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CRESTFALLEN QUEEN – Queen Of Swords

~ 2019 (Church Within Records) – Stil: Progressive Doom Metal ~


(Wer nur zur Musik der hier vorgestellten Platte informiert werden möchte, ignoriere die Einleitung und beginne einfach nach dem Bandfoto mit dem Lesen)

 

Die Königin der Schwerter,
oder Schwert 13, ist wie alle Karten dieser Farbe eine wehrhafte Figur. Sie hat viel sehen und erfahren müssen, an ihrer eigenen Haut oder bei anderen miterlebt. Sie wohnt nicht länger im Wolkenkuckucksheim ihrer Phantasie, sondern regiert mit Scharf-Sinn, mit den Waffen des Intellekts. Ihr Ideenreichtum, ihre ungetrübte Urteilskraft und ihr klarer Geist, mit dem sie Entscheidungen fällt, sind stärker als Unrecht, Betrug, undurchsichtige Machenschaften, persönlicher Verlust und Leid.
Sie findet ehrliche Worte für Erfahrungen, zu denen bisher Sprachlosigkeit herrschte, ihre (Lebens)Weisheit erwuchs ihr daraus, dass sie dem Schmerz mutig, selbstbewusst, annehmend und aufrecht entgegengetreten ist – sie hat all das überwunden, indem sie erkannt und verstanden hat, was dahinter steckt; dies hat sie aus ihren Fesseln und Abhängigkeiten befreit. Sie hat ihre Maske fallen lassen, um anderen in Würde, voller Offenheit und Objektivität begegnen zu können, und sie damit zu ermutigen, ihre eigene, verborgene Wahrheit zu finden, sich zu befreien und selbst zu verwirklichen, und zwar sowohl intellektuell als auch emotional. Zuversichtlich schaut sie in eine Zukunft, in der die Dualität von Herz und Verstand, Kopf und Bauchgefühl, Wissen und Glauben harmonisch vereint ist.

Ehrlichkeit, Gerechtigkeit und Freiheit, hohe Werte in unserer heutigen Zeit, in der wir uns freiwillig selbst versklaven, unterordnen, zu Jasagern und Abnickern verkommen sind, um bloß nicht die Komfortzone vor der Glotze verlassen zu müssen oder uns gar mit dem untragbaren, ja unerträglichen Zustand unserer Welt zu konfrontieren. Etwas selbst in die Hand nehmen, um zur dringend notwendigen Veränderung beizutragen? Bloß nicht! Justice For All? Niemals waren wir weiter davon entfernt…

Damit ist die Königin der Schwerter eine der aktuell wichtigsten Karten, fordert sie uns doch auf, nach vorne zu sehen, Herausforderungen anzunehmen – komme, was wolle. Ihr wohnt das Prinzip Hoffnung, kombiniert mit Mut, Hilfsbereitschaft und Lösungsorientiertheit inne, und nichts haben wir heutzutage nötiger.

 

 

Gleich drei Königinnen der Schwerter präsentieren sich uns auf dem detailreichen Cover des peruanischen Künstlers Jose Gabriel Alegría Sabogal (u.a. bereits für WHOREDOM RIFE tätig), und zwar deutlich kriegerischer als die Karten der bekannten Tarot-Sets. Die Gerechtigkeit fußt auf Totenschädeln und dem Rad des Schicksals, ein kopfloser Toter, selbst noch ein Schwert in der Hand, liegt am Boden vor ihnen, ein Drache züngelt unheilvoll, die Herrscherinnen haben die Augen verbunden und teils gleich zwei Schwerter kämpferisch erhoben – sind sie doch „crestfalllen“, also „niedergeschlagene Königinnen“, verwundete Kämpferinnen für ihre Rechte, ihre Träume und ihre Freiheit.

