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DESPERADO – Haltet aus! Desperado Kommt… Live!

~ 1978/2018 (Sireena) – Stil: Rock ~


DESPERADO sind eine weitere Seite im Buch des Seventies-Rock, die der Allgemeinheit 40 Jahre später zur Überraschung erneut aufgeschlagen wird.

1975 beginnt die musikalische Liaison zwischen dem Hamburger Schlagzeuger Michael „Mick“ Kessler und dem Gitarristen Reinhold Goosen. Als weiterer Gitarrist stößt Carlo Karges (ex-NOVALIS, ex-TOMORROW‘S GIFT) zur Band. Trotz wechselnder Bass-Besetzung spielen DESPERADO allein im ersten Jahr 90 Konzerte. Die Aufnahmen eines der Konzerte soll schließlich als Live-LP veröffentlicht werden, doch alle interessierten Plattenfirmen plädieren für eine Neueinspielung der Songs im Studio. Die Band winkt ab.

1977 zieht die Gruppe in den Odenwald, unterhält weiter gute Kontakte zu GURU GURU, kann deren ehemaligen Bassisten Bruno Schaab als neues Bandmitglied begrüßen und nimmt weiteres Material während einer Tournee mit GURU GURU auf. Da eine interessierte Plattenfirma weiter auf Studioaufnahmen pocht, veröffentlichen DESPERADO ihre Liveplatte als Debüt auf dem eigenen Label „Heiße Rillen“. Freunde helfen bei der Finanzierung der 2.000er Auflage, das war Crowdfunding 1977. Das Album kommt letztlich sehr gut an und die Band darf umsonst im Studio des GURU GURU-Gitarristen Ax Genrich weitere Demo-Aufnahmen produzieren, doch die DESPERADOs stehen urplötzlich vor dem Aus. Schlagzeuger Mick wird von einem Junkie mit Haschisch in eine Polizeifalle gelockt und landet für 18 Monate ohne Bewährung im Gefängnis. 

2018 hat nur die Rhythmusgruppe überlebt. Carlo stirbt 2002 an Leberversagen, hatte aber ein Leben als Komponist und Gitarrist bei NENA genossen, Reinhold im Jahr 2013. Dank ´Sireena´-Records erscheint das Vermächtnis von DESPERADO unter dem Titel ´Haltet aus! Desperado Kommt… Live!´. Es beinhaltet die Live-Aufnahmen aus 1977, in München, Cuxhaven und Dietersheim aufgezeichnet, sowie die Demo-Songs aus 1978.

DESPERADO spielten einen harten Rock, der teilweise den Hardrock mitnahm. Krautrock konnte dies allein in den Siebzigern genannt werden. Die deutschen Texte bildeten eine wunderbare Einheit mit den gerne psychedelisch und mit Wah-Wahs ausgeprägten Kompositionen – über den Desperado, der sein Heil in El Dorado sucht, über Acid-Mary, die von einem Bandmitglied während eines ausgiebigen Solos ihres Freundes, dem Gitarristen, hinter der Bühne vernascht wird oder über einen Wehrdienstverweigerer. Wer damals dabei war, kann sich mit diesem Zeitzeugnis nochmals erinnern, wer zu jung ist, darf sich mit DESPERADO in die wilden Siebziger zurückbegeben.