Livehaftig

UNHOLY PASSION FEST IV

~ ULTHA, ENDSTILLE, GOLD, TURIA, NAXEN ~

~ 07.12.2019, Gebäude 9, Köln ~


Alles hat irgendwann ein Ende – zum vierten und letzten Mal richten ULTHA ihr „Unholy Passion Fest“ im Kölner Gebäude 9 aus, und feiern damit gleichzeitig ihr fünfjähriges Bühnenjubiläum. Auch rings um das bereits teilweise renovierte alte Fabrikgebäude zeigt sich der Umbruch durch große Abrissgruben und Bauzäune, fast die gesamte ehemalige Industriebrache wird gerade zu einem Wohngebiet umgewidmet, doch drinnen im glücklicherweise erhaltenen Club ist es gemütlich wie immer am ersten Dezemberwochenende.

 

 

Einen großen Aufwand hat die Band im Vorfeld betrieben, galt der heutige doch als der möglicherweise letzte Auftritt in der Karriere der Kölner. Das „möglicherweise“ kann gestrichen werden, es stehen schon jetzt Festivalauftritte in 2020 fest, doch eine Zukunft der Band weiterhin in den Sternen. ULTHA haben für ihren heutigen Auftritt sogar eine Umfrage gestartet, in der jeder Fan sich ihren oder seinen jeweiligen Lieblingssong wünschen konnte, denn sie werden ein überlanges Set von 90 Minuten spielen, wozu zusätzlich noch diverse Gäste angekündigt wurden. Doch zuerst kommen, wie es schon in den vergangenen Jahres Usus war, vier befreundete Bands zum Zuge bei einem schon seit längerem komplett ausverkauften Festival.

 

 

Den perfekten Anfang macht dabei eine Band aus dem direkten Umfeld der Kölner, hat doch NAXEN-Mainman Lars zuvor mit Chris zusammen bei GOLDUST gespielt, sich wie dieser dann jedoch komplett dem Black Metal gewidmet. Die Herkunft aus dem Hardcore hört man NAXENs sehr frost-ig-skandinavischer, aber genauso vielfältig-melodischer und stark auf Atmosphäre fokussierter Version allein schon durch den Drive an, der ihre Stücke vor sich hertreibt; und wenn der Knüppel zwischendurch eher im Sack gelassen wird (sorry, aber gestern war ja bekanntermaßen Nikolaus…), wird die Intensität und Düsternis dieser Band fast greifbar.

 

 

Die klassisch-harschen Vocals wechseln zwischen den beiden Gitarristen LN und FT hin und her, was auch dem Zuschauer immer wieder einen Perspektivenwechsel verschafft, und die Komplexität der Songs noch unterstreicht. Die Band überzeugt durch den steten Wechsel zwischen brachialer Kraft, nicht nur die Gitarren rollen wie Brecher über das Publikum, und introspektiven Parts, die so qualvoll wie zart die dunkle Seite des menschlichen Daseins beleuchten; mit Alboîn von EÏS haben sie auch einen enorm starken Drummer an Bord, der seine Mitspieler stetig vor sich her und die Songs nach vorne treibt.

 

 

Bislang nur mit einem sehr starken Zwei-Song-Demo in Erscheinung getreten, überraschen uns die Münsteraner heute auch mit neuen Stücken von ihrem für Anfang 2020 geplanten Debütlangspieler, und dabei speziell mit ´A Shadow In The Fire Pt 1´, einem Duett von Lars und Chris, das ringsum nicht nur für große Augen sorgt. Generell wird der Gig staunend (von bislang Uneingeweihten) bis begeistert (von Fans) aufgenommen, und NAXEN sind noch lange Zeit später Thema bei allen, die Black Metal wegen seiner emotionalen Tiefe schätzen. Ganz großer Auftritt!