Die martialische Atmosphäre sorgt beim Betrachter für Unwohlsein, doch genau um ihre Geschichten, um gefallene Heldinnen antiker Mythologie und Philosophie und wie sie mit persönlichen Niederlagen, Ängsten, Verlusten, mit Liebe, Leben und Tod umgegangen sind, darum geht es auf dieser Platte. Herstory statt History, ein weiblicher Blick zurück, der uns den Spiegel vorhält zu den so beängstigend immer gleichen Zuständen auch heutzutage. Die Bandmitglieder des Quintetts treten dabei hinter ihre Initialen zurück, um es den Hörern leichter zu machen, unbefangen und ohne Erwartungen aus ihren anderen Projekten an die Musik heranzugehen.

 

 

Gegründet 2016, haben CRESTFALLEN QUEEN schon 2017 mit ihrem Demo ´No More Let Life Divide What Death Can Join Together´ auf sich aufmerksam gemacht. Es enthielt zwei extra-lange, ausschweifende Tracks, die bereits erkennen ließen, dass es der Band wichtiger ist, sich Zeit zu nehmen, ihre Geschichten bis zum Ende zu erzählen, als sich selbst ein kreatives Korsett anzulegen.

Zwei Jahre später legen sie ein Debüt vor, das selbst aus dem unglaublichen Wust von Neuerscheinungen absolut heraus-sticht, und durchaus auch im Wortsinn die neue Sensation werden könnte. Die Stuttgarter präsentieren uns vier jeweils an der Zehn-Minuten-Grenze kratzende Stücke sowie zwei so mystische wie verstörende Intros (´Umbra´, ´Invocation´), die jeweils beide Seiten der Langspielplatte einleiten.

Aber was erwartet uns hier musikalisch? Jetzt sind die Tugenden der Schwert-Königin gefragt: reiche Vorstellungskraft und guter Überblick. Selten ist mir eine Band untergekommen, die aus derartig vielen unterschiedlichen Einflüssen einen völlig eigen- und vollständig neuartigen Sound kreiert, in dem die metallischen Ursprungsgenres trotzdem ständig präsent und heraushörbar sind. Und zwar nicht als Trademarks bestimmter Bands der jeweiligen Stilrichtung, sondern eher wie ein Genre-Destillat, das mit Mitteln musikalischer Alchemie in ein neues Fluidum verwandelt wurde, welches oszillierend einmal mehr nach schwerem, dissonantem Birmingham-Doom, klassisch-galoppierendem Heavy Metal, verspielt-strengem Occult Rock, melancholischem Death-Doom der „Peaceville Three“-Phase mit einem guten Schuss schwarzmetallischer Pagan-Attitüde oder eben Progressive Rock der 70er Jahre schmeckt. Und dieser „Geschmack“ ändert sich ständig, mitunter innerhalb nur weniger Takte! Das Interesse des Quintetts liegt dabei jedoch stets dabei, so nah wie möglich an ihrem eigenen Verständnis der Verschmelzung all dieser Stilarten zu bleiben.

Progressivität zeigt sich dabei nicht so sehr in fein ziselierten Soli, sondern in sehr unkonventionellen Songaufbauten, die zwar seit dem Demo deutlich schlanker und konzentrierter wurden, jedoch immer noch kaum den üblichen Mustern um Strophe/Refrain/Bridge entsprechen. Nicht das Einhalten struktureller Vorgaben ist ihnen wichtig, sondern das Transportieren von Gefühlen, von Stimmungen sowie der Aufbau von Atmosphäre. Und diese wird bei den Analogfreaks zusätzlich noch durch Vintage-Equipment und seinen unverkennbaren Klang verstärkt.

