Livehaftig

DØDHEIMSGARD, BÖLZER, BLAZE OF PERDITION, MATTERHORN

 05.12.2019, MS Connexion Complex, Mannheim

„Void Dancers Tour MMXIX“


Ein sehr spannendes Ensemble aus vier Bands, die sich allesamt eindeutiger Kategorisierung entziehen, aber eher der dunklen Seite der Macht angehören, hat man da zusammengestellt für die „Void Dancers Tour MMXIX“. Black Metal ist auf jeden Fall überall drin, aber generell üben sich die beteiligten Herren eher in sehr eigenständigem Freistil – also ist heute Abend mehr Kür als Pflicht angesagt. Das Publikum zumindest trägt durchgängig schwarz und hat auch meist schon einige Jahre Szenezugehörigkeit auf dem Buckel, mal wieder etwas für echte Connaisseure also. Immerhin wird das Connex zum Ende hin gut gefüllt sein, was bei solch Spezialistenkost und auch noch unter der Woche leider schon lange nicht mehr alltäglich ist. So lasset die Spiele beginnen!

Die Schweizer Youngsters von MATTERHORN sehen sich als Anheizer erst einmal recht wenigen Zuschauern gegenüber, was das Trio aber eher noch anzustacheln scheint. Beim Hell Over Hammaburg habe ich sie zugunsten von CHAPEL OF DISEASE verpasst, und bin heute extra pünktlich da, denn ihnen eilt der Ruf voraus, live keinen Stein auf dem anderen zu lassen (oder muss man angesichts des Bandnamens eher „Fels“ sagen?) – und dem werden sie auch heute gerecht. Das Trio reisst mit seinem jugendlichen Enthusiasmus, seiner Hochgeschwindigkeit und schieren Spielfreude, und vor allem seinem Extremheadbanging ab dem ersten Song alle in den vorderen Reihen mit. Die Zentifugalkräfte jubeln!

Böse Zungen behaupten ja, sie wären lediglich ein jüngeres Abziehbild der wiederauferstandenen HELLHAMMER beziehungsweise deren Nachfolger CELTIC FROST, doch wer so etwas sagt, kann sich ´Crass Cleansing´, das Debüt der Schweizer, nur mit viel Ohropax angehört haben. Sicher gibt es überdeutliche Parallelen, ihr Mix aus 80er Thrash mit Proto-Death- und Black Metal à la frühe VENOM meets early KREATOR atmet sämtliche Trademarks einer Zeit, in der sich Morbid, Nekroking und Tim Tot noch lange nicht am Beginn ihrer aktuellen Inkarnation befanden, doch wer weiss, vielleicht trieben sie sich in den vorigen ja in den Endsiebzigern schon im England der Neuen Welle herum?

 

Mit irgendeiner Alpenmilch aufgesogen haben sie die Sounds der guten alten Zeiten des Heavy Metal auf jeden Fall, und fügen noch technische Spielereien der 90er dazu. Der gesamte Gig macht einen Heidenspass, so ungekünstelt, respektlos und nach vorne knallen sie uns ihre Abrissbrinen vor den Latz, finden dabei aber immer wieder noch Zeit für kleine technische Finessen, vor allem Nekroking am Bass kann da neben Morbid an der Sechssaitigen begeistern. Saustark!
Als ich nach dem Gig VOIVOD in die Diskussion werfe, ernte ich zuerst nur hochgezogene Augenbrauen, doch ein paar Minuten später bringt ein ebenso vom Auftritt MATTERHORNs begeisterter Nachbar genau denselben Vergleich – denn technisch versiert, vor irren und respektlosen Songideen nur so sprudelnd, und vor allem auch erfrischend selbstironisch bewegt sich das Trio auf einem sehr ähnlichen Niveau wie die Kanadier. Volltreffer, das Shirt des Abends wird bei den Eidgenossen erstanden, und ich habe eine neue Lieblingsband, von der ich noch so einiges erwarte!

 

Als zweite entern nach ausgiebigem Soundcheck die Polen BLAZE OF PERDITION die Bühne, und für den Rest des Abends ist es vorbei mit Licht, das zum Photographieren taugt, nun ja. Aber wer braucht schon Beleuchtung, wenn es Nebel auch tut? Das kürzlich von Metal Blade unter Vertrag genommene Quartett (beziehungsweise Live-Quintett) nimmt die Sache „Black Metal“ dann im Gegensatz zum positiv respektlosen Opener mit dem nötigen Ernst in Angriff, obwohl sie selbst eine ordentliche Dark Wave-Schlagseite haben und heute mit ihrer sehr detailverliebten und anspruchsvoll-progressiven, dabei gleichzeitig angenehm kühlen Sicht auf das grimme Genre sicherlich die Feingeister im LineUp sind.

Der Unterschied zwischen Platte und Livedarbietung besteht nach dem tragischen Tourunfall vor sechs Jahren und den damit verbundenen körperlichen Folgen für Bandkopf Sonneillon natürlich weiterhin, der neue zweite Gitarrist und Live-Sänger Destroyer macht seine Sache jedoch gut, und es wäre schön, wenn er, wie auch Livebassist Wyrd, eine feste Konstante im Bandgefüge werden würde, noch merkt man dem Fünfer das sich neu Er- und Zusammenfinden jedoch an kleinen Unsicherheiten an, die die Wucht des Auftritts jedoch keineswegs schmälern.

