Mal, wenn er anfing Soli zu spielen, lief es schlechter und schlechter. Wir haben zum Teil hinter der Scheibe gesessen und aus Verzweiflung gelacht. Es hatte was ganz skurriles, komisches. Du sitzt in einem absolut professionellen Studio. Und da vorne steht ein Gitarist, der nix mit sich anzufangen weiß und mit seiner Gitarre. 

Am Ende war es dann so, im fertigen Demo mussten wir bei zwei Songs seine Soli rausschneiden. Bonny Bilski, der auch erst kurz zuvor zu uns gestoßen ist, hatte ihn schon längst überholt. Es hieß dann von Seiten der Plattenfirma, wir können gerne eine Platte machen, aber nicht mit diesem Mann. So standen wir vor einem Problem, was machen wir denn jetzt? Lassen wir den Deal sausen, um einen langjährigen Freund und Weggefährten mit durchzuziehen? Oder wir müssen ihm sagen, dass er nicht mehr in der Band ist, und wir uns einen anderen Gitarristen suchen. Die zweite Option haben wir gewählt.

Wer kann das machen? Sascha Paeth war damals schon aktiv, ich habe den live gesehen, er war gerade erst 16 oder 17. Ich denke, was spielt der denn da? Wie alt ist er? Er hat die ganzen Techniken rauf und runter gespielt, ich hatte das Gefühl, da steht Eddie van Halen auf der Bühne. Unglaublich! Ich habe ihn dann einfach angesprochen, dass wir einen Gitarristen brauchen, wenigsten für ein paar Soli. Er kam in den Proberaum. Wir haben uns gleich super verstanden, wir hatten den gleichen Humor. So ist er einfach dabei geblieben.

Sascha hat die Songs, die ich schon geschrieben hatte, durch sein Können und Wissen zum Teil umarrangiert. Es klang auf einmal ganz anders, frischer. So ging es vorwärts. 

Beschreibe mal kurz, wie Du Eure Scheiben heute siehst?

Ich bin natürlich stolz drauf. Bei einigen Sachen heißt es, wir wären unserer Zeit voraus gewesen, weil wir auch mal Sachen gemacht haben, die sich andere Metal-Bands nicht trauten. Rein vom Technischen her und vom Sound sind alle Scheiben sehr professionell ausgefallen. 

Ihr habt es ja spätestens mit dem Song ´Planet Earth´ geschafft, Euch vom Drachen- und Kriegerthema zu lösen. Ich würde diesen Song als einen frühen Kommentar zur heutigen Klimadiskussion betrachten?

Drachen und Krieger kann ich nicht nachvollziehen. Natürlich hatten wir auch Fantasy-Texte, etwa die ´Path Of Glory´-Trilogie. 

In der damaligen Zeit, hat tatsächlich fast niemand vom Klimawandel gesprochen. Natürlich wurde in verschiedenen Fernsehsendungen darüber berichtet, aber so richtig hat darüber keiner nachgedacht. Mit dem Text habe ich eher beschreiben wollen, wie der Mensch Raubbau an der Natur begeht. Das sehen wir ja heute noch in ganz großem Stil, sei es in Brasilien oder irgendwo in Afrika. Da werden Flächen gerodet, die sind so groß wie Deutschland. Und das nur, um da Futter anzubauen für Tiere, die wir dann wieder verzehren. Das ist so krank, und das hat mich damals schon gestört. Dazu passte dann auch das Cover.

Wir sind damals mit Miro „The Hero“ Rodenberg (der hat damals für uns ein paar Keyboard-Arrangements gemacht und steht auch heute noch mit AVANTASIA auf der Bühne) an einem Abend in einen Wald gefahren. Du hast nichts gehört als das Rauschen der Blätter, singenden Vögel und das Summen von Insekten. Das war Natur pur. Er hat ein wenig Equipment aufgebaut, 20/30 Meter von ihm weg stand ich mit dem Mikro. Und da habe ich das Intro eingesungen. (Thomas singt: „Planet Earth, Can you hear me?“) Als wir uns das hinterher angehört haben, ich habe so eine Gänsehaut gekriegt… Ich fand es grandios. Bis heute…

Auf Euren Alben waren originelle Coversongs zu finden. Für mich habt Ihr den Vogel abgeschossen mit THE SPARKS ´This Town Ain’t Big Enough For Both Of Us´. Wie kommt man auf diesen genialen Song, der ja zu Euch passte, wie der sprichwörtliche A… auf den Eimer?