Zumindest für mich hat die Platte, entsprechend der Dualitäten, mit denen die Band so gerne arbeitet, eine gefühlt eher weibliche sowie eine mehr männliche Seite – Yin und Yang. Gestartet wird mit Yin, ´Umbra´ begleitet die Transition, den Übergang in eine andere Welt, vor, und wir betreten mit Achillia und Amazon mit hocherhobenen Waffen die Arena der ´Queen(s) Of Swords´, wo es um Leben oder Tod geht. Schon bei diesem Track wird deutlich, wie wenig die Band auf übliche Hörgewohnheiten gibt – CRESTFALLEN QUEEN machen anspruchsvolle Musik, die man sich erarbeiten darf, genau so, wie die Musiker sich Mühe geben, sie abwechslungsreich zu halten. Langes, schwerfälliges Intro, abrupter Stimmungswechsel, galoppierende Rhythmen und dann – diese Stimme! E spielt hier ihre ganze majestätische Kraft und dramatische Pracht aus, von der verzweifelten Beschwörung bis hin zu wirklich dämonenhaft-brutalen Growls trägt sie den Mittelteil und lässt uns den Kampf der Gladiatorinnen fast am eigenen Leib miterleben. Mit einem Klick auf das Video ganz unten seid auch Ihr mittendrin statt nur dabei…

Nach diesem furiosen Einstieg folgt mit ´Eurydice´s Lullaby´ dann der absolute Gänsehaut-, ja bei mir sogar Tränenkandidat und persönliche Höhepunkt der Platte. Sage und schreibe über drei Minuten lauschen wir gebannt dem Dialog geisterhafter Synthieklänge (ebenfalls E) mit den beiden Gitarren (K und G), von denen uns die führende wortlos von großem Leid, Trauer, aber auch Hoffnung und Lebenswillen erzählt, bis dann die gesamte Band urplötzlich mit einsteigt in eine herzzerreißende Kraftballade, die sich zur Mitte des Songs wiederum verwandelt mit einer rhythmusgetriebenen Bridge weit oberhalb üblicher Doom-Geschwindigkeit, bei der vor allem auch die enorm vielseitige Rhythmusgruppe zeigt, was sie kann. Alles sammelt sich nochmals im gebremsten Tempo, nur um die Spannung wiederum zu steigern zu einem letzten Furienauftritt E’s, und einem sanften Ausklingen, bei dem sie ihre ganz zarte Seite zeigen kann. Wahnsinn! Falls jemand „Wechselbad der Gefühle“ vertont haben möchte – voilà!

Die eher männlich-düster geprägte B-Seite, das Yang, startet mit einem sehr rifforientierten klassischen Doomsong (´Ghost Warriors´) mit teilweise zweistimmigen Gitarren über vertrackten Rhythmen und einer überraschenden Wendung gegen Ende, und ´Lethean Bed´ setzt in punkto Heavyness und Doom-laden Riff, also extremer Langsamkeit und Schwermut nochmals deutlich einen drauf, was es zu noch weniger leichter konsumierbarer Kost macht. Beide Songs sind deutlich sperriger, dissonanter, weniger leicht zugänglich als die A-Seite, aber ich bin sicher, auch sie finden ihre Liebhaber…

 

Was für ein erstes Statement der Stuttgarter Truppe! Sozusagen ein „Wir können alles. Außer schlechte Debüts herausbringen.“ Für jeden, der Musik mit allen Sinnen erleben und tief eintauchen will in die menschliche Tragödie, die doch genauso süß wie bitter schmeckt und wo zu jedem Zeitpunkt Schmerz und Schönheit sich die Hand reichen, kann ich hier nur eine ganz klare Kaufempfehlung aussprechen.

 

„Wenn sie eine Schwert-Karte ziehen, geht es jeweils darum, dass sie für Klarheit und Aufklärung sorgen, für frischen Wind, gute Luft und langen Atem“ (J. Fiebig). Die Königin der Schwerter hilft uns allen, unsere Masken endlich fallen zu lassen, uns aufrichtig und wahrhaftig gegenüber zutreten, um die Herausforderungen unserer gemeinsamen Zukunft auf diesem wunderbaren Planeten gemeinsam in Angriff zu nehmen!

Under Thousand eyes of fire an ice
They’ve chosen solidarity
In certain face of joint destiny

 (8 Punkte)

 

https://crestfallenqueen.bandcamp.com/releases
https://www.facebook.com/CrestfallenQueen/


(VÖ: 25.05.2019)