MeilensteineVergessene Juwelen

HOLE – Live Through This

~ 1994 (DGC/City Slang) – Stil: Alternative Rock / Grunge ~


Die amerikanischen Alternative Rocker HOLE fanden 1989 in Los Angeles unter der Leitung von Sängerin/Gitarristin Courtney Love und Gitarrist Eric Erlandson zusammen. Bei der sehr wechselhaften Besetzung von HOLE war in der Folgezeit auch die berühmte Bassistin Melissa Auf der Maur anzutreffen.

HOLE wurden im Windschatten des Grunge-Booms weltbekannt. Ihr erstes, von Kim Gordon (SONIC YOUTH) produziertes Album ´Pretty On The Inside´ (1991) stieß bereits auf reges Interesse, indessen ihr zweites ´Live Through This´ ihnen den großen Erfolg bescherte. Eine weitere Scheibe folgte 1998 (´Celebrity Skin´), ehe sich HOLE 2002 trennten, 2010 mit einem letzten Werk (´Nobody’s Daughter´) ein Comeback starteten, das sie – kurze Zeit später erneut in der Versenkung verschwunden – 2019 nochmals angingen.

Dass HOLE mit ´Live Through This´ einen dermaßen großen Erfolg verbuchen konnten, lag zugleich an NIRVANA-Frontmann Kurt Cobain. Courtney Love und Kurt Kobain waren seit 1991 ein Paar und heirateten im Februar 1992. Ein Portrait über ihre Liebe brachte sie im Herbst 1992 aus den Magazinen heraus in die Klatschpresse. Dass beide zu jener Zeit mutmaßlich heroinabhängig waren, machte die Geschichte nur noch sensationeller. Courtney wurde sogar vorübergehend das Sorgerecht für ihr im August 1992 geborenes Kind entzogen, da nicht klar war, ob sie in der Schwangerschaft abhängig war. Publicity war somit bis zur Veröffentlichung genügend vorhanden. Eine Woche vor Veröffentlichung nahm sich zudem Courtney Loves Ehemann Kurt Kobain das Leben. Obwohl Kobain nur bei zwei Songs im Background gesungen hat, hielt sich jahrelang das Gerücht, er wäre als Ghostwriter an dem Album beteiligt gewesen. Eine Behauptung, die natürlich von allen Beteiligten rasch abgestritten wurde.

 

 

Vergessen wir alle Verleumdungen und Diskreditierungsversuche, oder gar Yoko Ono-Parallelen, vergessen wir den Major-Vertrag bei einer Punk-Band – angeblich zahlte die „Geffen“-Tochter „DGC Records“ 1992 zum Abschluss eines Deals über sieben Alben einen Vorschuss von einer Million Dollar und höhere Royalties als bei NIRVANA -, HOLE schenkten schlichtweg der Jugend der Neunziger in Form von Courtney Love das, was sie berührte: das Tagebuch einer jungen Frau, einer Mutter und ehemaligen Heroinsüchtigen in einer komplett desillusionierten Welt – mit einem Albumtitel nach einem Zitat („I’m going to live through this and when it’s all over, I’ll never be hungry again“) aus „Vom Winde verweht“. Es waren die Botschaften einer Frau, die mit ihrer blonden Frisur und ihrem roten Lippenstift versuchte, die innere Unordnung, das Chaos, die Wildheit, die Wut und den Ärger zu überspielen.

Das am 12. April 1994 herausgebrachte Werk ´Live Through This´ besann sich, von Courtney Love so gewollt, auf einen melodischeren Ansatz zum ursprünglich ungeordneten Noise-/Punk-lastigen Sound des Debüts. Eingespielt wurde das Werk mit Bassistin Kristen Pfaff und Schlagzeugerin Patty Schemel.