 

Setlist NAXEN:
Great God Of Grief
Dawn Of New Despair
A Shadow In The Fire Pt. 1
The Odious Ordeal

 

 

Danach wird es mit TURIA gleichzeitig besinnlicher als auch noch schwärzer als zuvor. Die Auftritte des niederländischen Trios aus der Haeresis Noviomagi-Familie sind als Riten treffend beschrieben; sie machen es sich und dem Publikum wie immer erst einmal mit Kerzen, Räucherstäbchen und Tierschädeln auf der Bühne gemütlich, und öffnen damit einen eigenen Raum, bevor sie alle miteinander mit melodieschwerer Atmosphäre und doomig bis rasendem Tempo in einen Rausch spielen. Düster, transzendent und kathartisch, das beschreibt vielleicht am besten, was ein TURIA-Konzert mit einem macht – man kann sich nur dem Strudel aus flirrenden Melodien, Blastbeats, Gitarrenwänden, diskreten Samples und unmenschlichen, verstörenden Schreien ergeben, und sich hineinfallen lassen in die pure Emotion. Wer sich auf diese unglaublich intensive Live-Erfahrung einlässt, gibt sämtliche Kontrolle über sein Denken und Fühlen an der Eingangstür ab – heute vielleicht noch mehr als sonst.

 

 

Dabei kann Black Metal kaum reduzierter sein als bei den Niederländern, denn mehr als die Zutaten Schlagzeug, Gitarre, Stimme und gelegentlich synthetische Klänge brauchen sie tatsächlich nicht, um eine an- und wieder abschwellende Flut aus Tremolokaskaden, wogenden Klängen, hinwegtragenden Beats und vokalem Inferno zu entfachen. Was O dabei alles aus seiner Gitarre herausholt, ist unfassbar – er legt gleichzeitig eine Riffbasis, aus der er immer wieder minimal abgewandelte Melodien aufsteigen lässt, die gepaart mit J’s pulsierendem Drumming paradoxerweise eine unendliche Ruhe ausstrahlen – noch mehr in den Passagen, die er ganz alleine bestreitet. Diese zwei so unterschiedlichen Pole, die scheinbar unvereinbaren Seiten ihrer Musik machen TURIA ganz offensichtlich nicht nur für mich so faszinierend, um mich herum sehe ich viele geschlossene Augen und im Takt mitschwingende Körper, wie die Band selbst gefangen in einem magischen Dreieck aus Hingabe, Vision und Klang.

 

 

Ihre sich stetig verwandelnde, vielfarbige Monotonie teilen sie nicht nur mit diversen Cascadian-Bands, sie passen auch perfekt zu den heutigen Gastgebern. Ts jenseitig-gequälte Schreie verhallen ganz oben in der Klangkathedrale, die hier aufgetürmt wird, und an der Basis lassen dronige Rhythmen die Füsse mitwippen – moderner, packender Black Metal mit viel Groove und Gefühl – der Abend wird immer besser!

 

 

Schaut man sich mittlerweile den Merch-Bereich im Vorraum an, ist bei ULTHA die Shirt-Wand fast leer – ausverkauft, wie es das Event an sich seit einer ganzen Weile schon ist. Wenn man bedenkt, wie viele fake-Kartenverkäufer in den letzten Wochen auf Facebook versuchten, aus dem ungebrochenen Interesse an Karten Gewinn zu schlagen, wird einem nochmal deutlicher, was für ein besonderer Abend das heute ist. Musiker wie Zuschauen hatten sich seit langem darauf gefreut, und diese positiv-gespannte Stimmung liegt heute den ganzen Abend in der Luft, (fast) alle sind besonders freundlich und zuvorkommend zueinander, es ist ein sehr kommunikativer Abend, wirklich eine Art großes Familientreffen, zu dem jeder offene Geist willkommen ist.

Draußen im Hof hat man einen guten Überblick über die Zuschauer, zum einen sind viele befreundete Musiker da, zum anderen habe ich noch nie so viele Menschen in ULTHA-Klamotten gesehen, die sich über das ungeschriebene Szenegesetz hinwegsetzen und damit dem Headliner ihre Loyalität beweisen, ja man gewinnt tatsächlich den Eindruck, möglichst jeder will dem Quintett zeigen, wie viel sie ihnen bedeuten. Und die meisten möchten von heute auch noch ein Erinnerungsstück, sei es Musik oder Textil, mit nach Hause nehmen, daher hat die Merch-Crew den ganzen Abend gut zu tun – aber auch bei den anderen Gruppen. Zum Bandmerch gibt es außerdem noch Distrostände von ULTHAs Hauslabel „Vendetta Records“ sowie von „Tartarus Records“ mit seinen Tapes. Man kann sich die Zeit in den Pausen also gut mit shoppen vertreiben. Doch jetzt wieder zurück in die Halle, denn es geht weiter!