Oh, der arme Vogel…

Ich bin, wie gesagt, ein Kind der 70er. So richtig Musik zu hören habe ich begonnen mit 10 oder 11 Jahren. Da habe ich meinen ersten Kassettenrekorder bekommen. So habe ich alles aufgenommen. Und den SPARKS-Song fand ich schon beim ersten Hören so genial, weil er rhythmustechnisch etwas verstörend ist. Wenn du versuchst ganz normal mitzuschnippen, kommst du immer aus dem Takt. Die ändern immer den Rhythmus in der Mitte. Wir versuchen ja immer auf Eins und Drei zu zählen, wo die auf Zwei und Vier gezählt haben. Ganz komisch, fand ich total geil. 

Irgendwann habe ich die Idee mal angebracht. Und keiner kannte den Song. Ich habe das Ding dann vorgespielt, und sie fanden es alle so genial. „Mal gucken, ob wir das umsetzen können mit unserer Art.“ So haben wir den aufgenommen, und ich finde ihn heute noch geil.

So ist das mit allen Coversongs. Wir haben angefangen auf der ´In Control´ mit, (räuspert sich, seltsame Geräusche)… jetzt habe ich tatsächlich den Faden verloren, (lacht) ah ´This Flight Tonight´von NAZARETH. Auf der ´Open The Gates´ hatten wir ein Stück von DAVID ESSEX, ´Rock On´.  Auch ´Animal´ von DALBELLO kam ja noch. Ich fand halt immer spannend was zu covern, was sonst keiner macht. Alle spielen immer die ganzen Metal- oder Rock-Songs, wir haben immer was ausgesucht, was nicht aus der Richtung kam. Das war auch eine Herausforderung, die Sachen umzusetzen. Für mich ist ein Coversong erst gelungen, wenn er auch den Stil der Band widerspiegelt. Du kannst den Song nicht besser machen, als er im Original ist. Du kannst ihn nur zu deinem eigenen machen.

Die EP ´In The Mood´ war auch recht der Zeit voraus. Unplugged war bei Metallern zu der Zeit noch nicht das große Ding. Mir fällt am ehesten TESLA ein. Wie siehst Du das?

Die ´In The Mood´ ist nur aus der Not entstanden. Die japanische Plattenfirma wollte immer etwas haben, um damit die nächste Platte zu bewerben. Sie wollten damit die Leute ein bisschen anfixen. Sascha und ich haben auch schon im Vorfeld auf Promotiontour, auch in Japan, ein wenig akustisch gespielt. Also eigentlich waren wir zu zweit, Sascha mit der Gitarre, ich habe gesungen. Und natürlich ohne Begleitung vom Band. So kamen wir auf die Idee, unsere Songs einfach mal in einer völlig anderen Art aufzunehmen.

Und zwar wirklich fast unplugged, ganz unplugged ist ja fast unmöglich, irgendeinen Stecker muss man ja immer irgendwo einstecken. Die Percussions haben wir tatsächlich dafür gekauft. Und dann haben wir die Songs von ´Planet Earth´ umarrangiert. Die Japaner konnten erst damit überhaupt nichts anfangen. Die deutsche SPV war auch nicht interessiert. Sie wurde dann doch in Japan veröffentlicht und ist tatsächlich durch die Decke geschossen. Die ganzen Metal-Fans fanden das wohl richtig geil. Deshalb wurde unser deutsches Label auch aufmerksam. Sie haben die ´In The Mood´aber nicht alleine veröffentlicht, sondern zusammen mit einer Art Best Of in der Box. Die wurde dann ´Boxed´genannt, weil sie in einer Pappschachtel war…

Ich mag die heute noch. Man kann da, wie ich glaube, auch die Qualität der einzelnen Musiker heraushören, was die geleistet haben an ihren Instrumenten. Das ist eben nicht nur „Hau drauf Metal“ sondern schon auch durchdachter. Wir hatten so viel Spaß bei den Aufnahmen, das kann sich keiner vorstellen.

