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BOHREN & DER CLUB OF GORE – Patchouli Blue

~ 2020 (Ipecac Recordings) – Stil: Dark Jazz ~


Für die Einen sind die als Heavy Metal- und Hardcore-Band initiierten BOHREN & DER CLUB OF GORE eine Doom-Formation, für die Anderen eine Jazz-Gemeinschaft. Eine weitere Gruppe spricht sie dem Ambient zu und beobachtet dabei, wie sich die Fußnägel verlängern.

Zu allen Schandtaten oder Beobachtungen hatte ein jeder nun sechs Jahre lang Zeit, denn dies ist der Abstand, den DER CLUB seit dem letzten Band-Album ´Piano Nights´ hat verstreichen lassen. Zwischen zwei und fünf Jahren lag bisher die Abstinenzperiode im Veröffentlichungsrhythmus des CLUBs OF GORE und seinen BOHREN. Sechs Jahre klingen fast nach einer Neuausrichtung und -aufstellung.

Diesen Gedanken folgend, beobachte ich einen kleinen Pflanztopf vor einem Küchenfenster, in dem seit Monaten der Anbau von Chilischoten misslingt. Vielleicht sollte ich es lieber mit Pilzen versuchen oder mir einen fachkundigen Rat bei Kaia einholen. Doch in allen Lebenslagen hilft Musik. Also schnell einen Blick auf die Linernotes zum neuesten Werk von BOHREN & DER CLUB OF GORE geworfen, derweil ´Patchouli Blue´ aus den Boxen tönt.

Da Schlagzeuger Thorsten Benning 2015 den Club verließ, arbeitet der verbliebene Rest seither als stilsicheres Trio weiter. Nunmehr ist jede Person im Bandgefüge besonders wichtig: Morten Gass an Orgel, Mellotron, Fender Rhodes, Baritongitarre und Schlagzeug, Robin Rodenberg an Kontrabass und Schlagzeug sowie Christoph Clöser an Saxophon, Fender Rhodes, Klavier, Vibraphon und Schlagzeug. Aber am Moog und den Synthesizern toben sich die Herren diesmal ebenfalls in aller Ruhe und Disziplin aus.

Das farbig satt schimmernde Coverartwork mit Totenkopf sollte dennoch keinen Dark Jazzer davon abhalten, lange, unbedingt sehr lange in ´Patchouli Blue´ reinzuhören – bis die Pilze wachsen. In diesem Sinne: gemach, gemach.

 

 

´Total Falsch´ ist in diesem Film niemand. Sobald der Film-Noir startet, Ton für Ton langsam angeschlagen wird und das Mellotron seine Fäden in der Dunkelheit mit den beiwohnenden Spinnenpaaren des Baumhauses spinnt, zieht irgendwann, ohne Hast und ohne Zeitnot, das Saxofon seine aufrüttelnden Kreise im Grünen Raum, der mit indischen Lippenblütengewächsen geschmückt ist. Die ´Verwirrung am Strand´ kann mit Saxofon und Jazzbesen einem dieser irren Schinken von Jacques Tati entspringen, allein das rührselige Saxofon-Solo führt obendrein zu aufkommender Melancholie. Denn natürlich ist das Saxofon neben dem Jazzbesen und Fender Rhodes das prägnanteste Stilmittel von BOHREN & DER CLUB OF GORE.

´Glaub mir kein Wort´ scheint ein Mann seiner Frau oder vice versa in diesem beinahe hektischeren Song klammheimlich zuzuflüstern, derweil sie zusammen nach dem Strandbesuch auf der Sonnenterrasse eines Cafés sitzen. Als er ihr zu ihrem Ehrentag ein Parfüm der herben Sorte ´Patchouli Blue´ überreichen will, ziehen vorübergehend dunkle Wolken auf. Träge ziehen sie über die Szenerie hinweg, sie wandern ohne Eile am grauen Himmel entlang. „Weshalb erscheint denn hier ´Deine Kusine´“, entfährt es ihm unvermittelt, als eine junge und attraktive Lady die Stufen zur Terrasse emporstiefelt. Letztlich wird der Überraschungsgast herzlichst aufgenommen. Man plaudert und schwatzt, gönnt sich den einen oder anderen Drink und geht irgendwann im Laufe des Abends gemeinsam in eine Diskothek, in der Synthesizer-Klänge die alten Zeiten wieder aufleben lassen. Einer dieser düsteren Soundtracks aus vergangenen Tagen heißt wohl ´Vergessen & vorbei´. – Ein Cocktail war wohl zuviel, denn als unser Protagonist sich seiner letzten Handlungen gewahr wird, sitzt er allein in einer dunklen Ecke. Gesellschaft hat er dennoch von einem garstigen Saxofon-Spieler, der urplötzlich direkt an seinem Ohr zu spielen anfängt.

´Sollen es doch alle wissen´, wie heftig die Nacht bislang war. Nun brodelt die Stimmung richtig. Obwohl ich noch schlafe, bin ich scheinbar ´Tief gesunken´. Alle Sinne kochen über, Kaia erscheint mir im Traum, direkt vor mir. Ich strecke eine Hand nach ihr aus, ich rufe ihren Namen zu jedem Ping. Die Hoffnungen auf ein zukünftiges, ewiges Zusammensein flammen immer wieder auf. Obgleich es nur ein kurzer Tanz ist, sind wir ´Zwei Herzen aus Gold´. Für immer und ewig. Ich rufe zu ihr ´Sag mir, wie lang´, immer wieder, erhalte jedoch keine Antwort. In der Schwerelosigkeit sehe ich unseren eigenen Film, federleicht schweben wir dahin.

Zu dunklen Tönen, in schwarzer Nacht erwache ich. Vor mir ragt das Baumhaus empor, ich splitterfasernackt direkt davor. Vor einem Fenster, hinter dem keine Schoten gedeihen, liege ich auf der Erde so wie mich die Natur erschaffen hat. Ganz allein, unter dem sternenklaren Himmel. Hach, ´Meine Welt ist schön´, wenngleich die Träume zuvor teilweise noch schöner waren. Alles nur geträumt, den Tag am Strand, im Café und in der Diskothek. Es ist wohl Zeit, die restliche Nacht in meinem Unterschlupf zu verbringen.

Ich recke und strecke mich. Als ich einen Arm nach links ausfahre, zucke ich zurück. Meine Finger haben etwas berührt. Nochmals taste ich in diese Richtung und fühle plötzlich den Arm von einem Menschen. Erst einmal reibe ich mir die Augen, versuche in der Dunkelheit etwas Genaueres zu erkennen. Näher heranrückend knie ich neben dem völlig leblos erscheinenden Körper. Mit einem rasch entzündeten Streichholz in der Hand, dessen Packung ich hektisch von der Fensterbank zerre, wandere ich über den nackten Leib hinauf zum Kopf und schaue entsetzt in das Gesicht von Kaia.

(7 Punkte)

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Pic: Kim von Coels