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ELECTRIC FUNERAL – The Wild Performance

~ 1991/2019 (Outsider/Guerssen Records) – Stil: Hardrock / Proto Metal ~


Als Plattensammler und Fan von bestimmten Stilen und Epochen ist man ja auch irgendwo ein Nerd, der sich gerne mit dem Wissen ob der allerobskursten Truppen und ihrer Ergüsse schmückt. Aber macht das dann auch wirklich Freude? Nun auf gewisse Weise ja, da werden sogar die rumpeligsten und rauschigsten Proberaumaufnahmen kultig gesprochener Bands zu audiophilen Kostbarkeiten hochstilisiert. Und wenn es dann eine so um die Genregründerzeit aktive Band zwar gute Kompositionen, aber keine Finanzen zur Studioaufnahme hatte und von schäbigen Kassettenkopien Stücke für eine nachträgliche Archivalbumproduktion gewonnen werden, schlägt das Herz des Nerds doch noch höher. Und ja, ich bin ein bekennender Nerd, ich liebe solche Lo-Fi-Recordings, welche ungekünstelt die kompositorische und spielerische Qualität einer Kapelle wiedergeben und vielleicht sogar noch eine magische Atmosphäre besitzen.

ELECTRIC FUNERAL aus der französischen Schweiz sind eine der oben genannten Bands, die ganz großartige Stücke hatten, aber denen für eine vernünftige Aufnahme damals, so um 1970 bis 72, einfach das nötige Kleingeld fehlte und die kein Label wollte, weil sie wohl zu extrem waren. Es überlebten einige der zahlreichen Proberaum- und Konzertmitschnitte, der Sound war erbärmlich, aber aus einer Kassette, die sich noch im Musikerbesitz befand, wurde um 1990 herum eine LP in Miniauflage geschaffen. Klar, dass das Teil heute ultrarar ist. Aber taugen ELECTRIC FUNERAL, ich will immer WIZARD schreiben, überhaupt genug für ein Leben nach dem Tode?

Oben habe ich ja schon erwähnt, dass ELECTRIC FUNERAL wirklich geile Songs hatten, darunter fällt etwa das epische ´War Funeral Song´, es gibt auf dem Album aber noch mehr davon. Harte, treibende Momente, entspannte, aber sehr melancholische Passagen, eine charismatische Stimme, die darauf reitet. Durch den räudigen Klang klingen gerade die harten Gitarrenparts umso bestialischer und das Scheppern des Schlagzeugs sorgt für noch mehr Krach. Dabei konnten die vier jungen Männer wirklich gut spielen bzw. singen. Das Spiel ist sehr leidenschaftlich, hingebungsvoll, entschlossen. Der Bass rockt und sägt unter der Gitarre, wenn diese wieder zu ihren blitzenden und furiosen Soli ansetzt. Wenn man ELECTRIC FUNERAL mit den zeitgleich wiederveröffentlichten, gleichsam kultigen WILDFIRE vergleicht, so wird man bei den Schweizern einen moderneren Ausdruck feststellen. Die 60er waren hier definitiv vorbei, die Songs grimmiger, die Stimmung nachdenklicher, dunkler und aggressiver, verbunden mit einer gewissen Hoffnungslosigkeit, trotz der positiven Message in den Texten. Positiv? Nun, die Band war gegen Krieg und alle Ungerechtigkeit in der Welt positioniert, wütete in Richtung der politischen Bösewichter. Ihre Musik passte hierzu. Eine Studioaufnahme hätte die Hardrockgötter BLACK SABBATH schier zermalmt, könnte ich mir vorstellen, die jugendliche Wut der Schweizer zeigte sich in ihren Stücken. Wenn der Gesang Pause machte, gab es lange, jammige Passagen von oftmals nahezu irrsinnig machender Intensität, welche die Seelenglut der jungen Band auf den Hörer übertrugen und selbst in der reichlich rauschenden und verwaschenen Aufnahme noch überträgt. Die Stücke der LP sind allesamt live ohne Overdubs entstanden, hier ist man direkt dabei, wenn die Band sich zusammenhockt und voller Leidenschaft Musik macht.

Seite 1 scheinen Proberaumaufnahmen, Seite 2 Liveaufnahmen zu sein. Es beginnt nicht mit ´To Be One´, sondern mit ´We Gonna Change The World´, wieder eine textlich optimistischere Hymne mit sehr entschlossenem Ausdruck, die im Mittelteil wild und verspielt brodelt und kocht, bevor das aggressive Stampfen der Hauptparts wieder einsetzt. Es wird dann etwas sanfter, aber kurz darauf steigert sich die Kraft des Songs erneut. Ein schöner Solopart setzt ein, das Schlagzeug und der Bass ziehen das Tempo an, der Song wird rhythmisch zu einem feinen Boogie und die Gitarre jault und wütet komplett entfesselt auf dem tosenden Rhythmusfundament. Tony Iommi und seine Truppe hätten hier ernsthafte Konkurrenz ins Haus bekommen, wären ELECTRIC FUNERAL denn bei Vertigo oder einem anderen großen Label erschienen, was ich nach wie vor für eine gute Sache halte. Tja, war nichts. Zu abgelegen in der französischen Schweiz, zu heavy für die großen tauben Plattenfirmen, vielleicht ein wenig zu naiv aufgrund ihrer Jugend. Es lief halt schief, was schieflaufen konnte.

