~ Das Erbe des Osvaldo Civile (21.10.1958 – 28.04.1999) ~


Zwanzig Jahre ist es nun her, dass Osvaldo Civile sowohl unter mysteriösen als auch ungeklärten Umständen aus dem Leben schied und posthum das bereits fertiggestellte vierte Werk von HORCAS hinterließ. 

Grund genug, ein paar Zeilen über ihn und seine Band zu verlieren, die zwar in Deutschland recht unbekannt ist, aber die metallische Szene Argentiniens entscheidend mitgeprägt hat. 

„In jedem Ende liegt ein neuer Anfang“ 

Dieses Zitat des spanischen Philosophen Miguel de Unamuno y Yugo trifft im vorliegenden Fall ganz besonders zu, denn mit dem Ende der legendären Band V8 begann in Argentinien eine neue musikalische Zeitrechnung. RATA BLANCA, HERMÈTICA und HORCAS sind nur einige der bekannteren Bands, die von ex-V8-Musikern gegründet wurden und der Argentinischen Musik härterer Gangart ihrem Stempel aufgedrückt haben. 

Osvaldo gehörte zwar nicht zu den Gründungsmitglieder der 1979 in Buenos Aires ins Leben gerufenen Band, zählt aber zu der klassischen Formation rund um Ricardo Iorio, Alberto Zamarbide und Gustavo Rowek von denen lediglich Iorio von Beginn an dabei war. Diese Formation war es auch, die 1982 das erste Demo von V8 aufnahm. Civile war gerade erst für Ricardo Moreno an der Gitarre eingesprungen, der V8 aus gesundheitlichen Gründen (er hatte chronisches Asthma und verstarb bereits 1984) verlassen musste, aber vor seinem Weggang seinem Freund Ricardo Iorio, mit welchem er V8 gegründet hatte, noch Osvaldo als seinen Nachfolger nahelegte. Iorio war zwar nicht allzu sehr von dieser Idee begeistert, erfüllte aber seinem Freund Ricardo diesen Wunsch. 

 

(Zamarbide, Civile, Iorio, Rowek)

 

V8 veröffentlichten 1983 und 1985 zwei Alben und verlegten daraufhin ihren Sitz nach Santos in Brasil. Die Hoffnung, dort größere Chancen und eine bessere Zukunft für die Band zu finden zerschlugen sich aber rasch, so dass Iorio und Zamarbide bereits nach kurzer Zeit in ihre Heimat zurückkehrten. Einige Quellen geben an, dass dies nach einem Streit zwischen den Mitgliedern erfolgte, andere nennen zumindest im Fall von Civile eine Erkrankung seiner Frau als Grund dafür, dass Civile in Brasilien blieb. Tatsache bleibt aber, dass V8 ohne Rowek und Civile weitermachten und verstärkt durch Walter Giordano und Miguel Roldán 1986 noch ein drittes und letztes Album herausbrachten, bevor sie sich 1987 auflösten (Auf dem letzten Album hatte Adrian Cenci bereits Walter Giordano am Schlagzeug ersetzt.).

 

 

Im folgenden gründete Iorio HERMÈTICA (später ALMAFUERTE), Gustavo Rowek und Walter Giordano formierten RATA BLANCA und Alberto Zamarbide, Miguel Roldán sowie Adrián Cenci taten sich zu  LOGOS zusammen.

(Rückblickend gehören zum Stammbaum auch Bands wie Jeriko, El Dragon, Cruel Adicción und noch viele mehr.)

 

 

Während seines Abstecher nach Brasilien war Osvaldo Civile in den Besitz der ‚Ride The Lightning‘ von METALLICA gekommen, die ihn so stark beeindruckte, dass er beschloss, sich fortan musikalisch in Richtung Thrash Metal zu bewegen.

Nach seiner Rückkehr aus Brasilien begann er seinen Plan umzusetzen und tat sich zunächst mit dem Sänger Rodolfo Cava und seinem ehemaligen V8-Kollegen Gustavo Rowek zusammen. Da das Projekt aber keine konkreten Formen annahm, folgte Gustavo bald dem Ruf seines anderen ex-V8-Kollegen Walter Giordano und gründete mit ihm RATA BLANCA. Osvaldo versuchte es erneut mit einer aus Sergio Cives, Gustavo „El Oso“ und Silvio Salerno bestehenden Formation, der allerdings auch keine allzu lange Lebensdauer beschieden war. Erst die im Herbst 1985 zusammengestellte Formation mit Silvio Salerno, Marcelo „Dogo“ Peruzzo und Gabriel „Ganzo“ Gonzalez, zu der sich später der Sänger Hugo Benitez (vorher u.a. Drummer (!!) bei BLOKE) hinzugesellte, kann als Geburtsstunde von HORCAS bezeichnet werden. Unter dem Eindruck der noch bis 1983 in Argentinien regierenden Militärjunta und angesichts der sich daraufhin schlagartig verschlechternden und von einer Hyperinflation geprägten wirtschaftlichen Situation ist es nicht verwunderlich, dass Osvaldo seiner Neugründung den Namen HORCAS (auf deutsch: Galgen) verpasste. Auf den Namen angesprochen erklärte Osvaldo, „…weil wir doch alle den Strick um den Hals haben.“ 