BLAZE OF PERDITION promoten auf dieser Tour eine Single, die einen Vorgeschmack auf ihr Anfang 2020 erscheinendes neues Album geben soll. ´Transmutation of Sins´ hat genau wie die sonstigen heute vom Vorgänger ´Conscious Darkness´ vorgetragenen Songs Überlänge, und präsentiert wie gewohnt diesen typisch polnischen, sehr kalt-technischen und hallenden, dabei sehr modernen Stil, wie man ihn auch von Landsleuten wie beispielsweise MORD’A’STIGMATA und natürlich MGŁA kennt. Doch kaum sind Band und Publikum richtig miteinander warm geworden, ist leider auch schon wieder alles vorbei – ein viel zu kurzer und nur einen kleinen Ausschnitt auf das Schaffen dieser grossartigen Band preisgebender Auftritt, der zumindest mich hungrig darauf macht, die Band (wie es zum Tourabschluss beim „Merry Christless Festival“ in Warschau möglich war) doch einmal mit S. am Mikro zu erleben.

 

Das Co-Headlining dreier Bands macht Sinn, denn man hat tatsächlich den Eindruck, Viele sind heute jeweils nur wegen einer ganz bestimmten Band gekommen, und was mich betrifft, ist das auf jeden Fall BÖLZER. ´Lese Majesty´, ihre neue EP, war für mich ein Highlight des Spätjahres, und ich werde nicht enttäuscht, das Powerduo spielt sie über den Auftritt in Gänze, streut jedoch auch immer wieder älteres Material dazwischen ein.

Dass Okoi ein absoluter Perfektionist ist, wird dadurch nochmal bewiesen, dass er persönlich während des Auftritts zweimal den Weg zum Mischpult macht, um am Sound nachbessern zu lassen. Das ist aber auch kein Wunder, denn von Fabians wahnwitzigen Schlagzeugspiel sowie ein paar Intros und Samples mal abgesehen, kommt ja der komplette Rest von ihm, seiner zehnsaitigen B.C. Rich, sowie seinen diversen Effekt- und Verstärkergerätschaften. Von der Technik mal abgesehen bezeichnen sie selbst ihr Schaffen als „intuitives Kunstprojekt“, und jeder Liveauftritt unterstreicht die Wahrheit dieser Aussage nur: kraftvoll, mächtig, aus einem Guss.

 

Man könnte gelegentlich fast meinen, sie seien von Dämonen besessen und dadurch angetrieben, ihr Feuerwerk an Riffs und – in Fabians Fall – vor allem Blech abzubrennen – mit welcher Inbrunst und wie oft der Mann seine diversen Becken bearbeitet, ist mehr als beeindruckend, und ihr Labelname „Lightning & Sons“ bekommt durch die blitzenden und krachenden Bronzeteller nochmal eine ganz andere Bedeutung. Okois Klargesang dagegen, der nun noch mehr Raum einnimmt als zuvor und im Wechsel mit harschem Sprechgesang eingesetzt wird, erzeugt eine fast mythologische Atmosphäre – der Erzähler grosser Geschichten spricht in verschiedenen Zungen zu uns und mit sich selbst im Dialog, was verstörend und faszinierend zugleich ist. Von kleineren Soundproblemen abgesehen ein grossartiger Auftritt!

Bei DØDHEIMSGARD oder auch DHG freuen sich die alten Black Metal-Recken dann auf frühe Glanztaten, müssen jedoch erst einmal mit neuerem Material vorlieb nehmen. Dafür haben die Norweger keine Kosten und Mühen gescheut, Instrumente und Mikroständer vorweihnachtlich glänzend auszudekorieren.
Ich persönlich vermisse gerade zu Beginn des Sets Aldrahn, der im Gegensatz zur letzten Tour leider nicht mehr im Wikingerboot ist, sehr – nicht nur wegen seiner exaltierten Bühnenpräsenz, er brachte ausser dem hysterisch-irren Gehabe (was Vicotnik ja auch ganz gut drauf hat) noch eine Getriebenheit mit, die dem wahnwitzigen Sound der Osloer einen zusätzlich abgefahrenen Twist gab. Da macht es auch nix, wenn das Minikeyboard mal runterfällt…
Der zweite Gitarrist hat gleich mal ein schwarzes Ganzkörperkondom angelegt, um sich jegliche Corpsepaintversuche zu ersparen, dafür ist Vicotnik an Gitarre und Mikro heute, nun ja, interessant gekleidet, und führt mit irrem Grinsen durch das Set der Norweger.

Dieses ist ein durch Videos ergänzter Ritt durch die progressiv-experimentellen neueren Platten mit mehr oder weniger Industrial-Schlagseite, doch mit ´En krig å seire´ vom 1995er Debüt ´Kronet til konge´ werden dann endlich auch die Fans des alten Norwegen beglückt und lassen entsprechend die Matten kreisen. Auch DHG haben ihn noch drauf, den traditionellen Black Metal, und beschliessen einen Abend, der mal wieder zeigte, wie breit das schwarze Extremmetalgenre aufgestellt ist, und wie viel es dem aufgeschlossenen Fan zu bieten hat. Das Experiment „Void Dancers Tour“ kann als rundum geglückt angesehen werden, die Besucher gehen beglückt nach Hause und ich persönlich wünsche mir auf jeden Fall noch viele dermassen interessante, schwarz gemischte Packages!