„Guerssen“ haben auf ihrem „Outsider“-Unterlabel nun zumindest die alte Archiv LP aus den 90ern noch mit 4 Bonustracks aufgewertet, welche ebenfalls irgendwie von alten, lang verschollen geglaubten Tapes stammen. Und der Klang ist trotz Remastering eher abenteuerlich, wobei man die Songs an sich erkennen kann. Manchmal sind sie wie bei der bei einem Festival in Finnland aufgenommenen Live-CD der PINK FAIRIES mehr ein Brummen und Brodeln, aus dem sich bei genauem Hinhören ein paar Strukturen herausschälen, die Ähnlichkeiten mit Melodien haben. Aber das ist hier selten. Die meisten Songs und Momente hier sind klar und deutlich zu identifizieren, gute Riffs haben den Vorrang vor Rückkopplungen. Sänger Dominic ist ein echter Könner, der mittlere und höhere Lagen bestens beherrscht, zudem noch wirklich Kraft in der Stimme hat. Gitarrist Alain lässt seine Gitarre förmlich bersten und brennen und man denkt sich so, sein Griffbrett müsste rot sein von dem Blut aus seinen aufgescheuerten Fingern, derartig besessen spielt er hier zuweilen. Edi am Schlagzeug trommelt und groovt exakt wie eine Maschine, aber wehe wenn er losgelassen wird. Dann wachsen ihm noch mindestens sechs weitere Arme und gleich einem Kraken wirbelt und knüppelt er mit gewaltiger Lust auf sein Schlagzeug ein. Der leider in der Zwischenzeit verstorbene Bassist Pierrot (Pierre) folgt der Gitarre und legt für sie ein Fundament, auf dem sich Alain auch dann solotechnisch austobt, ohne dass da Löcher im Sound entstehen. Die Band hat es drauf und ich spreche bewusst in der Gegenwartsform, da ab und an, zuletzt 2016, noch Konzerte gespielt werden und es noch jüngere Aufnahmen gibt, wohl von 1999, die 2015 als EP erschienen sind.

Tja, warum nur haben bei mir solche Veröffentlichungen einen höheren Stellenwert als gutklassig zeitgemäß produzierte Werke aktueller Bands? Nun, wer sich wirklich auf dieses Rauschen, Brummen und Brodeln einlässt, wird in seiner glühenden Seele die Antwort finden. Nichts für Freunde von gepflegtem Schönklang, aber Liebhaber der obskuren PENTAGRAM und BEDEMON Aufnahmen aus den 70ern und freakiger Archivplatten von WICKED LADY, WARLORD (UK, 1974) oder SUPERNAUT sind genau richtig hier. Es ist wie das Erforschen einer düsteren, alten Hausruine. Und man findet auf dieser Doppel LP wahre Schätze.

Besonders die zweite LP ist davon voll, wenngleich es auch nur derer vier sind. Das lange ´My Destiny´ ist ein wilder jammiger Song mit ausladenden Soli und einem exzessiven Ausdruck, so wild wird die Band zwischendurch. ´I Don’t Know´ ist dann ein aggressiver Hardrocker mit Garagenflair und punkigem Gegröle als Gesang, dazwischen ein paar obszessiven spitzen Schreien. Dominic klingt hier fast wie ausgewechselt. Aber das kommt cool, roh, besessen, wütend.

Die Band ist mit diesem Song definitiv ihrer Zeit voraus beziehungsweise, wenn man sich die zeitgleich herumwütenden STOOGES anhört, direkt an ihrem Puls. Das ist Manie, das ist Wahnsinn und Leidenschaft und Hingabe. ´You Can Help´ ist ein rasender Protometal, wie man ihn damals auf Platte eigentlich so entfesselt nicht gehört hat. Und auch das wüste Geschimpfe ist dem normalen Hardrockgesang um einiges voraus in Sachen Aggressivität. Ich schätze, dass solche Songs für die Plattenfirmen einfach zuviel Feuer und Hummeln im Arsch waren. Auch nach fast 50 Jahren klingt ein solches Stück um einiges derber als diverse straighte Metalsachen der 80er und das war 10 Jahre vorher. Verstörender, kranker Protometalpunk in all seiner losgelassenen Herrlichkeit, dabei immer gut gespielt, wie man heraushören kann. Der Sound bei den vier Stücken ist genauso abenteuerlich wie auf der ursprünglich veröffentlichten LP.

Ja, für Undergroundfreaks ist das hier ein Muss! Und ich bin total verzückt und will mehr und mehr und immer mehr davon.

(9 Punkte)

 

https://guerssenrecords.bandcamp.com/album/the-wild-performance