´Live Through This´ verfügte über Songs, deren Einflüsse bis in die Sechzigerjahre zurückreichen. Gleichwohl können die zwölf Lieder auch schlichtweg als Kinder jener Zeit, als klassische Grunge-Songs bezeichnet werden. Jede der Erfolgsbands besaß sowieso ihren ureigenen Sound und Charakter. Die harten und wilden Rock-Songs waren einfach wie geschaffen für die Generation Grunge. Dass Courtney in diesen Tagen die PIXIES, ECHO AND THE BUNNYMEN und JOY DIVISION hörte, ist nicht unbedingt zu hören. Begeistert war hingegen nicht die walisische Gruppe YOUNG MARBLE GIANTS, deren ´Credit In The Straight´ HOLE coverten.

Thematisch singt Courtney über Schönheit und Mutterschaft (sie singt sehr oft über Milch), über das Aufbegehren gegen Eliten und die Unterdrückung der Frauen. Der Opener ´Violet´, vormals live erprobt, behandelt Courtney Loves Liaison mit Billy Corgan (SMASHING PUMPKINS). Später gab sie an, der Song handele über einen Idioten, den sie verhext habe und dem nun die Haare ausfallen. Corgan hatte peinlicherweise in dieser Zeit eine Freundin. Im dazugehörigen Musikvideo präsentiert sich Courtney als Stripperin, mit echten Stripperinnen aus einer Tanzbar, in der sie selbst in Los Angeles gearbeitet hatte („Go on, take everything. Take everything, I want you to.“). In ´Asking For It´ behandelt sie einen Vorfall während eines Auftritts auf der Tournee mit MUDHONEY. Courtney sprang eines Nachts mit ihrem Kleid von der Bühne in die Menge. Doch diese trug sie nicht auf ihren Händen hinweg, sondern begrapschte sie am ganzen Körper, riss ihr das Kleid herunter und schrie ihr schmutzige Wörter ins Ohr. Wieder auf der Bühne angekommen war sie nackt, fühlte sich vom Publikum vergewaltigt und fragte sich, ob sie es selbst so gewollt hat.

Das mit BABES IN TOYLANDs Kat Bjelland zusammen komponierte ´I Think That I Would Die´ spiegelt den Kampf um ihre Tochter Frances Bean wieder („I want my baby. Who took my baby … Where is my baby?“). In ´Plump´ nimmt sie Stellung zu ihrer Mutterschaft und allen damit einhergehenden Veränderungen sowie zum Sorgerechtsstreit um ihre Tochter. Erstaunlicherweise hatten sich Courtney Love und Kat Bjelland wieder versöhnt, denn Courtney warf ihrer Freundin noch im Song ´She Walks On Me´ vor, ihr nicht nur Kleider und Schuhe genommen zu haben, sondern ebenfalls Texte und Riffs. Zur Krönung ähnelt ´She Walks On Me´ sogar dem zuvor veröffentlichten BABES IN TOYLAND-Song ´Bruise Violet´. Vielleicht sind daneben die Zeilen „Geeks do not have pedigrees, or perfect punk-rock resumes, or anorexic magazines.“ aus dem Song ein Affront gegen die Presse.

Mit ´Rock Star´, ursprünglich ´Olympia´ („I went to school in Olympia.“), distanziert sich Courtney von der Riot-grrrl-Bewegung. Um den weltweit bekannten Fall der Colleen Stan, die 1977 entführt und über sieben Jahre von einem Ehepaar als Sex-Sklavin missbraucht wurde, handelt ´Jennifer’s Body´. Der Song ´Doll Parts´ begann dagegen als Gedicht, das Courtney verfasste, bevor sie mit Kurt Cobain zusammenkam. Sie sang ihn ein als sie miteinander verheiratet waren, er erschien jedoch erst als ihr einst Angebeteter tot war.

 

Das war der Lärm der Neunzigerjahre, mit dem heute niemand mehr einen Blumentopf gewinnen würde. Und Karohemden werden leider immer noch getragen.

Das waren Tage, es waren Jahre. Diese gottverdammten Zeiten. Singt Courtney Love im gleichnamigen Song eigentlich wirklich „gutless“ oder nicht doch „godless“ …?