Redebedarf

Gibt es ein (Über-)Leben ohne Live-Konzerte?

life after death – life without concerts?


Eine der letzten Einnahmequellen für junge, aufstrebende Musikgruppen steht schon lange vor dem Aus. Nachdem sich die Major-Plattenlabels über die Jahrzehnte hinweg verzockt haben, heutzutage die letzten Pfründe an Langspielplatten und CDs verspielen, bleibt den Menschen, die diese Musik komponieren und aufnehmen, nur noch ein Bruchteil an Einnahmen aus Streaming-Diensten und Downloads übrig.

Ein geringer Vorteil bleibt noch im direkten Kontakt gegenüber den Anhängern, den Käufern, ohne die heutzutage lästige Plattenfirma dazwischen, über Direktverkäufe via Bandcamp, Homepage oder vorab als Crowfunding-Aktion. Daher sind Einkünfte aus Merchandising und Live-Auftritten eine weitere wichtige, lebensnotwendige Einnahmequelle für das Überleben.

Doch seit den Achtzigern grassiert vielfach nicht nur in den USA die Geschäftsidee «Pay to play», Clubs und Konzertveranstalter bitten die Vorbands um Abnahme eines Ticket-Kontingents oder um Zahlung eines gewissen Barbetrags. Auch die Bereitstellung von Gratis-Bier und Essen scheint sich auf dem Rückzug zu befinden. Und auf Festivals werden die Bands, bis auf den Headliner, ausgesaugt.



Wir haben uns mit Jochen Mayer, Inhaber der „VIER Saiten – Agentur“ und Veranstalter des „Delta METAL Meeting“, über die Problematik heutiger Live-Events unterhalten und auch einen Musiker interviewt, der aus verständlichen Gründen anonym bleiben mag.

Jochen, Du hast vor kurzem das „Delta METAL Meeting“ an den Start gebracht und betreibst auch mit der „VIER Saiten – Agentur“ einen Veranstalter-Service, bist also schon länger hautnah im Business unterwegs. Kannst Du uns von Deinen Erfahrungen – über die Jahre hinweg – bezüglich der Entwicklung im Konzert-Sektor berichten?

So sehr ich es hasse, jemand zu sein, der nostalgisch in die Vergangenheit blickt, kann man es (und diesbezüglich geben mir auch viele meiner Kollegen recht) wirklich nur so sagen: Früher war alles besser, weil einfacher. Die Kosten und der Aufwand für die örtlichen Show-Veranstalter sind heutzutage wesentlich höher, mehr als früher. Versteh’ mich nicht falsch, ich würde mich niemals über meinen Job beschweren, aber seit einigen Jahren gilt es NOCH MEHR darauf zu achten, welche Shows man macht und bei welchen man passt. Sehr schwierig, wenn man auch noch Fan ist … 😉

Werden bei Euch auf den Veranstaltungen alle Gruppen gleich behandelt, oder gibt es da auch frappierende Unterschiede?

Meine Kollegen und Kooperationspartner verstehen sich – ganz in traditioneller Ausrichtung – als Gastgeber bei jeder Veranstaltung. Gastgeber einer Party für Bands und Zuschauer, bei der beide Gruppen das Recht haben, bestens behandelt zu werden. Insofern: Nein! Jeder Musiker, der bei uns zu Gast ist, muss sich auch – in einem vernünftigen Rahmen – wohl fühlen. Sonderwünsche inklusive!

Aber «Pay to play» gibt es bei Euch nicht?

Nein, natürlich nicht! Support-Slots sind heutzutage für Newcomer nahezu die einzige Möglichkeit, sich in einem vernünftigen, professionellen Umfeld vor vielen Zuschauern zu präsentieren. Dafür dürfen sie nicht zahlen müssen!

Aber (und das geht raus an alle Newcomer-Bands) persönlich kann ich anmerken: Bands, die mit ihrer Performance zu einem gelungenen Gesamtprogramm beitragen und sich – ihrem Status entsprechend – zu benehmen wissen, werden immer den Vorzug erhalten.

Dennoch existiert das Problem. Wie sollen die Bands, beim Wegfall einer der letzten Einnahmequellen aus Konzerten, noch überleben, meinst Du, es können sich bald neue Möglichkeiten zur Einnahmeerzielung erschließen?

