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HEXVESSEL – Kindred

~ 2020 (Svart Records) – Stil: Psychedelic Forest Folk ~


Beim Opener ´Billion Year Old Being´ fühle ich mich zunächst an die Titelmelodie von „Der Pate“ erinnert, was sich aber abrupt ändert als Klangstrukturen zu hören sind, die mich tatsächlich an ´21st Century Schizoid Man´ von den Urvätern des progressiven Rock KING CRIMSON erinnern. Auch ein psychedelisches 60er Jahre Keyboard ist zu vernehmen und dann… Break… Akustikgitarre… Gesang… Streicher und irgendwie ein ganz neuer Song. Die ersten sieben Minuten sind wahrhaftig nicht langweilig und liefern bereits einen Großteil dessen ab, was die Ankündigung verspricht und in diesem Song auch hält.
Ich zitiere: „…psychedelic Rock und progressiven Strukturen, die an King Crimson erinnern, der dunklen, erdigen Balladendichtung…“. Ja, ja, ja und ja!

Dann folgt die erste Singleauskopplung ´Demian´, die natürlich von Hermann Hesses Demian handelt. Rockig, bluesig, beschwörend und dunkel startet es mit einem Gitarrenriff, welches mich spontan an JACE EVERETT denken lässt (falls den jemand nicht kennt…von ihm stammt ´Bad Things´, das Titelstück zu der Serie ´True Blood´). Der Song bietet im Mittelteil auch ein recht nettes Gitarrensolo, aber Folk? Für mich immer noch nicht und das obwohl HEXVESSEL ihre Musik selbst als „Psychedelic Forest Folk“  bezeichnet.

Erst das ruhig dahinfließende mit Akustikgitarre, Streichern und gemächlichen Galeerentrommeln unterlegte ´Fire Of The Mind´ vermittelt, wenn man denn unbedingt will, etwas „Forest Folk“ und steigert sich zu einem Klagelied im Gewand einer gefühlvollen Ballade, wobei es mich stark an Glanztaten von PRIMORDIAL/DREAD SOVEREIGN erinnert. Aber so richtig Folk ist das immer noch nicht. Das Original der 2004 aufgelösten Londoner Band COIL klang für mich folkiger. Und in diesem ruhigen Stil geht es dann auch weiter. ´Bog Bodies´ ist aber musikalisch wieder was völlig anderes. Nun vermitteln jazzige Bläser die Einsamkeit einer Großstadt. Leere von einem Regenguss noch feuchte Straßen glitzern in der Nacht im Schein der Straßenlaternen usw. Ihr wisst, was ich meine. Till Brönner lässt grüßen. Mit ´Sic Luceat Lux´ („So soll euer Licht leuchten“ – ein Zitat aus dem Evangelium des Matthäus) folgt dann ein kurzes kakophonisches Klangexperiment, bevor ´Phaedra´ mit einer klagend beschwörenden Gesangs-, nein, eher Sprechstimme, überrascht, die entfernt an Johnny Cash und Tom Waits erinnert. Das Stück wird minimalistisch geradlinig auf drei Ebenen intoniert, wobei der Stimme dumpfe Trommelschläge unterlegt werden, welche in aus weiter Ferne erklingende Trompetentöne eingebettet sind. Obwohl in diesem Song nicht viel passiert, fesselt er aber dennoch so, wie es eine griechische Tragödie tut. Das dürfte einen aber bei diesem Titel auch nicht weiter verwundern. Danach kommt mit ´Family´ mal wieder „something completely different“ in Form eines kurzen Intermezzo auf einer Akustikgitarre, bevor der Beginn von ´Kindred Moon´ zumindest meine Nerven stark in Anspruch nimmt. Es bleibt aber Gott sei Dank nicht die ganze Zeit so, der Song wird aber dennoch nicht so richtig zwingend und wechselt mehrmals zwischen einem etwas nervigen Teil und einem Teil der dahin plätschert. Ich brauche so etwas nicht wirklich. ´Magical And Damned´ ist dann aber wieder ein recht gelungenes, ruhiges, von Klavier und Streichern untermaltes Stück, was an einem verregneten Sonntagnachmittag zum Träumen einlädt. Auch das abschließende Stück ´Joy Of Sacrifice´ zieht das Tempo nicht an und lässt ´Kindred´ plätschernd und mit einer düsteren Grundstimmung ausklingen.

Was bleibt nach diesen zehn Stücken? Also bei mir vor allem etwas Verwirrung. Psychedelisch, oder gar rockig ist das Album nur in wenigen Momenten. Folk kann ich so gut wie gar nicht erkennen.

Es fällt mir wirklich schwer, diese Musik irgendeiner Kategorie zuzuordnen, aber experimentierfreudig ist HEXVESSEL auf ´Kindred´ mit Sicherheit und es wird dieser Band, die der englisch/irische Songwriter Mat McNerney nach seinem Umzug gen Finnland gegründet hat, wieder die allerhöchsten Noten der Kritiker und vielleicht noch einen Musikpreis in ihrer Heimat bescheren, von denen sie bereits zwei ihr Eigen nennen darf. Vor allem Berufskritiker mögen es, diese Art von Musik als höchste musikalische Kunst anzupreisen und sie finden ihre Klientel in Leuten, die sich im Kino Schwarzweißfilme im isländischen Original anschauen, bei denen keine Kameraeinstellung unter 10 Minuten liegt. Und ich? Ich will zumeist einfach nur gut unterhalten werden und freue mich, wenn die Musik nicht zu simpel strukturiert ist und sehe es als Zugabe an, wenn die Songs auch noch eine Botschaft befördern. All das hat ´Kindred´ sicherlich zu bieten, aber eben sehr geballt. ´Billion Year Old Being´, ´Demian´, ´Phaedra´ und ´Magical And Damned´ funktionieren aber auch vom Album losgelöst sehr gut.

Ich werde mich aber nun nicht erdreisten, dieses Werk mit einer schnöden Punktzahl zu bewerten. Das möge jeder für sich tun.

Auf jeden Fall hat mir der Opener wieder Lust auf das 69er Debüt der Londoner Band um Robert Fripp gemacht und ich habe das bereits leicht angestaubte Exemplar von ´In The Court Of The Crimson King´ aus dem Regal gefingert und nach langer Zeit mal wieder rotieren lassen. Was für ein Meisterwerk!

´Kindred´ wird auf CD sowie auf schwarzem Vinyl und in einer auf 500 Stück limitierten roten Vinylversion erhältlich sein.

 

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(VÖ: 17.04.2020)