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LORD’S FAMILY – Innere Musik

~ 2019 (Sireena Records) – Stil: Krautrock ~


Welt-, Gesellschafts- und Uns-Verbesserer 1970: In der Nähe von Nürnberg gründet sich Anfang der Siebzigerjahre eine Land- und Musikkommune. In ihrem „Schlössl“, einem alten Jagdschloss, widmet sich eine bayrische Kommune künstlerischen, sozialen und ökologischen Experimenten. Von 1971 bis 1974 leben sie in Beilngries, im Altmühltal. Aus einer Wohngemeinschaft wird eine Kommune, aus dieser eine Family – und in dieser Lebenskonstellation entsteht die Musikgruppe LORD’S FAMILY.

Obwohl die LORD’S FAMILY zumeist in der Auflistung deutscher Rockbands übersehen wird, müssen sie als eine der ersten Formationen genannt werden, die innerhalb des Krautrock mit deutschen Texten experimentieren. „Die Rockmusik als Träger und Ausdrucksform der alternativen Kultur, die Kunst und die Lyrik explodierten in einem kreativen Schub sondergleichen“, sagt Organist/Keyboarder Sepp Kuffer heute.

 

Hinten v.l.n.r.: Monika Hindelang, „Iwan“ Schmidt, „Ebo“ Petschel, Georg Frisch, Martin Seliger, Barbara Rimmele. Vorne: „Ali“ Schmidt, Sepp Kuffer, Hund Johnny, „Pit“ Sturm. Wie immer auf Fotos ist hier nur ein Teil der Family zu sehen.

 

Wenn dann die Musiker auf der Bühne stehen, wie anno 1971 im Beatclub Studio Bremen, lebt die FAMILY für alle sichtbar auf. Über die Gemeinschaft von 17 Leuten, die Tiere nicht mitgerechnet, berichtet in diesen Jahren auch der Rundfunk, einige Zeitungen schreiben über die Familie, den „Mönchen in Jeans“. Das erste Konzert findet am 20. November 1971 in Erlangen vor 1.000 Zuschauern statt; im Sommer 1973 spielen sie von Heidelberg bis Berlin und München, für Gagen zwischen 0 und 1.400 DM. Aus den Erlösen einer eigenen Zeitung, der „Family Press“, im Stile eines schwarz-weiß Fanzines (siehe hier), finanzieren sie den Unterhalt ihres Schlosses, das sie für den Besitzer in der Zeit ihres Aufenthalts bewohnbar und instand halten sollen. Leider vergisst die LORD’S FAMILY, Studioaufnahmen in Angriff zu nehmen. Dass diese möglich sind, sollten sie von zahlreichen Schloss-Gästen aus der Krautrock-Szene wissen.

Wenigstens überliefern die beiden ehemaligen Kommunen-Mitglieder Sepp Kuffer und Georg Frisch der heutigen Generation Bilder und Videoaufnahmen aus jenen Tagen. Vorliegende Ton-Aufnahme stammt aus dem Archiv von Sepp Kuffer und muss als bislang einziges musikalisches Zeitdokument die Legende der LORD’S FAMILY bezeugen. Ein privater, einstündiger und äußerst sehenswerter Dokumentarfilm nimmt uns zurück in die Siebzigerjahre (siehe hier). Im christlichen Glauben in Bayern aufgewachsen, verbinden sie ihre Erfahrungen mit LSD und Marihuana im Zusammenhang mit östlicher Geisteshaltung („Über gesellschaftlich empfohlene Drogen und Opiate: … Alkohol … Nikotin … Opiate … FINGER WEG VON DEN OPIATEN“, Auszug aus „Family Press“), und erschaffen einen eigenständigen Krautrock, der psychedelisch aufblüht: „Das ist keine Sache des musikalischen Könnens, sondern eine Sache des Sich-Kennens.“

 

LORD’S FAMILY beim Winterspaziergang: (Von links) Irene Petschel, „Gitti“ Fleck, Sepp Kuffer, Ruth Marschall, Martin Seliger, „Pit“ Sturm, Barbara Rimmele, Gottfried Rimmele, Monika Hindelang, „Ebo“ Petschel und Hunde.

 

Über „Sireena Records“ erscheint die limitierte, farbige 10inch ´Innere Musik´ mit sechs Kompositionen: Der Folk geprägte ´Wanderer´ zwischen zwei Welten setzt sich in deutscher Sprache ungehindert und umgehend ins Ohr. Dies war die ´Sonntagsmusik´ anno 1971, ´Session´s inklusive.

Ist die ´Family Im Wald´, werden dagegen die Saiten wild, scheinbar wirr gezupft. Im gleißenden Sonnenlicht spielen LORD’S FAMILY ´Weltall´, dabei wäre es schöner, den Song in der Nacht zu genießen, rät uns die Ansage vorab, auf dem Rücken liegend und die Sterne betrachtend. Das ganze Universum gehört uns. Spürt es.

Das ´Abendlied´, gespielt und gesungen von Ali Schmidt, trägt uns gen Fernost. Die Fragen „Was ist dein Teufel, was ist dein Gott, wer bist Du?“ lassen uns auf dem Erdboden, inmitten des Universums zurück.

´Innere Musik´ ist ein äußerst wertvolles Zeitdokument. Es sind gut erhaltene Musikaufnahmen aus einer zuweilen vergessenen Zeit. Aus einer anderen Zeit? „Es gibt eine Menge Leute, die nicht verstehen, dass der Sinn des Lebens in einer ständigen Veränderung besteht. Und genau die gleichen Leute werden feststellen müssen, dass sich die Dinge um sie herum rasend schnell ändern.“ (Auszug aus „Family Press“) Die Zeiten ändern sich, doch sie bleiben die gleichen.


Fotos: Sepp Kuffer