 

 

 

Obwohl ebenfalls aus den Niederlanden, haben GOLD doch eine ganz andere und vor allem ganz eigene Nische besetzt, in der sie zwischen allen Stühlen sitzen und sich damit sehr wohl fühlen, wie es der Avant-Garde oft ergeht. Ihr sperriges, forderndes, aber vor allem großartiges letztes Album ´Why Aren’t You Laughing?´ tauchte zurecht in vielen Jahresendlisten auf, und heute liegt der Fokus auch ganz klar hierauf, doch dazwischen kommen auch ein paar etwas ältere Songs wie ´Old Habits´ oder ´You Too Must Die´ zur Aufführung.

 

 

 

GOLD ist, wie alle heutigen Protagonisten, eine Liveband par excellence, die auf der Bühne ihren dunklen, doch stets treibenden Dark Rock-Songs nochmal ein ganz anderes Feuer einhaucht, als sie auf Konserve ausstrahlen; das ungezähmte, wilde, ursprüngliche ihrer Musik gewinnt an Kraft, ein pulsierendes Energiefeld baut sich zwischen den sechs Individuen auf und schwappt auf uns Zuschauer über, so dass keiner mehr stillstehen kann, die Halle wird zur Tanzfläche.

 

 

Die Rhythmusgruppe gibt den so kantigen wie eingängig-tanzbaren und vor allem hypnotischen Post-Punk-Groove vor, die drei Gitarren bauen flirrende Riffkaskaden auf, in die wir uns fallen lassen können, um von Ausnahmesängerin Milena Eva aufgefangen zu werden. Sie ist mit ihrer unglaublichen Bühnenpräsenz der absolute Mittelpunkt der Band und begeistert, ja, betört mit ihrer so mädchenhaften wie abgeklärten, gleichzeitig sanften wie eindringlichen Stimme, ihrer sparsamen Mimik und Gestik, in ihren zu Frauenkleidung umfunktionierten Herrenhemden und Mänteln, die wie die Lyrics das Thema Geschlechterungerechtigkeit, Missbrauch und Diskriminierung illustrieren. Niemand außer den Rotterdamern versteht es aktuell derart brillant, kühle Gesellschaftskritik, zynische Selbstzweifel und Düsternis mit goldenen Hoffnungsschimmern, seelenschmeichelnden und tröstlichen Melodien und vor allem der jeden willkommen heißenden Wärme, die diese Gruppe von Freunden ausstrahlt, zu verbinden – sie laden uns ein, heute mit ihnen zusammen die Leichtigkeit des Lebens hereinzulassen, ohne dabei seine Schattenseiten auszublenden: man kann im Tanzen alles um sich herum vergessen, und trotzdem ein bewusster Mensch bleiben. Ich werde mir später das neue Longsleeve kaufen, das diese so wundersame wie faszinierende Dualität, die das Gesamtkunstwerk GOLD durchzieht, in einem Zitat zusammenfasst: „I wear my tears like jewellery“.

 

 

Musikalisch sind sie sowieso über jeden Zweifel erhaben, präsentieren sich nach langen Touren in diesem Jahr perfekt aufeinander eingespielt, und treiben sich gegenseitig in einen schweißtreibenden Rausch; Drummer Igor Wouters legt das Fundament mit seinen hypnotischen, tribalartigen Figuren, Bassistin Leyla Overdulve behält den Überblick und verbindet alle Elemente mit ihrem federnden Groove, die drei Gitarren von Thomas Sciarone, Kamiel Top und Jaka Bolič brennen, sind gleichzeitig heavy und zerbrechlich, wütend und bittersüß klagend, und treiben sich zu wirbelnden Soundstürmen an. Die Songauswahl lässt keinerlei Wünsche offen, jedes neue Lied wird mit Jubel empfangen, die Texte werden mitgesungen – es ist nicht nur ein unvergesslicher Auftritt, sondern auch ein einzigartiges Gemeinschaftserlebnis, das GOLD uns heute beschert. Einfach ein Traum!

