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SUN WORSHIP – Emanations Of Desolation

~ 2019 (Vendetta Records) – Stil: Metal. Deathly and Black. ~


Gleich zu Beginn muss ich hier etwas eingestehen, was mir bis dato beim Besprechen eines Albums so noch nie passiert ist: ich spüre eine gewisse Angst davor, diese Platte zu reviewen, ja, ich fühlte mich in den vergangenen Wochen regelrecht überfordert davon. Habe einige Anläufe zum Schreiben genommen, doch es immer sehr schnell wieder hingeschmissen. Nun, das transportiert jetzt natürlich erstmal einen negativen Nachgeschmack, dem ich jedoch sofort vorbeugen muss: diese Platte ist nichts anderes als großartig. Grandios. Außergewöhnlich in jeglicher Hinsicht. Das Problem liegt komplett bei mir, ich habe mich hier einfach gnadenlos verkalkuliert. Und da sie jetzt schon seit ein paar Wochen veröffentlicht ist, muss ich einfach endlich mal Nägel mit Köpfen machen, koste es, was es wolle. Uff.

Doch wie konnte es überhaupt zu der für mich eher ungewöhnlichen Sprachlosigkeit kommen? Glücklicherweise habe ich mittlerweile eine Idee hiervon, und daher fällt es mir nun deutlich leichter, mein Versagen zu formulieren: ich habe die dritte SUN WORSHIP komplett unterschätzt. Mich von ein paar Durchläufen begeistern und einlullen lassen, ohne auch nur zu ahnen, was sich hier alles hinter den schnell wahrgenommenen ersten Eindrücken verbirgt. Welche (Un)Tiefen sich auf einmal auftun, welche Verwerfungen deutlich werden und wie intensiv diese Platte in einem nachhallt, wenn man sich dafür öffnet. Das Tropfsteinhöhlen-Cover hätte mich vorwarnen können, hätte ich nur darauf gehört…

Doch zuerst einmal zu den harten Fakten: die seit neun Jahren zusammen aktiven Berliner haben bereits, neben diversen Splits, einer EP und einem Roadburn-Livealbum, zwei herausragende, sehr eigenständige Langspieler zu verbuchen, und sich damit im Untergrund einen Namen gemacht. 2017, nach dem reichlich anspruchsvollen, extrem atmosphärischen Zweitling ´Pale Dawn´, hat das Trio den Verlust des hauptamtlichen Sängers und damit auch der zweiten Gitarre zu verbuchen, Lars Ennsen (g/v) und Bastian Hagedorn (d/v) beschließen nach einer gewissen Schaffens- und Orientierungspause jedoch, zu ihrem Anfang und Kern als Duoformation zurückzukehren. Auch wenn dies, von aller in dieser Situation sicherlich vorherrschender Frustration mal ganz abgesehen, unter anderem auf Kosten mancher Songstruktur, die auf eine zweite Gitarre angewiesen ist, geht, und natürlich vor allem die Vocals nochmal ganz neu gedacht und verteilt werden müssen.
Und genau diesen Bruch, der eine komplette Neuorientierung nötig machte und schließlich in einer kathartischen Wiedergeburt mündet, hört man den ´Emanations Of Desolation´ im Wortsinn in jeder Sekunde an. Es ist, ohne zuviel vorwegzunehmen, aus heutiger Sicht das Beste, was der Band passieren konnte.

Aber was hat sich denn nun alles in welche Richtung entwickelt? Schaut man sich zuerst einmal den Gesang an, fällt vielleicht gar nicht sofort auf, dass Lars und Bastian ihn sich aufteilen, wobei Lars den grösseren Teil übernimmt. Wie schon von ´Perihelion´, dem letzten Stück des Vorgängeralbums bekannt, funktioniert die Band auch mit Klargesang ganz wunderbar, dieses Element ist nun weiter ausgebaut worden und bringt immer wieder Ruhe, sakrale Fokussierung und entspannende Atempausen in den sonst vorherrschenden, blastendem Highspeed des Duos (´Torch Reversed´, ´Coronation´).

Meist singt Lars jedoch mit rauen, viel mehr todesmetallischen Growls bis hardcorigen Shouts, die auch gleich auf einen weiteren neuen Aspekt hinweisen, der das gesamte Songwriting durchzieht: auch wenn bei SUN WORSHIPs Black Metal-Version, die zwischen altem Skandinavien und neurem Cascadian/USBM oszilliert(e), die Durchlässigkeit zu anderen Genres schon immer sehr groß war, fällt es heute schwer, den massiven, knüppelharten Death Metal-Anteil zu negieren oder die klassischen Heavy Metal-Hommagen zu überhören, und das Ganze weiterhin einfach in der tiefschwarzen Schublade abzulegen. Man würde der Band damit unrecht tun, denn ihre Musik umfasst so viel mehr als Tremolo-Pickings, Blastbeats und rohe Produktion, und natürlich spielt vor allem Bastians so abwechslungsreiches und extrem drückendes Drumming hier eine große Rolle. Wie er neben seiner wahnwitzigen Trommelei überhaupt noch singen kann, hat sich wohl jeder gefragt, der das neue Powerduo schon einmal live erlebt hat. Seine keifenden Vocals sind geheimnisvoll-gruseliger, aber vor allem deutlich angepisster, und bringen damit wiederum einen neuen Aspekt ins Spiel: die Wut des Punk.

