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FORGOTTEN NORTH – Kinder des Zorns

~ 2019 (Independent) – Stil: Mittelalter Rock ~


Denn Du bist am Leben, Sei bereit zum Himmelsflug. Ja, wir sind am Leben, Und wir kriegen nie genug.

Eigentlich habe ich ihn schon fast für tot gehalten, den Mittelalter Rock. Einst mit SUBWAY TO SALLY oder IN EXTREMO gern genossen, empfand ich das Genre später als Einerlei. Dem vermochten sich einige zu entziehen, wie die Truppe um Eric Fish, die moderne und elektronische Einflüsse einfügten. Andere rutschten endgültig in kitschige Gefilde, nahmen gar am ESC-Vorausscheid teil. Zusätzlich mit einer Dudelsack-Allergie gesegnet, gehe ich solchem weitgehend aus dem Weg. Bis mir die Norddeutschen FORGOTTEN NORTH vor die Füße fielen.

Ja, die Jungs aus dem vergessenen Norden spielen mit Wikinger-Klischees. Und ja, sie haben einen bunten Reigen von 12 supereingängigen, mitsingbaren, tanzbaren Liedern eingetütet. Der Kopf nickt mit, die Füße wippen im Takt. Das ist eine Kunst, die nicht jedem gelingen will. Das normale Rockinstrumentarium wird verstärkt durch eine wunderbare Flöte, eine Cister (ich habe auch nachlesen müssen, eine Cister ist eine Verwandte der Laute) und traditionellem Schlagwerk.

Das schon zitierte ´Am Leben´ startet das Album. Und lässt direkt die Füße wackeln. Der Chorus von ´Feuervogel´ erinnert leicht an die TOTEN HOSEN. Der Titelsong ist eine rauhbeinige Hymne auf das Vagantenleben der Nordmänner im Schlachtgetümmel. Es gibt viele Leute, die Trinkliedern, vorsichtig formuliert, eher reserviert gegenüber stehen. Mit ´Wir Trinken Nie´ findet sich ein gelungenes Exemplar.

Einigen Mittelalter-Bands kann man zumindest Weltfremdheit, wenn nicht gar Flucht aus der Realität vorwerfen. Mit ´Macht Und Intrigen´ haben FORGOTTEN NORTH einen Kommentar zu aktuellen Entwicklungen abgegeben. Es geht noch nicht einmal um große Politik, eher um den zwischenmenschlichen Umgang, nicht nur in den sozialen Netzwerken.

Für ´Walhalla´ wird das Tempo kräftig erhöht. Mitreißender Refrain, übrigens… Das lyrisch raffinierte ´Das Spiel´, das schmissige ´Kalt´, die leicht alternativ angehauchten Gitarren im epischen ´Krieger´, ich kann bis hierhin keinen schwächeren Track ausmachen. ´Licht der Zeit´ lädt ein ins Getümmel der Pogo-Tänzer. Darauf folgt ´1000 Jahre´, keine heroische Wikinger-Hymne, sondern ein Abgesang auf Jahrtausende Menschheitsgeschichte. Der Mensch befriedigt nur sein Ego, lernt nicht aus Gier, Hass und Kriegen. Im Gegenteil, das Ich-Zuerst greift immer weiter um sich.

Auch wenn es keine Ballade ist, ´Laß Mich Dein Leben Sein´ geht als Liebeserklärung durchs Ziel. Die angenehme Stimme von Gastsängerin Annie dürfte gerne öfter zum Einsatz kommen.

Also eine mehr als gelungene Scheibe, die trotz aller Eingängigkeit sich nie anbiedert. Einzig die Lyrics dürfen in Zukunft gerne etwas mehr Doppelbödigkeit erhalten.

Lass die Welt weit hinter Dir, Dann wirst Du voller Liebe sein, Bei Gesang und Tanz am Feuerschein, Denn wir sind am Leben.

(8 Punkte)

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