 

Setlist GOLD:
Intro: Sinead O’Connor “War (Live at Madison Square Garden)”
Wide-Eyed
He Is Not
Things I Wish I Never Knew
Summer Thunder
Old Habits
I Do My Own Stunts
Taken By Storm
Please Tell Me You’re Not The Future
You Too Must Die
Why Aren’t You Laughing?
Till Death Do Us Part
Mounting Into Bitterness
Truly, Truly Disappointed

 

 

 

Dass mancher GOLD im heutigen Billing deplaziert findet, ist unverständlich, aber eben Geschmackssache, wenn jedoch eine Gruppe jugendlicher die-hard-ENDSTILLE-Fans während des Auftritts des niederländischen Kollektivs nichts besseres zu tun hat als herumzupöbeln und ihre Abscheu kundzutun, ist das einfach völlig daneben. Leute, ihr hättet Euch die Besetzung der ersten Reihe ab Festivalbeginn sparen können – auch wenn ihre Gigs sehr rar geworden sind, bei eurer Lieblingsband war trotzdem ausreichend Platz, um ganz nach vorne zu kommen, euren Idolen fast hautnahe zu sein und sämtliche Songs wortwörtlich mitzusingen. Zingultus belohnt solchen Enthusiasmus natürlich und klatscht jeden von ihnen einzeln ab, so dass vom zuvor per Facebook angefragten Liter Schweineblut nicht nur der Rest am Sprinterlack, sondern auch einiges an den gierigen Fans klebenbleibt.

 

 

ENDSTILLE geben von Beginn an Vollgas, wobei der Zuschauer sich fragen kann, was der eine oder andere dafür wohl zuvor getankt hat, und machen mit einem straighten, brachialen Oldschool-Set, zusammengesetzt aus Songs zwischen dem 2003er ´Frühlingserwachen´ bis zum letzten Werk ´Kapitulation 2013´ keine Gefangenen; voll in die Fresse, das ist hier die Losung. Mayhemic Destructor knüppelt seine Mannen nach vorne, bis im Publikum kein Halswirbel mehr unbewegt bleibt, Zingultus pflegt intensivsten Zuschauerkontakt, die Äxte lassen kein Unterholz stehen in nordischen Wäldern – und guckt man in die Gesichter wird klar, diese Truppe hat auch noch Spaß an der totalen, amplifizierten Zerstörung. Das Publikum fackelt ebenfalls nicht lange und lässt Mähnen oder deren Restbestand kreisen, ist der Altersdurchschnitt doch heute eher erhöht. Auf einmal regiert im Gebäude 9 der kompromiss- und gottlose Eskapismus roher, schwarzer Kunst.

 

 

Wie zuvor schon bei GOLD empfindet jedoch auch manch einer nun die Kieler als unpassend im Line-up des heutigen Abends, aber das ist doch alles kein Problem: dann hat man eben mehr Zeit, mit Freunden oder Musikern zu quatschen, etwas zu essen oder Merch zu erstehen. Für mich sind ENDSTILLE einfach ein weiterer Puzzlestein in dem Gesamtbild an Einflüssen und Facetten, die das ULTHAversum ausmachen: wir haben NAXENs düster-oldschooligen und TURIAs minimalistisch-atmosphärischen Black Metal gehört, GOLDs dunkelbunt-tanzbarer bis zynischer offener Version von Post-Punk meets Dark Rock gelauscht, und nun gibts es eben eine Institution deutscher Black Metal-Punx, die es etwas derber und geradliniger mögen.

