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SHERPA – Tanzlinde

~ 2016 (Sulatron Records) – Stil: Rock ~


Dies ist das 2016er Debüt der italienischen Band SHERPA, die just 2018 ihr Zweitwerk auf den Markt brachte. Genau wie bei ASTRAL SON liegt mir der Vorgänger im Player, da er mir erst jetzt so richtig untergekommen ist. Aber lieber zwei Jahre später als gar nicht.

Und auch hier kann man von gelungener Musik sprechen. Ruhige, meditative Musik, progressiver Folkrock mit psychedelischen Elementen, die auch vor fernöstlichen Melodien und dezent mittelalterlichen Harmonien nicht Halt macht. Musik, die zwar schon irgendwo einmal dagewesen sein mag, wie die meiste andere Musik auch, die aber in ihrer Güte den Mainstream ganz alt aussehen lässt.

Auch hier kann man wieder diverse Vorbilder ausmachen, die aber nicht ganz offensichtlich sind und gerne im Rausch der psychedelischen Farbenexplosion, ausgelöst durch die intensiv gespielten Melodien und Rhythmen, verschwimmen. Den Songs hängt ein traumhafter Zauber an, sie erschaffen eine fast schon paradiesisch-friedvolle Stimmung. Gespielt werden sie mit einer absoluten Sicherheit der Instrumentalisten. Man merkt, die Band steckt viel Zeit und Energie in ihre Stücke, lebt sie, liebt sie, verinnerlicht sie, wird eins mit ihnen. Das macht solche Musik aus. Ich höre Songs, die einen Geborgenheit vermittelnden Hauch von 60s Folk im Rockgewand verströmen, aber das mit einer eher europäischen Eleganz, als würde man in den Weiten der Toscana durch blühende Gärten und goldene Kornfelder ziehen, immer der liebevoll auf einen hinunterscheinenden Sonne entgegen. Britischer Acidprog schleicht sich da auch noch mit ein und nimmt Dich an die Hand, für einen Flug über den Ärmelkanal, wo man punktgenau beim Happening in Stonehenge landet. Die Rhythmen haben dann zuweilen einen orientalischen Ausdruck, ebenso manche Melodien. Der klangliche Mix der Rhythmen deutet in solchen Momenten oft auf eine moderne Produktion von 2016 hin, womit wieder der Bezug zur Gegenwart hergestellt wird.

Diese Musik ist einfach betörend, schwer zu sagen, welche Farben sie mir in meine Seele zaubert, aber es sind viele herbstliche Brauntöne darin und es ist im Grunde ja wie gesagt eine rauschhafte Eruption der Farben. Die Musik lädt zum Tanzen ein, zur totalen Hingabe. Das hat eine hippieske Kante, aber die Ausführung ist einfach sehr perfekt. Kein aus den Bahnen geratenes Klappern und Klötern von Percussioninstrumenten, sondern punktgenau sitzende Beats und Melodien, die einen aber tief in die eigene Seele reinziehen, so hypnotisch wirken sie. Ein traumhafter Trip, eine Reise durch eine wunderschöne, friedvolle Welt mit urigen Geschöpfen, die in gewaltigen alten Bäumen wohnen. Wirklich Prog ist das hier nicht, denke ich, mehr Psychedelic, mehr Folkrock. Verspielt ist es, vielschichtig auch, aber die psychedelische Komponente, die Dich wegdriften lässt und deine Sinne erweitert, überwiegt hier gewaltig. Schöne Gitarrenleads, verhallte, fast geisterhafte Gesänge, Echos, SHERPA bringen die gesamte Bandbreite psychedelischer Musik befreit vom Pop auf diesem Album.

Ich ziehe meinen Hut vor ihnen, weil sie nebenher noch die Kernkompetenz einer musikschaffenden Band beherrschen, den Song an sich. Die Stücke sind voneinander zu unterscheiden, sie sind nach einer Weile einprägsam. Klar, dieses Album schreit nach wiederholten Durchläufen und die gewährt man ihm gerne. Aktuelle Vergleichsband ist für mich die US Wüstenrockkapelle THE MYRRORS, aber die ganze psychedelische Musik der 60er und 70er spielt eine große Rolle in der musikalischen Sozialisierung SHERPAS.

Großes Kopfkino, Breitwandmusik mit enormer Tiefe, tolle Songs, wunderbar interpretiert von echten Könnern, das gibt eine satte 9 für einen grandiosen Release auf SULATRON Records, die immer ein gutes Händchen für tolle Bands haben, ganz gleich wen sie da unter Vertrag nehmen. SHERPA machen auf alle Fälle süchtig. Punkt!