Livehaftig

SAGA

~ 8. März 2020, Capitol, Hannover ~


Der Versuch, das Erlebnis eines Konzertbesuches bei SAGA in Worte zu fassen, ist wahrscheinlich genauso zum Scheitern verurteilt, wie die Gefühle in Worte kleiden zu wollen, die einen beim Sonnenaufgang über der guatemaltekischen Mayastätte Tikal durchströmen, während man an der Spitze des Tempels IV sitzt.

Wie will man geballte Emotionen in Worte fassen?

Von der ersten Sekunde an herrscht im Capitol zu Hannover eine ganz besondere Stimmung und auch Michael Sadler ist sichtlich davon angetan. Zitat: „Wisst ihr, warum ich lächle? Weil ihr lächelt. Und ihr lächelt, weil ich lächle. Und so weiter und so weiter!“
Auch den in den sozialen Netzwerken geäußerten Vermutungen, dass sich SAGA nach ihrer Auflösung 2017 nur des Geldes wegen wieder zusammengetan hätten, erteilt er vehement eine Absage. Ich zitiere wieder: „Wir haben nie unsere Auflösung bekanntgegeben, wie dies wiederholt in den sozialen Medien zu lesen gewesen ist. Vielmehr waren wir des unentwegten auf Tour seins müde und wollten eine kleine Pause einlegen, um auch wieder vermehrt Zeit mit unseren Familien verbringen zu können. Sobald wir wieder genug Energie getankt hätten, wollten wir wieder auf Tour gehen und hier sind wir.“

Wieviel Energie die Band getankt hatte, sollte sie im Laufe der nächsten Stunden noch zeigen, bei denen insbesondere die über den Set verteilten und auf dem 1982 aufgenommenen legendären Live-Album ´In Transit´ enthaltenen Titel ´You’re Not Alone´, ´Careful Where You Step´, ´On The Loose´,  ´Humble Stance´, ´Don’t Be Late´ und ´Wind Him Up´ frenetisch gefeiert und deren Refrains inbrünstig mitgesungen werden. Wie willfährig die Zuschauermenge den Anleitungen von Michael Sadler bereit sind zu  folgen, stellt sie bereits bei ´You’re Not Alone´ unter Beweis, bei welchem es Michael mühelos gelingt, den Zuschauern seinen Willen zu diktieren und sie seinen Wünschen gemäß singen zu lassen. Es ist faszinierend zu sehen, wie ausgelassen die zum Teil bereits stramm auf das Rentenalter zugehenden Anwesenden ihren Gefühlen freien Lauf lassen und einfach nur Spaß haben wollen. Unterstützt wird dies aber auch von den im Capitol herrschenden idealen Rahmenbedingungen, welches gefühlt nahezu ausverkauft ist. Viel kann nämlich bis zur maximalen Kapazität von 1.600 Zuschauern nicht mehr fehlen, denn bereits im mittleren Zuschauerbereich stehen die Menschen dicht an dicht. Aber lange muss man dankenswerterweise nicht auf den Beginn des Gigs warten, denn pünktlich um 20 Uhr erklimmen die fünf Bandmitglieder die Bühne, von denen neben Michael Sadler auch noch Ian Crichton Gründsmitglied der kanadischen Band ist, die sich 1978 in Toronto zusammenfand. Allerdings gehört Keyboarder und (Mit-)Sänger Jim Gilmour mit Unterbrechungen auch schon seit 1980 dazu, wodurch er in meinen Augen einen ähnlichen Status wie die beiden anderen inne hat. Eigentlich gehört Ians Bruder und ebenfalls Gründungsmitglied Jim Crichton, der neben Keyboards auch den Bass bedient,  ebenfalls zur aktuellen Formation, musste aber krankheitsbedingt durch Dusty Chesterfield ersetzt werden. Komplettiert wird das Quintett durch Mike Thorne am Schlagzeug, der den Hocker seit 2012 belegt.

Eine Vorband haben SAGA nicht nötig, denn von der ersten Sekunde an ist die Stimmung kaum noch zu toppen, was auch für den Sound gilt, der kristallklar über die Boxen kommt und Michael Sadlers Stimme so erklingen lässt, als käme sie direkt aus dem ´Timetunnel´. Über vierzig Jahre haben dieser fantastischen Stimme nichts anhaben können und auch wenn Jim Gilmour kein schlechter Sänger ist, was er an diesem Abend bei zwei Stücken, unter ihnen ´Scratching The Surface´, unter Beweis stellt, so kommt er meiner Meinung nach nicht einmal im Ansatz an die von Michael Sadler heran. Dieser wendet sich teilweise sogar in Deutsch an sein Publikum, was auch nicht weiter verwundert, wenn man weiß, dass er in den Neunzigern acht Jahre lang in der Nähe von Saarbrücken gelebt hat. Auch technisch wird einiges geboten und an Stelle eines schnöden Backdrops eine Videoleinwand eingesetzt, auf der unter anderem Fotos der Bandmitglieder aus allen Schaffensepochen gezeigt werden, was Jim Gilmour mit einem Augenzwinkern zur Aussage hinreißen lässt, dass er die Bilder hasse, er aber immerhin noch alle Haare besitzen würde. Letzteres bezieht er natürlich auf Sänger Michael, der seinen kunstvoll gelegten Haarschopf von einst mittlerweile gegen eine veritable Glatze ausgetauscht hat, über die er während des Gigs immer wieder mal mit der Hand streicht.

Nach genau zwei Stunden und zwei Zugaben, darunter als letztem Höhepunkt ´Wind Him Up´, sollte eigentlich Schluss sein, aber die Menge ist derart am Toben, dass sich Michael mit seinen Bandkollegen berät und die Band tatsächlich noch ´The Flyer´ darbietet. Das dieses Stück nicht sowieso zum Standardrepertoir gehört, ist wahrscheinlich nicht nur für mich ein Rätsel.

Und dann ist ein weiterer denkwürdiger Abend mit SAGA zu Ende und man muss wieder in die Zeitmaschine steigen und sie auf das Jahr 2020 programmieren. Meine Frau und ich waren sicherlich nicht die einzigen an diesem Abend, die sich mindestens dreißig Jahre in die Vergangenheit versetzt gefühlt haben und das ist nicht sprichwörtlich gemeint, denn es ist in etwa so lange her, dass wir SAGA das erste Mal gemeinsam live erlebt haben (genauer konnte sie sich auch nicht mehr daran erinnern). Mit einem leichten Seufzen, aber einem breiten Lächeln auf dem Gesicht und einem tiefen in der Seele verlassen wir an diesem Abend den Ort des Geschehens.

Wer nach diesen Worten nicht zu einem der verbleibenden Termine geht und sich hinterher sagen muss „Hätte ich bloß…“, der ist ab sofort selber Schuld. Der Eintrittspreis ist zwar, wie mittlerweile leider immer häufiger üblich, durchaus stattlich, hat sich in diesem Fall aber bis auf den letzten Cent gelohnt.