 

 

Mir knurrt jedoch fast genauso lautstark der Magen wie es aus den Boxen schallt, so dass ich einen Ausflug zur gegenüberliegenden türkischen Bude unternehme, und spinatschafskäsegestärkt erst zu den beiden kultigen Zugaben des Co-Headliners wieder zurück bin. Immerhin erlebe ich somit noch Zingultus Outing als echten Kölschen Jung, der Fronter wird zum Abschluss des Gigs sentimental und bekennt sich zu seiner rheinischen Herkunft, indem er hiesige Stimmungslieder anstimmt – was der Szenepolizei offenbar deutlich weniger aufstößt als R’s kurz darauf folgende klare politische Worte…nun ja, Black Metal! Doch der überwiegende Teil des Publikums setzt sich heute sowieso aus scheuklappenfreien Freigeistern vom Rande des rußigen Blechtellers zusammen, die einfach nur wegen der exquisiten Musikauswahl hier sind, und nicht wegen irgendwelcher Ideologien…und die wenigen, die schon nach ENDSTILLE gehen, verpassen im Anschluss den vermutlich ergreifendsten Auftritt des endenden Konzertjahres.

 

Setlist ENDSTILLE:
Intro
The Refined Nation
Endstilles Reich
-R.A.F
Conquest Is Atheism
Sick Heil
Anomie
Depressive/Abstract/Banished/Despised

———————-
Bastard
Frühlingserwachen

 

 

 

Vor dem Auftritt der Gastgeber ändert sich die Zuschauerzusammensetzung nochmals, denn mancher kommt heute tatsächlich nur wegen ULTHA, es wird so richtig kuschelig eng im Gebäude 9, und eine nervöse Spannung baut sich auf, die gleichzeitig von dem bittersüßen Gefühl unterlegt ist, dass uns hier gleich ein Auftritt für die Geschichtsbücher bevorsteht. Schon beim Aufbau sieht man bekannte Gesichter aus der Historie der Band auf der Bühne, die heute Gastauftritte haben werden: Jens, ULTHA-Mitgründer, sowie sein Nachfolger Ralf bereiten ihre Gitarren neben der von Lars vor, ein zusätzlicher Mikroständer wird bereitgestellt, aber bevor es tatsächlich losgeht, hält Ralph eine sehr emotionale Rede – nur um gleich aus dem Publikum unterbrochen zu werden, da er wegen der Gäste, die aus ganz Europa angereist sind, Englisch spricht: „Ja es weiß ja jeder, dass Du Englischlehrer bist!“, der unbekannte Rufer hat die Lacher auf seiner Seite und das Eis gebrochen.

 

 

R erzählt in seiner typisch lakonischen und gleichzeitig offenen Art aus der so erfolgreichen wie wechselhaften Geschichte einer Band von Freunden, die in ihrer kurzen, doch hochintensiven Karriere oft zwischen allen Stühlen saß – von den einen als fake-Black Metal-Band ehemaliger Hardcoreler abgestempelt, von den anderen völlig grundlos in die rechte Ecke gestellt, macht er nochmals klar, wo sich die Individuen hinter der Musik politisch positionieren (was nicht jedem anwesenden Blackmetaller passt…), und schickt Nazis, Rassisten und Homophobe zur Hölle. Er gibt Einblick in das Innenleben einer Band, die nicht nur polarisiert, sondern für ihre Fans eine absolute Herzensangelegenheit ist, die den Sprung zum Major gewagt hat, nur um festzustellen, dass in der DIY-Szene die Dinge viel besser und mit wesentlich mehr Engagement laufen als in der Industrie, die nur nach Verkaufszahlen agiert; die sich selbst am wenigsten wichtig nimmt, doch für ihre Kunst alles gibt – heute kam ihre zehnte Veröffentlichung in fünf Jahren heraus, was sich zu etwas über 200 Minuten Musik addiert. Damit ist nachvollziehbar, dass es in dieser Taktung unmöglich weitergehen kann, denn jeder von ihnen hat zusätzlich zur Band noch ein Privatleben und Vollzeitjob, sowie weitere musikalische Projekte laufen, und die Auszeit ist daher dringend notwendig – vielleicht auch das Ende der Band, auch wenn das hier natürlich keiner wahrhaben will. Ihre heutige Show wird der 120. Auftritt sein, und um zwischen den Songs nicht unterbrechen zu müssen (was dann doch passieren wird, es gibt einfach noch viel zu viel zu sagen…), kündigt er schon jetzt ein zweigeteiltes Set mit jeweils drei Liedern, davon je eins aus jedem Longplayer und ausgewählten EPs an, wobei im zweiten Teil die bereits angekündigten Überraschungsgäste Parts übernehmen werden.