 

(Hugo Benitez, Eddie Walker, Osvaldo Civile und Gabriel Gonzalez)

 

Im Jahr 1987 wird schließlich mit dieser Formation das erste Demo von HORCAS aufgenommen. Es sollte aber noch bis zum Jahr 1990 dauern, bis HORCA endlich ihr Debüt, auf welchem drei der vier Songs ihres Demos enthalten waren, über das unabhängige Plattenlabel RadioTrípoli Discos veröffentlichten. Auf dem langen Weg dorthin waren von den ursprünglich Gründungsmitgliedern neben Osvaldo aber nur noch Drummer Gabriel „Ganzo“ Gonzalez übriggeblieben. Am Bass war Marcelo „Dogo“ Peruzzo durch Eddie Walker ersetzt worden und HORCAS war durch den Weggang von Silvio Salerno zu einem Quartett geschrumpft, mit Osvaldo als einzigem Gitarristen der Band. (Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass zwischenzeitlich auch ein Walter „Terence“ Jelenic den Bass nach „Dogo“ und Adrián Zucchi noch die Rhytmusgitarre nach Silvio Salerno gezupft hatten.) 

Die Ursachen für die Auswahl des Bandnamens finden ebenfalls ihren Niederschlag in den Stücken des Debüts „Reinara La Tempestad“ (Sturm wird herrschen). Diese handeln von Hoffnungslosigkeit, Leid, (staatlicher) Ausbeutung, Lügen und Korruption, nicht aber ohne auch zum Widerstand aufzurufen und Hoffnung für die Zukunft zu verbreiten (Aus dem Titelstück: „Du wirst jene vernichten, die Dir Tag für Tag im Wege stehen.“). 

 

 

Musikalisch setzte Osvaldo genau das um, was ihm vorgeschwebt hatte: Speediger Thrash Metal mit starken Anleihen an den Klängen aus der Bay Area, welcher vor allem durch Osvaldos virtuosem Gitarrenspiel und dem Double-Bass Getrommel von Ganzo geprägt war. Auch Sänger Hugo fügte sich mit seiner cleanen, aber dennoch aggresiven Stimme, perfekt in das musikalische Gerüst ein.

Für das zweite Werk „Oid Mortales El Grito Sangrado“ („Sterbliche hört den blutigen Schrei“) war HORCAS durch die Hinzunahme von Oscar Castro wieder zu einem Quintet mit einer Rhythmusgitarre angewachsen und der auch heute immmernoch den Bass zupfende Norberto Dari „Topo“ Yañez war für Eddie Walker in die Band gekommen. (Übrigens lautet die erste Zeile der Argentinischen Nationalhymne „Oid Mortales El Grito Sagrado“ („Sterbliche hört den heiligen Schrei“). Nur ein Buchstabe mehr oder weniger, aber mit einer tiefgreifenden Veränderung der Bedeutung.) 

 

 

Konsequenterweise durften HORCAS bereits nach dieser zweiten Scheibe aus dem Jahre 1992 für solche Acts wie METALLICA oder EXODUS auf deren Konzerten in Argentinien eröffnen. Aber wie so oft ist schneller Erfolg nicht immer ein Garant für Kontinuität. Nach bandinternen Querelen, die nicht zuletzt auch auf ihre damalige Produktionsfirma Narvax zurückzuführen waren und welche fünf Jahre lang die Veröffentlichung eines dritten Albums verhinderten, fand sich Osvaldo nach dem Weggang von Hugo Benitez und Gabriel „Ganzo“ Gonzales als letztes Gründungsmitglied in HORCAS wieder. Die neue Formation, mit der 1995 ein weiteres Demo aufgenommen wurde, bestand nun aus Osvaldo an der Leadgitarre, Christian Bertoncelli am Gesang, Guillermo de Luca am Schlagzeug, Sebastián Cora an de Rhythmusgitarre und Topo Yañez am Bass.

 

 

Mitten in dieser Phase wurden HORCAS 1996 eingeladen, zusammen mit RATA BLANCA und LOGOS auf dem „Metal Rock Festival I“ aufzutreten, dessen Höhepunkt ein Auftritt der legendären V8 war, von denen drei der vier Mitglieder aus der V8-Stammformation bei den vorgenannten Bands im Aufgebot standen. Als einziges Gründungsmitglied fehlte Ricardo Iorio, der sich geweigert hatte, an dieser Reunion-Show teilzunehmen. Dessen Platz am Bass übernahm der ebenfalls ehemalige Gitarrist/Bassist von V8 Miguel Roldán. 