´Menergy´schließlich ist eher untergegangen?

Das ist die einzige Scheibe, mit der ich mich nicht so recht identifizieren kann. Da war die Luft schon ein bisschen raus aus der Band. Alle wollten etwas dazu beitragen, darum ergab das ein Mischmasch und Kuriosum, welches mir heute nicht mehr gefällt. Irgendwie fehlt auch der rote Faden. Ein, zwei Songs höre ich mir heute noch an, ansonsten steht die hier im Regal.

Unsere Plattenfirma wollte auch irgendwie unser Image verändern. Ich sagte noch:“ Wir haben kein Image. Wir sind nur HEAVENS GATE aus Wolfsburg. Wir machen Musik und gehen auf Tour. Das ist unser Image…“ So wurde unser Schriftzug geändert… Die ist wirklich komplett untergegangen, muss man so sagen.

Wie kam es zum Ende der Band?

Wir haben 1999 das Angebot bekommen, in Schweden zu spielen. Das war das allererste Mal überhaupt, dass wir dahin eingeladen wurden. Wir sollten bei einem Festival spielen, in Motola. Headliner war STRATOVARIUS, wir sollten als Co-Headliner fungieren. Ich dachte vorher noch, wie das funktionieren soll. Wir waren ja vorher noch nie in Schweden. 

Es war auch eine Autogrammstunde geplant. Ich war in Sorge, dass keiner zu dieser kommt. Das ist doch erniedrigend für eine Band, wenn kein Interesse für eine Autogrammstunde besteht. Aber, ich habe noch nie so viele Autogramme gegeben, wie in Schweden. Jeder der Anwesenden hatte eine STEELTOWER oder HEAVENS GATE-Scheibe unter dem Arm. Wir haben sicher stramm anderthalb Stunden lang Autogramme geschrieben.

Nach dem Auftritt haben wir zusamengepackt und sind am nächsten Morgen wieder nach Hause gefahren. Am Probenraum haben wir den LKW entladen. Hinterher sagten wir, lasst uns mal telefonieren. Vielleicht machen wir ein paar neue Songs, eine neue Scheibe oder so. Das ist aber nie wieder passiert. Wir haben uns nie wieder getroffen. Offiziell haben wir uns nie aufgelöst. In dieser Konstellation sind wir aber nie wieder zusammengekommen.

Sascha war immer wieder als Produzent unterwegs. Er war in Amerika, hat Pre-Production gemacht mit KAMELOT. Dann war er in Brasilien mit ANGRA. Mit RHAPSODY hat er in Italien gearbeitet. Torsten hatte auch einen Job angenommen, war auch nie da. So blöde und banal das klingt, es war einfach so, wir haben uns einfach nicht mehr getroffen.

Wie groß muss die Nachfrage sein, dass Ihr wieder zusammenfindet? Oder seid Ihr verkracht?

Nein, verkracht sind wir nicht. Aber, Du weißt selber, der Musikmarkt heute ist völlig im Arsch. Da die meisten nur noch über Spotify Musik hören und keine Tonträger mehr kaufen, bis auf ein paar altgediente, das lohnt sich nicht. Wenn einmal im Jahr meine GEMA-Abrechnung kommt, da kann ich mir den Popo mit abwischen. 17 Blätter für 3,49€, da kommt einfach nix mehr rüber.

Die andere Geschichte ist, es will auch keiner mehr dafür bezahlen. Wenn wir die Band aus dem Keller heben, müssen wir ein paar Aufnahmen machen. Wir müssen also wieder einen Platz haben, einen Proberaum oder ein Studio. Du gehst mit so etwas in Vorleistung. Die Plattenfirmen heute wollen aber auch nicht mehr in Vorleistung gehen und das bezahlen. Musik ist heute ein Low-Budget-Produkt, wie Supermarkt-Brötchen, die 17 Cent kosten. Die schmecken zwar Scheiße, kosten aber nur 17 Cent…

Ein anderer Punkt ist auch, Sascha ist voll involviert in seine Produktions-Tätigkeit. Der müsste auch bezahlt werden. In der Zeit, in der er was mit HEAVENS GATE machen würde, müsste er ja auch Miete und Studiomiete bezahlen, wenn aber keine Einkünfte sind, aber die Kosten weiter laufen… Und Torsten lebt seit letztem Jahr in Chattanooga.