 

 

Am Ende der Ansprache habe nicht nur ich Tränen in den Augenwinkeln, und ein flaues Gefühl im Magen; wehmütige Spannung, auch bei der sonst so gelassenen und bodenständigen Band, und echte Nervosität machen sich breit, als es dann richtig losgeht – und wie! Ich habe die Kölner schon einige Male erlebt, aber was sich gleich im ersten Song ´The Night Took Her Right Before My Eyes´ hier an Anspannung entlädt, ist der absolute Wahnsinn – das Intro sorgt dafür, dass die Gänsehaut von der Rede erstmal weiter erhalten bleibt, und dann brechen sämtliche Dämme. Gerade Manu, Chris und Ralph machen den Eindruck, sie würden um ihr Leben spielen, alle sind ständig in Bewegung, wie die Berserker werfen sie ihre Äxte um sich, als gehe es um ihre Existenzberechtigung, als gelte es heute, sich und der Welt zu beweisen, wer sie sind und wofür sie stehen. Chris schreit sich dermaßen die Seele aus dem Leib, so hält er die 90 Minuten unmöglich durch, doch Ralph steht ihm in seinen Parts in nichts nach. Irgendwann wird mir bewusst, dass ich immer noch ganz flach atme, also hilft nur Bewegung, sprich bangen, wie es alle anderen um mich schon längst tun, und der epische Schlusspart bietet sich dafür ja auch ganz besonders an.

 

 

Doch als die ersten knapp 18 Minuten Ohren- und Seelengold herum sind, geht es mit ´The Avarist (Eyes Of A Tragedy)´ von der dritten LP ´The Inextricable Wandering´ gleich noch tiefer hinein in Schmerz und Verzweiflung, die Band erhöht das Tempo, Manu blastet am oberen Limit und überrascht mit einer Freestyle-Einlage, alles ist nur noch pure Raserei, Wut und Verzweiflung, jetzt heißt es alles loslassen, was seine Zeit überschritten hat, und sich dem Fluss des Schicksals hingeben. Sprich: Highspeed-Propellerbanging, bis die Nackenmuskeln übersäuert aufgeben – aber das dauert ja beim trainierten ULTHA-Fan noch eine ganze Weile…

 

 

Danach geht es kaum weniger ergreifend weiter: der neue Thriller ´No Fire, Only Smoke´ von der letzten EP ´Belong´ hält die Spannung auf beiden Seiten weiter oben, und uns weiterhin gefangen in den bedrängenden Gefühlen, von denen er erzählt. Die ganze erste Hälfte dieses once in a lifetime-Gigs ist zu spüren, dass ULTHA nicht hier sind, um Spass zu haben, sondern ausschliesslich um ihr absolut Bestes zu geben. Doch als die düstere Stimmung im langen Instrumentalpart der zweiten Songhälfte umschlägt, beginnen auch sie sich langsam etwas zu entspannen, ihre Mimik spiegelt nun auch so etwas wie Erleichterung und gelegentlich sogar Zufriedenheit wider. Der Nebel hat nichts zugedeckt, sondern verdrängte Emotionen nach oben gebracht…und damit auch innere Ruhe.
Das Publikum ist da schon längst in seinem eigenen Film unterwegs; wer es noch nicht kennen sollte – dieses Stück ist eine transzendente Meditation extremer Musik, eine Gefühlsachterbahn ohne Gleichen, und für mich der intensivste Song des vergangenen Jahres. Ein Geschenk, ihn nochmal in vollkommener Intensität erleben zu dürfen!

