MeilensteineVergessene Juwelen

ANACRUSIS – Suffering Hour

~ 1988 (AXIS Records) – Stil: Prog Thrash ~


Als ich die Ankündigung von Metal Blade über die Re-(Re-)Release der Platten von ANACRUSIS gelesen habe, musste ich sofort an ein gut abgehangenes Filetstück denken. Aber wenn ich jetzt näher darüber nachdenke, dann sogar eher noch an ein vergessenes Juwel.
Also eigentlich sogar an vier, aber ich werde mich hier auf das erste Meisterwerk ´Suffering Hour´ beschränken, von welchem ich mir, obwohl bereits das Original im Platten- und CD-Regal stand, damals auch noch die 2016 über ´Hammerheart Records´ erschienene Version ´Hindsight: Suffering Hour Revisited´ auf Doppel-Vinyl zugelegt hatte, da diese verglichen mit der innerhalb von einer Woche und mit einem Budget von 1.200$ eingespielten Originalversion, doch über einen deutlich verbesserten Sound verfügt, als das sehr dünn produzierte Original auf AXIS Records von 1988. (Die Songs wurden neu eingespielt, ohne jedoch deren Charakter zu verändern und obendrauf gab es noch Bonusstücke!)

Wie soll man jemandem die eigentlich mit keiner Band so richtig vergleichbare Musik von ANACRUSIS beschreiben? Also, wenn ich meine Scheiben nach Genres sortieren würde, dann stünden die Scheiben von ANACRUSIS in der Nähe derer von WATCHTOWER und TOURNIQUET und wer mit diesen beiden Bands nichts anfangen kann, der braucht eigentlich nicht weiterzulesen und wer nicht gleich beim grandiosen, alle Grenzen sprengenden Opener ´Present Tense´ verzückt die Augen verdreht und demutsvoll auf die Knie sinkt, der kann die Scheibe gleich vom Plattenteller ziehen bzw. die CD aus dem Player holen. Alle anderen werden gebannt den Klängen lauschen und nach 47 Minuten höchster Musikkunst nur langsam aus der andächtigen Starre erwachen.
ANACRUSIS verbindet progressive Klänge (sie benennen PINK FLOYD als ihren Haupteinfluss) mit thrashigen Riffs und Kenn Nardi veredelt das ganze mit seiner Stimme, aus der er vom melodischem Gesang bis hin zu hohen den gesamten Weltschmerz beinhaltenden Schreien alles herausholt, was das Klangspektrum einer cleanen Stimme hergibt. Aber auch musikalisch bieten die Herren, neben Kenn Nardi (Gesang und Gitarre) noch Kevin Heidbreder (Gitarre), John Emery (Bass) und Mike Owen (Drums), eine wahre Achterbahnfahrt, die von doomigen Tiefen bis hin zu psychedelischen Höhen alle existierenden Facetten des Metaluniversums mit einer derart druckvollen Rohheit und größtenteils rasanten Geschwindigkeit abfährt, dass jedem Hörer ob dieses Erlebnisses der Schwindel erfasst. Die 1986 in St.Louis gegründete Band war damit von den damaligen Hörgewohnheiten so weit entfernt, dass ihnen der aus heutiger Sicht mehr als hochverdiente Erfolg versagt blieb. Diese Anerkennung wird ihnen nun langsam, aber stetig zuteil und ihr Aufstieg zur, ja ich schreibe es nieder, Kultband nimmt Gestalt an. Für jene, die nicht erst jetzt auf diese Band stoßen, war sie das aber schon immer!

Nachschlag: Obwohl sich die Band nach ihrem vierten Album 1993 aufgelöst hatte, reformierte sie sich 2010 um einen (m.E. großartigen) Autritt beim Keep It True-Festival hinzulegen und im Zuge dessen praktischerweise gleich auch die neu eingespielten ersten beiden Scheiben zu bewerben, die als DoppelCD unter dem Titel ´Hindsight: Suffering Hour & Reason Revisited´ zunächst in  Eigenregie und ein Jahr später bei ´Divebomb Records´ veröffentlicht wurden. Auch jetzt findet passenderweise eine Reunion zur Wiederveröffentlichung ihrer Werke auf CD und LP statt.

Der Bandname ANACRUSIS (im deutschen auch ´Auftakt´ genannt) stammt übrigens aus der Musiktheorie und bezeichnet einen unvollständiger Takt, der oft am Anfang einer Melodie vorzufinden ist.