Es ist einfach nicht möglich, es sei denn, irgendwann kommt ne Plattenfirma und sagt, hier sind 25.000 Euro, macht mal ne Platte. Machen wir, kriegen wir hin… Ich würde Torsten wieder einfliegen. Aber das wird nicht passieren, solche Summen gibt heute keiner mehr aus. Außer bei großen Produktionen, wenn die Leute schon einen Namen haben. Ich weiß ja, was AVANTASIA-Produktionen kosten. Aber die verkaufen auch entsprechend Platten.

Was hast Du seit dem Split gemacht?

Ich arbeite schon ewig mit Sascha zusammen, bei Hunderten Produktionen war ich beteiligt, als Chorsänger oder als Vocal-Coach. Das hat aber auch nachgelassen. Viele Bands nehmen aus Kostengründen zu Hause auf, mit ihrem eigenen Equipment. 

Ich habe auch Gesangsunterricht gegeben, die Schüler sind jetzt auch erwachsen und können von mir nichts mehr lernen. Eine Schülerin war 17, als sie bei mir anfing. Schon da hat sie alles in Grund und Boden gesungen. Nach zwei Jahren musste ich ihr sagen, dass wir den Unterricht beenden müssen. Ich kann Dir nichts mehr beibringen. Sie hat geweint… Wir haben immer noch Kontakt. Mittlerweile singt sie in drei Bands.

Mit Musik und selber Musik machen ist bei mir irgendwie Feierabend. Wenn noch was kommt, schön, das macht immer Spaß, aber irgendwie läuft da nichts mehr.

Also musst Du einem normalen Job nachgehen?

Ich arbeite bei einem Logistik-Unternehmen, das für VW arbeitet, in drei Schichten. Das muss auch sein, von der Musik kommt nichts mehr rüber.

Hörst Du aktuell auch noch Metal, bzw. welche Bands und Künstler bevorzugst Du?

Das kann ich Dir gar nicht sagen. Es wurde in der letzten Zeit immer weniger, weil die Qualität nachgelassen hat. Ich finde immer weniger, was mich anspricht und was ich gut finde. Ab und an tauscht man sich mal aus, man bekommt was empfohlen. Dann höre ich mir die ganze Platte an, aber da sind nur ein oder zwei gute Stücke und der Rest nur Beiwerk. Es überrascht mich nichts mehr…

Ab und an höre ich VOLBEAT gern. Die letzte PRIEST fand ich auch hörenswert. Die habe ich auch gekauft, nach langer Zeit habe ich mal wieder eine Platte gekauft. ´Firepower´, ich finde die geil, geile Songs drauf.

Mit wem oder für wen würdest Du gern mal singen?

Zum Singen bin ich durch Marc Storace von KROKUS gekommen. Er war eigentlich verantwortlich, dass ich damals weg wollte von den Drums, hin zum Mikrophon. Ich habe sie in Hannover gesehen, und Marc hat mich umgeblasen. Vom ersten Song an. Dann spielten sie ´Fire´. Marc hielt den Finger an die Lippen, dass das Publikum leise ist. Das Mikrophon hielt er zur Seite. Und dann hat er den Anfang nur in die Menge gesungen. (Singt: „You’ve got no real ambitions. You’re just hanging around.“) Da wusste ich, das will ich machen, auf der Bühne stehen und singen. Und mit dem würde ich gerne zusammen mal singen…

 


 

In den acht Wochen nach dem Interview ist einiges passiert. Die aktuelle Nachrichtenlage ist ja wohl bekannt. Darum ganz aktuell gefragt, Thomas wie geht es Dir im Moment?

Noch bin ich gesund, trotz der Gefahr, da ich z. Zt. im Supermarkt jobbe und die Kunden nicht immer einen Sicherheitsabstand einhalten…danke der Nachfrage…hoffe, dir geht es auch gut…

Lieber Thomas, Du hast viel erzählt und zu sagen gehabt. Ich danke Dir jedenfalls für dieses ausführliche Interview.