 

 

Damit ist der erste Teil zu Ende, und die zweite Hälfte beginnt gleich mit einer großen Überraschung – nicht nur, dass Ralf Conrad wieder einmal die zweite Gitarre übernimmt, ULTHA spielen ein Cover und holen sich dazu F. von MORAST ans Mikro: ´Raise The Dead´ von BATHORY führt zurück zur ersten Split mit den befreundeten Black/Death/Doomern, der am heutigen Tag eine zweite Tribute-Scheibe zur Seite gestellt wurde (ULTHA / MORAST – Split Pt. II (A Tribute to F.O.T.N.), und hält die Stimmung weiter am kochen. Den neuen Akteuren auf der Bühne macht es spürbar Spaß, dabei zu sein, und das Publikum freut sich über die unerwartete Oldschool-Einlage.

 

 

Danach macht R deutlich, dass auch das stetige fanseitige Nachfragen von speziellen Lieblingssongs etwas bringen kann, denn DMRs jahrelanges Bohren hat sich gelohnt, ´Crystalline Pyre´, ULTHAs allererster Song, wird mit Gründungsmitglied Jens an der zweiten Gitarre gebracht. Derweil beobachten diejenigen, die gerade nicht spielen, mit dem Rest der ULTHA-Family das Geschehen von der Bühnenseite, jeder will so nah wie möglich dabei sein und nichts verpassen von diesem extrem intensiven Auftritt.

 

 

 

Und dann fehlt nur noch ein Song, und jeder im Raum weiss auch ohne Ansage, was nun kommen wird. DER Song, DAS Riff – ohne ´Fear Lights The Path (Close To Our Hearts)´ ist kein Auftritt der Kölner komplett, und heute gibt es ihn einmalig exklusiv mit drei Gitarren, Lars kommt zu Jens dazu, und die Band dreht nach weit über einer Stunde Vollgas nochmal übers Limit auf. Ralph führt hinein in diese Reverb-Orgie, Chris, der sich sowieso ständig bewegt auf der Bühne, steht heute komplett unter Strom, bangt, wirft seinen Bass herum, schwingt sich mit dem ganzen Körper ein in den stampfenden Groove, der diesem schaurig-schönen Gefühlslabyrinth das Fundament legt, aber auch die Gitarristen stehen ihm in nichts nach, alle zelebrieren dieses so abgründige wie kathartische Stück geradezu, und geben sich dabei immer mehr ab an die Musik.

 

 

Die ganze Halle ist wie elektrisiert, es liegt in der Luft, dass wir diesen Übersong gerade möglicherweise zum letzten Mal live erleben werden, und jeder will ihn mit jeder Faser spüren und diesen Moment für immer mitnehmen. (Ein wunderbares Videodokument hiervon findet ihr hier). Manuel muss zu diesem Zeitpunkt eigentlich am Ende seiner Kräfte sein, aber blastet diesen Wahnwitz in seiner hoch-exakten und gleichzeitig so gelassen-seelenvollen Art wie im Flow durch, nicht ohne die vielen kleinen Details darin zu betonen, und die Gitarren bauen darüber eine an- und abschwellende flirrende Soundwalze im roten Nebel, in der sich alles verliert, es gibt nur noch das hier und jetzt. Und dann – „Making – Every – Promise – Empty“, Zack, aus. Das war’s.

 

 

Überwältigt, innerlich leer und gleichzeitig angefüllt mit Emotionen, sprachlos, mit dröhnenden Ohren ob der abartigen Lautstärke stehen wir da, starren die acht Menschen auf der Bühne an, die sich mit Freude, Stolz und Dankbarkeit von uns verabschieden und fragen uns, kann es das wirklich gewesen sein? Wenn ULTHA tatsächlich demnächst Geschichte sind, haben sie sich und vor allem uns mit diesem Auftritt ein Abschiedsgeschenk gemacht, das nicht grösser hätte ausfallen können.

Danke, Jungs! There will never be another band so…Close To Our Hearts ♥♥.

 

Setlist ULTHA:
The Night Took Her Right Before My Eyes
The Avarist (Eyes Of A Tragedy)
No Fire, Only Smoke
Raise The Dead (BATHORY Cover)
Crystalline Pyre
Fear Lights The Path (Close To Our Hearts)

 

 

 

Text & Pics: U.Violet