Gute Songs, überzeugende, glaubhafte und energetische Liveshows und unermüdliche, clevere PR werden sich durchsetzen. Auf lange Sicht, auch als Einnahmequelle dienen.

Wie hat sich zudem das Drumherum bei den Konzerten und Festivals aus Deiner Sicht über die Jahre hinweg verändert?

Karneval! Kirmes! Jahresurlaub! Superlative! Kaum noch bezahlbar! Ergo: Gegenbewegung mit dem „Delta METAL Meeting – Mannheim 2019“ (www.deltametalmeeting.de)

 



Thomas (Name von der Redaktion geändert), Du bist schon seit vielen Jahren mit Deiner Band, einer deutschen Progressiv Rock-Band mit internationaler Anhängerschaft, im Business unterwegs. Was sind – über die Jahrzehnte hinweg – Deine Erfahrungen bezüglich der Entwicklungen im Konzert-Sektor?

Du hast die Situation anfangs schon ganz passend beschrieben. Viel bleibt eben meistens für uns nicht übrig, außer der erhofften Gegenfinanzierung der Ausgaben, die bei der Musikproduktion und bei Livekonzerten entstehen. Der Beruf des Musikers beschreibt mittlerweile eigentlich weitgehend eine semi-professionelle Tätigkeit, von wenigen Ausnahmen und den Mega-Acts mal abgesehen. Da geht die Schere extrem auseinander. Im Prog-Bereich finanzieren sich fast alle, auch viele vermeintlich größere Bands, ihre Gigs aus ihren tatsächlichen Berufstätigkeiten und kombinieren beispielsweise eine Tour mit ihrem Jahresurlaub. Absurd ist zudem, dass du von Covermusik und Tributebands in der Regel finanziell besser lebst als von selbstkomponierter Musik.

Muss sich mittlerweile jede Gruppe, sofern sie nicht selbst der Headliner ist, als Vorband einkaufen?

Das wird immer häufiger zur Regel, außer der Veranstalter hat bei Einzelkonzerten ein Eigeninteresse, z.B. eine lokale Band mit hinzu zu nehmen und sich mehr Publikum zu sichern. Wenn du keine besonderen Beziehungen hast und im Progbereich mit Bands spielen willst, die 500 Leute oder mehr zum Konzert ziehen, kannst du pro Auftritt mit mindestens 500 bis 1.000 Euro Vorband-Gebühr rechnen. So ein „Einkaufen“ geschieht mittlerweile auch bei vielen Festivals. Oftmals wird bezahlt, aber für mich persönlich fängt das Problem bereits an dem Punkt an, wo auch bei weiten Anfahrten auf Gage und Verpflegung verzichtet wird, um sich um jeden Preis einen Gig zu sichern. Das ist eine Art von Lohndumping, die eine Billig-Konkurrenz unter den Musikern verbreitet, wie man sie – hart gesagt – sonst nur auf dem Bau kennt.

Wie hat das sich das Drumherum bei den Konzerten über die Jahre hinweg verändert? Wie stellt sich denn die Möglichkeit dar, selbst Konzerte zu realisieren?

Grundsätzlich ist das natürlich möglich, aber erstens hast du dann die Fix- und Betriebskosten zu tragen, die ansonsten beim Veranstalter liegen, und vor allen Dingen jede Menge Verwaltung von GEMA bis hin zur Security. Die Reglementierungen haben immer weiter zugenommen und die Veranstalter haben ihre Routineabläufe, die du dir erst erarbeiten musst. Viele Bands scheuen das, denn es kostet Unmengen an Energie neben dem was du noch tun musst (zwischendurch mal Musik machen). Und wenn dann noch die Halle halb leer bleibt…

… dann vielleicht Festivals in Eigenregie?

Sicher geht das auch. Allerdings gilt das eben Gesagte, außer dass sich das Risiko, die Energie und die Kosten auf mehrere Schultern verteilen lassen. Der angenehmste Fall ist jener Veranstalter, der kommunal kulturell gefördert wird und den Bands den Unkostenbetrag auch mal um zehn Euro aufrunden kann, selbst wenn nicht genug Leute da waren, weil er ein (wenn auch meist viel zu kleines) Budget hat.

