Livehaftig

VELVET VIPER & MAYFAIR

~ 15. Februar 2019, Mannheim, 7er Club ~


Der 7er, die Mutter aller kuscheligen Locations, hat heute Abend ein ganz besonderes Bonbon zu bieten, bei dessen anfänglichem Lutschgenuss sich jedoch der ein oder andere traditionelle Metaller regelrecht verschluckt. Doch wer unsere gelben Seiten regelmäßiger verfolgt, wird nicht überrascht sein, dass speziell unsere verrückten Seelenstripper MAYFAIR eine genauere Sezierung erfordern. Unsere Herzensdame und Metalqueen Jutta Weinhold und ihre VELVET VIPER, die sich nach der letzten Häutung strahlender denn je präsentiert, sollte ein JEDER Struwwelpeter selbst gesehen haben, wenn am Ende des Jahres in Deutschlands Wohnzimmern auf wunderbare Weise die Tannen blühn‘.

 

 

Wie könnte man einen herzigen Konzertabend mit rockiger Musik besser beginnen, als im Burgerfachladen deines Vertrauens – dem KISS Imbiss, der Gene Simmons (hoffentlich) keine Tantiemen abtreten muss? Strasse paar Meter weiter tapsen, rein in die gute Stube, ein Bierchen und los geht’s:

Bei den Sympathieträgern aus unserem südlichen Nachbarland Österreich ist es schwieriger, Termine zu finden, um sich gemeinsam an ihren musikalischen Ausflügen ins innere Ich zu berauschen. Genau das macht diese Band so besonders: Die Intensität, mit der besonders Sänger Mario dich fordernd bannt, geht emotional voll auf die Zwölf.

 

 

Fast hypnotisch klebt der Blick an dem Frontmann, der – ebenso wie seine Freunde René (Gitarre), Jolly (Schlagzeug) und Medi (Bass) – mit seinen tiefgreifenden Texten und der Musik zu verschmelzen scheint. Seine fast flehende Bitte „Helft mir, dieses nächste Lied zu überstehen“ drückt dies sowie auch die herzenswarme Nähe zum Publikum gegen Ende des grandiosen Auftritts mehr als deutlich aus.

 

 

Doch nach dem Spiel ist vor dem Spiel, also alles auf Anfang. Heute starten MAYFAIR in harmonischem Einklang mit den Anwesenden im Gegensatz zu dem introvertierten, fast verstörenden und dennoch brillanten Beginn letztes Jahr in Frankfurt mit SUBSIGNAL, als Mario drei Songs lang mit Kapuze überm Kopf und Rücken zum Publikum eine ungewohnte Distanz und düstere Spannung aufbaute, bis er schließlich lächelnd die verdutzte Meute begrüßte, als ob nichts gewesen sei. Diesmal blitzt sogar mal MIDNIGHT OIL durch, bis ‚Ungetaktet‘ vom kommenden Album unvermindert hart auf Maul und Seele schlägt mit psychotischen Aggroausbrüchen.

 

 

EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN liegen in der Luft, die Trümmer wiegen schwer auf dem Unwissenden, die Anhänger geben sich vollends hin. ‚Madame Pest‘ fordert zum metallischen Ausdruckstanz mit Bangeinlagen auf und die Fans lassen sich nicht zweimal bitten. Intensiv. Abgedreht. INDEPENDENT. Wie gesagt, harte Kost für die Metaller(innen), welche hauptsächlich für die geistige Tochter des fliegenden Holländers angereist sind. Wo ist eigentlich schon wieder der Chef, wenn man ihn braucht? (Ups, vielleicht im 6er? – Anm. d. Red.) Die einzigartige Ausnahmestellung in Feld, Wald, Wiese und Flur untermauert auch der Oldie but Goldie ‚Advanced In Years‘, wenn er metalt , zerstört, wiederaufbaut, breakt, flowt und screamt – ein Meisterwerk eines Liedes.

 

 

Dann heißt es durchschnaufen – ‚Atme‘. Die Zeile „Ich kann euch sehen… schmeiss‘ mich an die Wand!“ erweckt unser tiefstes Mitgefühl, dem wir mit ‚Schlage mein Herz, schlage‘ in höchster Ehrerbietung und inniger Verbindung lautstark Ausdruck verleihen, bis uns ‚Drei Jahre zurück‘ endlich wieder in die gemeinschaftliche Isolation unter Freunden entlässt. Wow. Einfach nur WOW. Oder um es mit den Worten einer alten Szene-Ikone zu beschreiben, der später mit einem debilen Grinsen und MAYFAIR CDs in der Hand sprach: „Das war der krankeste Scheiß, den ich jemals gesehen habe – aber ich LIEBE es.“ Er hat wohl das Wort Avantgarde gesucht.

 

 

Was soll ich nun über VELVET VIPER, Jutta Weinhold und ihre fantastische, runderneuerte ‚Phoenix-aus-der-Asche-Band‘ noch sagen, was nicht bereits JEDER weiß oder erahnen kann? Eine der sympathischsten und begnadetsten Künstlerinnen, die ich jemals treffen durfte, setzt erneut die Segel, lässt den fliegenden Holländer hinter sich und erbaut nach ihrem eigenen ‚Law Of Rock‘ ihr neues, mächtiges ‚Shadow Ryche‘.

 

 

Ein Lied für die Ewigkeit und weit darüber hinaus. Der grandiose neue Opus ‚Respice Finem‘ wird heute mit Recht fast ganz dargeboten, diesen Mut hatten in meiner Erinnerung zuletzt URIAH HEEP vor etwa einer Dekade nach ihrem damaligen Comeback-Meisterwerk ‚Wake The Sleeper‘. Diese ehrlich gelebte Fan-Nähe, für die Jutta mit Haut und laaaaangen Haaren steht, erlebt man sonst nur bei SVBWAY TO SALLY, wenn Fish sein Publikum inbrünstig mit „HALLO FREUNDE!“ begrüßt.

 

 

Ebenso ist VELVET VIPER eine Herzensangelegenheit, der Auftritt ein erquickender Quell der Verbundenheit zwischen Künstlern und Fans. Ihre Liebe zu Fantasy als auch Wagner´schem Kulturgut spiegelt sich in ‚Merlin‘ und ‚Loherangrin-Lohengrin‘.

 

 

Natürlich darf ‚Zed Yago‘ und die von der Menge mitskandierte Kulthymne ‚Black Bone Song‘ niemals nicht fehlen. Darum lasse ich die Bilder sprechen und zehre noch lange von einem Abend der ungewöhnlichen Konstellation von großer, unterschiedlicher Kunst.

 

Vier von der Streetclip-Tanke