Vagabonds Of The Western World (1973)


Mit ´Shades Of Blue Orphanages´ hatten THIN LIZZY keinen entscheidenden Schritt nach vorne gemacht. Dazu kam, dass die Plattenfirma ohne Absprache und gegen den Willen der Band das aus einer Laune heraus zum Aufwärmen eingespielte ´Whiskey In The Jar´ zur A-Seite der nächsten Single erkor (in Deutschland gerne in der falschen, schottischen Schreibweise ´Whisky..´). Den traditionellen Iren war es zu rockig, andere fanden es so gut, dass es in diverse Hitparaden einzog. LIZZY fanden sich plötzlich als Single-Band in den „Top of the Pops“ wieder. Die eiligst produzierte Nachfolgesingle ´Randolph’s Tango´ ging (nicht ganz unverdient) unter.

 

 

Das waren keine wirklich guten Voraussetzungen für das dritte Album, das für „Decca“ vertragsgemäß noch eingespielt werden musste/durfte. Im Rückblick kann man sicher konstatieren, dass ´Vagabonds Of The Western World´ die gar nicht so hohen Erwartungen meilenweit übertraf und zu einer der ganz starken THIN LIZZY-Veröffentlichungen und auch eine meiner Lieblingsplatten wurde. Der lästige Schatten von ´Whiskey In The Jar´ strahlte aber auch auf das Album aus, wurde der gar nicht für das Album vorgesehene Titel schnell – zumindest in Deutschland –  den anderen Titeln vorangestellt und mit geänderter Songreihenfolge im Gegensatz zur englischen Erstausgabe veröffentlicht.

Neben dem schon genannten, ganz ordentlichen ´Whiskey In The Jar´ konnte man acht weitere Titel auf dem Album vorfinden. Auf der deutschen Version folgten ´Whiskey..´ drei absolute LIZZY-Highlights: Das gefühlvolle ´Little Girl In Bloom´, das Philip Lynotts sanfte Seite zeigte, ohne dieses Mal ins Sentimentale abzugleiten, das absolut geniale und von der Dramaturgie anspruchsvolle ´The Hero And The Madman´ mit starkem Eric Bell-Solo zum Schluss und einer gesprochenen Passage von LIZZY-Unterstützer und Radio DJ Kid Jensen. Und mit ´The Rocker´ die Blaupause für einen harten, bewusst mit Klischees spielenden Rocksong mit einem entfesselten Eric Bell an der bis zum Anschlag aufgedrehten Gitarre. Sicher eine der stärksten Leistungen von Eric Bell. Die zweite Seite konnte das Niveau allerdings nicht ganz halten. Mit dem verschachtelten und wieder irische Mythen rezitierenden Titelsong und der starken, wenn auch etwas süßlichen, Ballade ´A Song For While I’m Away´ gab es aber weitere Höhepunkte. Mit ´Mama Nature Said´ gab es sogar einen „Friday For Future“-kompatiblen Ökosong. Weiterer optischer Höhepunkt war auch das den Titelsong grafisch umsetzende Coverartwork – erstmals von Jim Fitzpatrick.

 

 

´Vagabonds Of The Western World´ war deutlich fokussierter und setzte klare Akzente in Richtung Hard Rock und bekam gutes „Airplay“ in diversen Radiostationen. Das Album war sicher der Höhepunkt der Besetzung mit Eric Bell, bedeutete aber auch das Ende der Originalbesetzung, als Bell nach einem Konzert in Belfast das Handtuch warf oder ihm das Handtuch zugeworfen wurde – je nach Interpretation. Das war sicherlich erst einmal ein Verlust, denn Bell war auf jeden Fall ein großartiger Gitarrist. Anderseits stand der Aufbruch zu neuen Ufern bevor und – wenn man ehrlich ist – wäre mit Eric wohl der weltweite Durchbruch auch eher nicht möglich gewesen, da sein Interesse am Showbusiness eher begrenzt war. Ganz anders Philip, er wollte sein liebstes Kind „THIN LIZZY“ nicht so einfach sterben lassen und rekrutierte (wie später noch einige Male) seinen nordirischen Kumpel aus SKID ROW-Tagen Gary Moore. Bald sollten aber schottische und amerikanische Einflüsse zur stärksten und legendären Phase von LIZZY führen. Davon bald mehr….

… Fortsetzung folgt …