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RITUAL – Trials Of Torment

~ 1993/2019 (Pure Steel/Soulfood) – Stil: US-Power Metal ~


Jaja, die Neunziger, als der Metal angeblich das Zeitliche gesegnet hat und er für tot erklärt wurde. Ganz im Gegenteil, denn Anfang des damaligen Jahrzehnts schwappte eine zweite Welle von US-Power Metal-Bands über den großen Teich nach Europa, die das Erbe von Formationen wie SANCTUARY, VICIOUS RUMORS oder LIEGE LORD antraten. Dabei erblickten viele tolle Alben das Licht der Welt, wenngleich, meiner bescheidenen Ansicht nach, keines den Klassikern aus den goldenen Achtzigern das Wasser reichen konnte. Dazu zählt auch RITUALs ‚Trials Of Torment‘, das hier jetzt eine Wiederveröffentlichung erfährt.

Zur musikalischen Einordnung würde ich am ehesten Gruppen wie ganz frühe QUEENSRYCHE oder LETHAL als Vergleich heranziehen, da auch RITUAL zwischen beinhartem US-Power Metal und verspielten progressiven Klängen variieren – und das sehr gekonnt und auf einem hohen Niveau. Dezente Ausflüge in thrashigere Gefilde sind ebenfalls auszumachen, womit die Zielgruppe also schon einmal definiert wäre. Und diese darf sich dann diebisch auf Gourmetkost wie den Opener ‚She Rides The Sky‘, der alle eben beschriebenen Elemente souverän vereint, ‚Espionage‘ (nicht nur textlich, sondern auch musikalisch ein echter „Spionage-Thriller“, der mit vielen großartigen Breaks zu begeistern weiss), das leicht groovige ‚In The Dungeon‘, den proggigen Metaller ‚Pain Of It All‘ oder den amtlichen Nackenbrecher ‚Obscured By Twilight‘ freuen. Ich bin entzückt, und könnte eigentlich jeden einzelnen Titel als Referenz heranziehen, da es keinerlei Ausfälle zu verzeichnen gibt und sich alle elf Komposition auf einem gleichermaßen, hohen Level bewegen!

Echte Ohrwürmer, die einem auf ewig im Gedächtnis bleiben und die man ständig vor sich hersummt, sind allerdings Mangelware und auch beim Gesang von Juan Ricardo muss man phasenweise leichte Abstriche machen. Vor allen Dingen in ganz hohen Sphären gibt der Sangesakrobat manchmal eine nicht ganz so astreine Vorstellung ab – aber Schwamm drüber, denn im Großen und Ganzen kann der Mann mit seiner hervorragenden Stimme durchaus punkten. Der Rhythmusteppich, vorgetragen von Viersaiter Jack Kilcoyne und Schlagwerker Emery Ceo, bereitet den zwei Gitarristen Bob Allertorn und Mike Ruz eine starke Plattform für ihre ausufernden Gitarrenduelle und zementiert das stabile Fundament von ‚Trials Of Torment‘.

Auch wenn es (noch) nicht ganz zum Eintritt in die „Hall Of Fame“ reicht, rütteln RITUAL mit ‚Trials Of Torment‘ aber gewaltig an deren Pforten und stehen kurz vor der Aufnahme in Selbige. Es fehlt nur noch ein klein wenig und in ein paar Jahren sieht das vielleicht schon ganz anders aus. Auf Eure Unterstützung kommt es an!!! Und für Freunde, die dieses Schmankerl bereits Ihr Eigen nennen können, gibt es neben der runderneuerten Aufmachung des Albums mit ‚Beyond The Sea‘ und der Liveadaption von ‚The Forgotten‘ zwei Bonustracks als zusätzlichen Kaufanreiz. Zugreifen!!!

(8,5 Punkte)

Armin Schäfer

 

1993

 

2019

 

Entschuldigung, ich muss jedem Zweifel und jeder Infragestellung gleich zu Beginn vehement widersprechen und den Wind aus den Segeln nehmen – denn diese Musikstunde gleicht einem Orkan: RITUAL aus Cleveland, Ohio, sind mit das Beste, was dem Heavy Metal in all seinen Jahren widerfahren ist. 

