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THE WILDHEARTS – Renaissance Men

~ 2019 (Graphite Records) – Stil: Hard Rock ~


Ich gebe es zu, ich bin erst spät zu der Erkenntnis gekommen, dass die Briten um Ginger klasse sind. Als ich die Herren im Vorprogramm von AC/DC 1996 in Frankfurt sah, war das nett aber nicht nachhaltig. Da hatten THE WILDHEARTS allerdings schon zwei ihrer stärksten Alben veröffentlicht. Erst im Zuge von `Fishing For Luckies` erwachte mein Interesse an den Briten und flugs war der Backkatalog nachgekauft. Und uff, was war da geiles Zeug drauf. Es wurde zu einer regelrechten Sucht, die ganzen MLPs und EPs zu suchen, zu finden und zu kaufen. Denn hier gab es noch mehr Mucke, welche es nicht auf die Alben geschafft hatte. THE WILDHEARTS waren Mitte der Neunziger für mich ein großes Thema. Ihr Mix aus eingängigen, punkigen Elementen, mit Hard Rock vermischt, dazu ohrwurmhafte Melodien, ergab zusammen einen kraftvollen Ohrwurmtornado.

In der zweiten Hälfte der Neunziger orientierten sich die Briten musikalisch um. Eine Katastrophe. Das Line-up zerbröselte, die Band war Tod, abgeschrieben. 2008 spielte die Truppe auf dem „Summer Breeze Festival“. Somit eine Pflichtveranstaltung für mich. Coole Setlist, originales Line-up fast wieder zusammen. Die Zeichen standen auf Sturm. Nun ja, aber so richtig nahm die ganze Kiste nicht wirklich Fahrt auf, trotz netter Alben.

2019 wird ein neues Album angekündigt. Freu. Und? Hammer. So wild, so ungezügelt, so brillant haben die Briten seit den frühen Neunzigern nicht mehr geklungen. Hier stimmt alles. Fette Produktion, geile Gitarren, ein arschgeiler Mix aus punkiger Grundattitüde und einprägsamen Melodien. Jede Menge Ohrwürmer. Suchtpotential. Ohne dabei in Weichspülergefilde abzudriften. Das powered, das hat massiven Druck. Die Gitarren wüten für THE WILDHEARTS-Verhältnisse schon heftig. Musikalisch ein Mix aus Songklassikern wie `Suckerpunch`, `I Wanna Go Where The People Go` und `Red Light, Green Light`.

Schon die Gitarre am Anfang des Openers `Dislocated` reißt einen komplett um bzw. mit. Was für ein krachendes Statement als Albumeröffnung. Danach zwei Ohrwürmer ganz in alter, großer Qualität. `Let`em Go` sowie das gigantische `The Renaissance Men` beißen sich in die Gehörgänge. `Fine Art Of Deception` ist nicht weniger schlecht, hat nur einen etwas punkigeren Ansatz mit breiten Chören. `Diagnosis` beendet die erste Seite der Vinylvariante des Albums. Ein Kracher auf dem Niveau des Openers. Geiler Shit.

Mit `My Kinda Movie` hat man als Eröffnung der zweiten Seite eine echt schnelle Rakete ab Start. Wer PSYCHOPUNCH kennt, kann in etwa abschätzen wie die Speedbombe klingt. `Little Flower` haut auch energisch raus. Ziemlich bissig für THE WILDHEARTS-Verhältnisse. Aber auch hier ein geschmeidiger Refrain. Das haben echt nur wenige Bands drauf, diese eingängigen Ohrwurmrefrains zwischen wilden Gitarren zu platzieren. Das folgende `Emergency (Fentanyl Babylon)` ist eine superschnelle Bombe. Exzellent. Die letzten beiden Stücke des Albums, `My Side Of The Bed` und `Pilo Erection`, sind einprägsame, tighte Nummern. Gerade letzterer hat Langzeitpotential.

Ein Album wie `Renaissance Men` hatte ich beim besten Willen nicht von THE WILDHEARTS erwartet. In ihrer ellenlangen Discografie nimmt das Album einen Spitzenplatz ein. Dass man die Kurve nach so langer Zeit nun endlich gekriegt hat, spricht für die Band. `Renaissance Men` dürfte jeden THE WILDHEARTS-Fan zufrieden stellen und wer bisher noch keinen Kontakt zu dieser Band hatte, dieses Album ist ein super Einstieg in die musikalisch breit aufgestellte Welt der Briten.

(8,5 Punkte)