Du bist ja mit Deiner Band auch auf einem berühmten Prog-Festival im Südwesten der Republik zu Gast gewesen. Wie sah denn dort die Entlohnung und die Unterkunft & Verpflegung aus?

Na ja, Essen war vorhanden, aber die Meal-Tickets waren knapp rationiert und es wurde auch genau hingesehen, ob du den Teller zu voll hattest. Meine persönliche Meinung: Angesichts der Zahl von mehreren tausend Zuschauern ist sowas völlig unangebracht. Gage gibt es dort sowieso nur für den Headliner und auch die Unterkunft musst du dir als Band selbst suchen und bezahlen. Aber das wirklich Peinliche ist, dass du das Eintrittsticket als Musiker dort selbst kaufen musst – für die beiden Tage, an denen deine eigene Band nicht auf der Bühne steht. Das schreit zum Himmel, aber es beschreibt die aktuellen Verhältnisse ganz treffend und vor allem sinnbildlich.

Gibt es auch Festivals die Gagen versprechen?

Ja, die gibt es. Meist steckt dann aber eine kommunale Förderung dahinter. Ich habe das auch im Ausland mehrmals erlebt. Allerdings werden diese überschaubaren Gagen, die eigentlich eher als Entschädigung für die Band dienen, in der Regel schon von den Fahrtkosten und der Miete für einen kleinen „Bandbus“ geschluckt. Tatsächlich kommt es aber leider auch vor, dass Gagen nicht oder nur halb gezahlt werden.

Aber werden denn die Gagen nicht im Vorfeld schriftlich fixiert?

Sollte man tun. Aber ich habe auch erlebt, dass trotz Vertrag nicht gezahlt wurde. Da gibt es Fälle, von denen auch jeder einschlägige Musiker weiß, beispielsweise eine Kult-Location im östlichsten Ostdeutschland. Aber solange die Bands selbst untereinander unsolidarisch sind und lieber unbezahlte Gigs und Unkosten mitnehmen als so etwas zu boykottieren, sitzen die Veranstalter am längeren Hebel. Da fehlen uns die Flächentarifverträge, aber, wie gesagt, auch die Solidarität und die Einsicht, dass man gemeinsam mehr erreichen kann als gegeneinander. Oftmals werden solche Betrügereien aber auch gar nicht erst öffentlich gemacht, um sich die Chance auf spätere Gigs nicht zu verbauen, und viele Bands betrachten Konzerte ja sowieso als Zuschußveranstaltungen, die sie durch ihre herkömmlichen Berufe mitfinanzieren, weil sie ja gern spielen wollen. Das ist dann faktisch ein nicht ganz billiges Hobby, das du in deiner Freizeit betreibst. Leider ist das alles ein sehr unrühmlicher Teil des Business. Mit etwas Glück und guter Performance verkaufst du dann beim Gig noch etwas Merch oder ein paar CDs, aber wie es in diesem Bereich aussieht, hast du ja zu Beginn schon richtig beschrieben. Zudem nehmen viele Veranstalter mittlerweile einen prozentualen Anteil vom Verkauf am Merchstand. Ich habe da bis zu 25%  Abschlag und Mindest-Sockelbeträge erlebt.

Und gibt es auch solche, die die versprochene Entlohnung zahlen und welche Hoffnungen hegst Du noch bei dieser Entwicklung?

Sicher gibt es die, und in den Fällen, in denen Absprachen oder Verträge bestehen, ist das auch die überwiegende Mehrzahl. Ich persönlich hoffe vor allem, dass auch bei den Fans das Bewusstsein wächst, wie wichtig jeder einzelne von ihnen geworden ist. Auch als aktiver Konzertbesucher. Du kannst über soziale Netzwerke da natürlich viel tun, denn es geht nichts über den Druck, den eine Fancommunity bei Veranstaltern ausüben kann. Und das funktioniert dann auch plötzlich, denn es geht für den Veranstalter ja letztlich um den Gewinn, der durch Angebot und Nachfrage entsteht, und kommen die Leute für dich aus dem Sofa hoch, dann wird sich auch der Veranstalter dir gegenüber nett verhalten. Im Zweifel finanzierst du dir erst mal jahrelang die Gigs mit der Hoffnung, dass deine Fans dich dann irgendwann zum Headliner machen. Es ist wie fast überall – wenn du bereits ausreichend Erfolg hast, wirst du auch vernünftig entlohnt.