1985 unter dem Namen FIREDANCE gegründet, folgte 1988 die Umbenennung zu TORMENT. Bereits hier wurden drei Demos veröffentlicht, von denen vor allem das letzte mit Sänger Juan Ricardo herausragt. Es enthielt bereits solche Fabelsongs, die nur noch professionell auf den einst neumodischen Silberlingen oder dem bewährten Vinyl herausgebracht werden mussten. 

Clevelands finest änderten ihren Namen zu RITUAL und brachten 1993 unter diesem ihr Debüt ‚Trials Of Torment‘ auf den Markt. Gerade in diesen Zeiten wurden nochmals viele Demos von den Labels eins zu eins übernommen – weil sie bereits gut und ausgereift waren. Insbesondere auf dem einstigen Plattenlabel von RITUAL erschienen 1993 neben ‚Trials Of Torment‘ Alben von WINTERS BANE, PRODIGY und ATTIKA, die ebenfalls das vorhergehende Demo nochmals aufleben ließen. 

Dem US-amerikanischen Underground erwuchs zu jener Zeit nochmals eine Blüte. Doch die Begeisterung fiel nicht überall auf fruchtbaren Boden. 1995 änderte die Formation erneut ihren Namen zu RITUAL OF TORMENT. Doch 1993 schien die Welt noch in Ordnung, RITUAL präsentierten sich in Weltklasseform. 

Das Quintett verstand es, die Gewalt des Thrash Metal in den Speed Metal zu integrieren. Das ist klassischer Power Metal, der seinen Namen noch verdient. Sie waren die Band, die wohl die spannendste Rhythmus-Arbeit, mindestens dieses seligen Jahres ablieferte. Jack Kilcoyne und Emery Ceo waren die Rhythmus-Götter der Stunde. RITUAL waren der Stern, den ein mehr als außergewöhnlicher Sänger zum Leuchten brachte. Juan Ricardo war und ist der Traum eines jeden US Metal-Aficionados.

Der Demo-Kracher ‚She Rides The Sky‘ eröffnet wuchtig dieses Meisterwerk. Doch die Thrash-Gewalt wird von rasenden Gitarrenläufen aus den Händen der Herren Bob Allertorn und Mike Ruzsbanszki abgelöst. Dann setzt Juan Ricardo ein und singt: „Close your eyes.“ Zu dieser Sternstunde dürfen auch die Augen, für den puren Genuss über die Ohren, geschlossen werden. Der Break-durchsetzte Song-Ablauf gewährt jedoch keiner Seele Ruhe. Ein Gewitter setzt ein, über dem Ricardo lächelnd wie ein Engel mit Pferdefuß singt. Zum nächsten Glanzstück ‚Espionage‘ pushen die Instrumentalisten auch das Adrenalin in die Höhe, schenken mit Juan Ricardo Blut als Wein aus. Schreiend stürzt sich der Gesang in den aufgedrehten Riff-Donner von ‚Addicted To Fear‘, der sich, einem Tornado gleich, in die Höhe schraubt. Alle Aufgekratztheit von ‚The Forgotten‘ und ‚Obscured By Twilight‘ ist mitnichten kopflos und desorientiert. Schleppende Anwandlungen treiben hingegen andere Kompositionen wie ‚Where I Belong‘ sowie ‚In The Dungeon‘ voran und entledigen sich dieser im famosen ‚Pain Of It All’ oder im finalen ‚City Of The Dead‘ über kurz oder lang. Interessant bleiben allzeit nicht nur die vermehrt in kleinen Gesangspausen eingestreuten Gitarrenvirtuositäten, das gesamte Werk ist ein leidenschaftlich musikalischer Hochgenuss.

RITUAL sind seit dem 1991er 10-Punkte-TORMENT-Demo ‚Relapse Of Aggression‘, das die Hälfte der Songs für ‚Trials Of Torment‘ bereithielt, bereits in der „Hall Of Fame“ angekommen. Aus dem Herzen sind sie seit 1993 nicht mehr wegzudenken.

(9 Punkte)

Michael Haifl


(VÖ: 15.03.2019)