Nach dem rituell-trommelnd die Aufmerksamkeit des Hörers heischenden Opener ´Zenith´ zeigt gleich mal ´Void Conqueror´, wieviel Spaß es machen kann, so richtig Dampf abzulassen. Und zornigen Überdruck, davon haben beide ganz offensichtlich viel, sehr viel. Seine Wut in lauter Musik kanalisieren, das verbindet doch uns alle, Metalheads lieben es einfach, zu einem mitreißenden Song, der nur so nach vorne prescht, dazu noch Mitgrölvocals bietet und einen schönen Rhythmus zum Bangen hat, komplett abzugehen – voilà, euch ist hiermit geholfen! Thrashiges Fundament, ein fieses Tremolo-Grundriff, das gleichzeitig düsterste Stimmung aufbaut wie auch als Wegweiser durch den sich immer weiter in geradezu epische Höhen hinaufschraubenden Song dient, gebellte, fast mantraartige Anrufungen, endend im fast beschwörenden und bereits jetzt den Grundtenor dieser die Wieder- oder Neugeburt feiernden Platte zusammenfassenden Abschlusstext „Rise above the ruins and ride on“ – was für ein Einstieg! Und vor lauter Begeisterung über so viel Power wird einem erst beim x-ten Durchlauf klar, wieviel Abwechslung und Finesse, Stolz und Größe, Trotz und Kraft in dieser womöglichen Bandhymne der neuen SUN WORSHIP stecken.

´Devoured´ ist danach zugleich dissonanter wie auch zärtlicher, und hier wird deutlich, wie diese zwei perfekt aufeinander eingestimmten – ich meine es nur positiv – Wahnsinnigen zu zweit eine Musik erschaffen, die gar keine weiteren Mitstreiter benötigt, sondern perfekt funktioniert und dabei noch eine enorme Fülle ausstrahlt: immer dann, wenn Lars mit seinen so schnellen wie waghalsigen und (selbst)hypnotischen Riffings abzuheben droht, wird er von Bastian wieder auf den Boden zurückgeholt, mit ein paar bassdrumlastigen Figuren geerdet, oder er übernimmt solange den Gesang, wie Lars sich entlang seiner Melodielinien verweilt. Dieses Spiel funktioniert prächtig, kann vieltausendfach abgewandelt werden und macht beiden offenbar tierisch Spaß. Dem Zuhörer allerdings auch, und wie!

 

 

Es ist der berühmte Sog in sie hinein, das immer und immer wieder den Replay-Knopf drücken müssen, was diesen schwarzfunkelnden Edelstein von Platte auszeichnet, es ist einfach unmöglich, sich daran satt zuhören, auch weil immer wieder neue Details auftauchen. Nach der Doppelspitze aus ´Torch Reversed´ und dem göttlichen ´Soul Harvester´ gönnt uns ´Pilgrimage´ die nötige Pause zum Verschnaufen: ein pures Dark Ambient/Dark Synth-Interludium, wie bereits der Schlusssong ´Transneptunian (Infinite Gaze)´ auf ihrem Debüt ´Elder Giants´. Diese Offenheit und Vielseitigkeit ist es, die SUN WORSHIP nicht nur auszeichnet, sondern komplett eigenständig macht – das ist einfach Musik für offene und neugierige Hörer, wie es sie glücklicherweise mittlerweile immer häufiger gibt.

Mit dem majestätisch-eindringlichen ´Coronation´ und dem so zukunftsweisenden wie tiefgehenden Longtrack ´Without End´ kratzt die LP schließlich knapp an einer Stunde Spielzeit, was deutlich länger ist als bei ihren beiden Vorgängern. Doch offenbar haben die Beiden diese Zeit benötigt, um alles zu sagen, was ihnen auf der Seele brannte, und wir können uns glücklich schätzen über so viel zu entdecken: Frustration, Wut, Weiterentwicklung, Katharsis, Schönheit – ein Manifest des ungebrochenen Willens und der ungezügelten Kreativität. Wie es Lars selbst sagt: „Es steckt sehr viel Wille, Wut, Stolz und Selbstbewusstsein in der Platte. Es war sehr befreiend, daran zur arbeiten und sie fertig zu stellen.“ – und genau das überträgt sich auch auf den Hörer. Diese Platte befreit, erdet neu, und gibt Kraft, der Welt mit erhobenem Kopf und wenn nötig auch Mittelfinger zu begegnen. Wunderbar auch für alle, denen die nun angebrochene dunkle Jahreszeit aufs Gemüt drückt…

Dass die Beiden sich dafür tief in technische Finessen reinknien mussten, um auch als Duo zu einem funktionierenden, ihnen und ihren Ansprüchen entsprechenden Sound zu gelangen, der (wenn auch nur mit sehr, sehr viel Schweiß…) auch gut live umsetzbar ist, sollte genauso wenig verschwiegen werden wie das Kunststück, das Andy Rosczyk im Goblin Sound Studio vollbracht hat, indem er ihnen genug Rotz und Dreck ließ, ohne dabei eine teils ätherische Transparenz zu vernachlässigen. Eben eine Platte, die alle Elemente unseres bekannten Universums umfasst…

´Emanations Of Desolation´ ist ein absolut mitreißendes und fesselndes Album, das in keinem gut sortierten (Extrem-)Metallerhaushalt fehlen sollte, bündelt es doch sämtliche Vorzüge anspruchsvoller harter Musik bei kongenial roher Produktion, vor allem aber auf kompositorisch wie technisch enorm hohem Niveau. Die perfekte Platte für Bauch, Kopf und Faust. Ein absolutes Jahreshighlight – wir sehen uns wieder in den Jahresendlisten!

(8,5 Punkte)

 

http://sunworship.bandcamp.com

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