Und wie können Bands beim Wegfall einer der letzten Einnahmequellen noch überleben?

Mein Tipp ist, den Kontakt zu den Fans so eng wie möglich zu halten. Vorteilhaft an der aktuellen Situation ist natürlich, dass du dir viel Zwischenhandel und Distributionskosten ersparen kannst wenn du alles selbst regelst und verkaufst. Viele Bands – auch wir selbst – betreiben daher einen eigenen Onlineshop und das kann finanziell ziemlich lukrativ sein, sofern deine Fangruppe groß genug und auch bereit ist, nicht nur mit eingepreisten Zusatzgebühren bei Amazon zu kaufen, sondern sich einen Account auf deiner eigenen Seite zu erstellen. Aber das ist natürlich alles auch wieder viel zusätzlich Arbeit, für die man jede Menge Zeit investieren muss. Und eigentlich willst du ja nur mal endlich zurück an die Gitarre, das Mikro oder den Bass…

Können sich neue Möglichkeiten zur Einnahmeerzielung erschließen?

Sicherlich. Manche Bands gehen z.B. auch digital eigene Wege und verkaufen auf Plattformen wie  Bandcamp T-Shirts, Hosen oder Pudelmützen mit ihrem Logo drauf. Aber im Ernst, ausgelöst durch den völlig veränderten Markt muss man flexibel werden. Aufgrund der veränderten Künstler-Fan-Beziehung bieten einige Bands mittlerweile sogar Wohnzimmerkonzerte an. Und das ist gar nicht ironisch gemeint, sondern klein, schnell, gut handhabbar und es lässt sich etwas verdienen, weil die Fans selbst zahlen. Und da kannst du in solchen Fällen auch davon ausgehen, dass du von Privatleuten vernünftig behandelt wirst, weil du für sie im Unterschied zu vielen Veranstaltern tatsächlich mehr bist als eine Rechengröße oder Anzahl verkaufter Tickets.

 



Neben alledem brauen sich am Firmament des Konzert-Sektors weitere graue Wolken zusammen, die es in Zukunft für Veranstalter sowie kleinere Künstler und Bands ungemein schwer machen wird: „Ticketmaster“, der große „Eventim“-Konkurrent im Online-Ticketmarkt aus Übersee, drängt auf den europäischen Markt.

Grundsätzlich belebt Konkurrenz das Geschäft, doch „Ticketmaster“, einer der größten Ticketverkäufer weltweit, gehört zu einem großen Konzern, zum US-amerikanischen Medienunternehmen „Live Nation Entertainment“. Und „Live Nation Entertainment“ ist mittlerweile Besitzer und Betreiber hunderter Veranstaltungsorte und drängt mit diesem Geschäftsgebaren auf den europäischen Live-Markt. Außerdem bestehen mehr und mehr Verträge mit Veranstaltern und sogar Künstlern und Bands, die in dieser wachsenden Monopolstellung immer höhere Gagen einfordern können. Das sind selbstverständlich die großen Namen im Business, die noch mehr einnehmen werden. Und ihr wundert euch, weshalb mancherorts die Ticketpreise in utopische Regionen vorstoßen. 

Ein Veranstaltungsort aus diesem Konzerngeflecht wird in Zukunft kleinen Gruppen und Künstlern die Gagen vordiktieren und die Abgaben aus Merchandise- und CD-Verkäufen in die Höhe treiben, die Bands dann akzeptieren müssen oder sich von Auftritten an solchen Orten verabschieden können. Dass die Künstler selbst, aus diesem Konzern, andererseits für unabhängige Veranstalter bald unerschwinglich werden könnten, ist ein weiterer Dolchstoß in den freien und unabhängigen Live-Sektor.

Die Entwicklung bei Konzert- und Festival-Veranstaltungen schreitet also unaufhörlich voran, gerade für finanzschwache, kleine und aufstrebende Künstler nicht von Vorteil. Dabei sollten Live-Auftritte bei Künstlern eigentlich für das nötige Kleingeld im Portemonnaie, für den Fortbestand des Musiker-Daseins sorgen …