(Im Jahr 1998 traten HORCAS auf dem „Metal Rock Festival II“ auf. Dieses Mal aber als Headliner.) 

 

 

Mit dem Zugang des aktuellen Sängers Walter Meza und der Aufnahme ihres dritten Albums Vence scheint die Welt im Jahr 1997 für HORCAS endgültig in Ordnung zu sein.

Nicht aber für Argentinien. ‚Vence‘ enthält das Stück ´Argentina, tus hijos´, welches das Lebensgefühl einer gesamten Generation widerspiegelte und bis heute nichts von seiner Aktualität verloren hat: 

Ein Generalstreik bricht aus 

das Volk hält es nicht mehr aus 

Versammlung auf dem Hauptplatz 

die Krise wird uns vernichten 

Argentinien, deine Kinder können nicht mehr, 

Argentinien, deine Kinder betteln um Brot 

…. 

Dieser und alle anderen Texte auf ‚Vence’ waren bereits von Osvaldo und Christian Bertoncelli fertig geschrieben, als Christian von Walter Meza als Sänger ersetzt wurde. Walter Meza musste nur noch die Lieder einsingen. Die Musik stammte übrigens komplett aus der Feder von Osvaldo und Topo Yañez. 

 

(Inlay der Platte Vence)

(Inlay der Platte Eternos)

 

Mit Beginn des Jahres 1999 finden sich HORCAS für die Aufnahmen ihres vierten Albums ‚Eternos’ im Studio wieder. Dieses Album sollte das letzte mit Osvaldo Civile sein. Nach Abschluss der Aufnahmen gab HORCAS am 24. April 1999 ein Konzert und nur vier Tage darauf wurde Osvaldo in seiner Wohnung mit einer tödlichen Schussverletzung in seiner Brust aufgefunden. Die näheren Umstände seines Todes bleiben bis heute ungeklärt. Seine Familie und der ehemalige Sänger Hugo Benitez sprechen von Mord. Freunde und Bandmitglieder hingegen von Selbstmord, da er ihnen zufolge ein Alkoholproblem hatte und unter Depressionen litt. Angeblich hatte Osvaldo kurz vor seinem Tod noch davon gesprochen, HORCAS und Argentinien verlassen und ein neues Projekt starten zu wollen. Ebenfalls nur kurz vor seinem Tod konnte man Osvaldo auf der Titelseite des Magazins Epopeya erblicken, wie er Karten mit dem Sensenmann (es handelte sich um Walter Meza) spielte. Auf diesem Bild hält Osvaldo das Siegerblatt mit vier Assen… 

 

 

Die verbliebenen Mitglieder entscheiden sich bereits nach kurzer Zeit dazu, mit HORCAS weiterzumachen, obwohl kein Originalmitglied mehr an Bord ist. Diese Entscheidungen bringt ihnen nicht nur Freunde ein und man sieht sich massiven Anfeindungen ausgesetzt und wegen der angeblich illegalen Nutzung des Bandnamen HORCAS auch mit gerichtlichen Schritten konfrontiert. (Auf der aktuellen Homepage von HORCAS http://www.horcas.com.ar befindet sich aber Civile zur Ehre eine Kurzbiografie.) 

Mit dem neuen Leadgitarristen Gabriel Lis geht HORCAS dann aber bereits kurze Zeit später auf ihre erste große Tournee, die sie durch Mexico, Bolivien, Uruguay und Brasilien führt und auf der sie ihr Album ‚Eternos’ promoten. 

 

 

Mittlerweile sind HORCAS mit dem harten Kern Yáñez, Coria und Meza aus der aktuellen argentinischen Heavy Metal-Szene nicht mehr wegzudenken und veröffentlichen in schöner Regelmäßigkeit Studioalben. Seit dem Tod Civiles sind es bereits sechs an der Zahl. Das letzte namens ´Gritando Verdades´ erschien 2018, aber wie leider mittlerweile immer häufiger Usus, hat die Band mangels wachsendem Desinteresse der großen Labels an dieser Art von Musik, ihr Produkt selbst herausbringen müssen. Ein Schicksal, dass sie mit vielen anderen Argentinischen Bands, zuletzt auch mit einer ehemals überaus beliebten Band wie RATA BLANCA teilen muss, und das es uns Europäern sehr schwer macht, an ihre Werke heranzukommen. 

 

 

Die aktuelle Besetzung von Horcas besteht aus: 

Norberto „Topo“ Yañez – Bass seit 1991 

Sebastián Coria – Gitarre seit 1994 

Walter Meza – Gesang seit 1997 

Lucas Simcic – Gitarre seit 2012 

Mariano Elias Martín – Schlagzeug seit 2016 

In diesem Jahr findet bereits das dritte Horcasfest statt. Man sieht, die Band ist weiterhin an allen Fronten aktiv… 

 

 

Hier das Video zu „Argentina, tus hijos“: