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ALICE IN CHAINS – Rainier Fog

~ 2018 (BMG) – Stil: Rock ~


 

23.08.2018

Sie gehören zu den ganz Großen der 1990er. Sie haben 1992 mit dem Mega-Seller ´Dirt´ den Alternative Metal (wer´s anders hören will: Grunge) zutiefst geprägt. Sie haben sich nach dem Tod ihres charismatischen Sängers Layne Staley 2002 eine Zeit in Seattles Häuserschluchten versteckt – sind aber sieben Jahre später unerwartet und famos mit ´Black Gives Way To Blue´ zurückgekehrt. Das Folgewerk ´The Devil Put Dinosaurs Here´ war 2013 ebenfalls ein kleiner Erfolg.

´Rainier Fog´ ist dies auch, zumindest ein Achtungserfolg. Nicht mehr, nicht weniger. Ausnahme-Hits wie ´Them Bones´, ´Damn That River´ oder sehr ergreifende Dramen wie ´Down In A Hole´ sind wohl nicht mehr drin. Gleichwohl gelingt ihnen auch 2018 Solides wie der One-Riff-Rocker ´The One You Know´ oder die schön-schaurige Ballade ´Fly´. Für dieses Craftsmanship lieben wir die Jungs einfach. Oder der bluesige Sludger ´Drone´: fettes Riff, dann getragene Akustik-Linien. Das ist Jerry Cantrell, wie er leibt und lebt. Kaum ein Gitarrist hat dieses Gespür für Moll und Schönheit zugleich.

Dass die Gruppe ihren sechsten Longplayer unter anderem mit dem auch bereits im eigenen Klangkosmos bewährten Starproduzenten Nick Raskulinecz (arbeitete beispielsweise für die FOO FIGHTERS und QUEENS OF THE STONE AGE) realisiert hat, rundet diesen rund 55-minütigen Arbeitssieg nur ab.

(7,5 Punkte)

Johannes Zenner

 

 

18.09.2018

Grunge muss wohl als der populärste Musikstil des Rock in den 1990er Jahren bezeichnet werden. Punk, Rock, Heavy Metal – vieles brodelte aus den tiefsten Kellern um den Knotenpunkt Seattle ans Tageslicht.  Als Hype war diese Musik um anfangs einige wenige Bands verschrien, um Musikgruppen, die ihren Lebensstil und ihre Niedergeschlagenheit in Musik und im schlichten äußeren Auftreten umsetzten. Grunge war anfänglich vielmehr ein Lebensgefühl, und keine ausgewogene musikalische Stilistik, die einen Vergleich zwischen den äußerst unterschiedlichen und berühmt gewordenen Protagonisten zuließ. Die Auswüchse wirken gleichwohl bis heute nach.

ALICE IN CHAINS gehören mit NIRVANA, SOUNDGARDEN und PEARL JAM zu den Big Four des Genres und neben PEARL JAM zu den letzten Überlebenden ihrer Art. ´Rainier Fog´ ist mittlerweile das dritte Album seit dem Comeback 2009 und offiziellen Einstieg von Sänger William DuVall. Die 14-jährige Studiopause hatte dem verbliebenen Hauptsongwriter Jerry Cantrell, nach dem Tod von Layne Staley, gut getan. 2018 verblasst hingegen der Ruhm des Grunge immer mehr. Eine alles über Bord werfende Veränderung in der wohlbekannten Stilistik wäre für die Anhänger nicht hinnehmbar, ein ausschließliches Beharren an den altbekannten Werten dürfte in die Bedeutungslosigkeit führen. Selbst für ALICE IN CHAINS bleibt der goldene Mittelweg als einzige Optionsmöglichkeit übrig.

Mit dem Titelstück schrieb sich Gitarrist/Sänger Jerry Cantrell daher nochmals als Tribut an die Seattle-Szene, mit SOUNDGARDEN, MOTHER LOVE BONE, MUDHONEY, SCREAMING TREES und NIRVANA, die stechende Leere aus der Seele, die der Verlust ihres Sängers Layne Staley, der 2002 im Alter von 34 Jahren verstarb, und Ur-Bassisten Mike Starr, der 44-jährig 2011 von uns ging, hinterlassen hatten. Obgleich der Song natürlich eine typische, in den Neunzigern hundertfach produzierte Komposition darstellt. Ein ´Red Giant´ verlässt die gewählte Gleichförmigkeit auch nur, wenn die Melancholie etwas in die Höhe getrieben wird. Allzu widerstandlos rauscht ´Deaf Ears Blind Eyes´ am Ohr vorbei. Diese gewohnt negativen und düsteren Schwingungen, die sich aus dem Doom eine fröhliche Tristesse im Grunge aufgebaut haben, weist ´So Far Under´ auf.

Die heutigen Stärken von ALICE IN CHAINS bewähren sich wenigstens in der akustischen Gitarre eines ´Fly´, luftiger als PEARL JAM und geradewegs auf Unplugged-Spuren von TESLA. Dass Chris DeGarmo die Akustikgitarre im Wah-Wah-Song ´Drone´, ein „Pet Black Hole“ schildernd, übernimmt, sticht nicht ins Ohr. Leider entpuppt er sich nicht als ´Black Hole Sun´. Dagegen ist der Opener ´The One You Know´ von einem ganz anderen Kaliber. Um den Todeszeitraum David Bowies von Cantrell verfasst, gibt er sich als Grunge-Nachkomme von Bowies Hit ´Fame´ aus und durchlebt die Ecke Schwermut vollends in einer wunderbaren Melodie, die sich wiederholt zu steigern weiß. Wer obendrein den mehrstimmigen Gesangseinsätzen folgt, erhält die Gewissheit, dass KING´S X ihrer Zeit weit voraus waren. Dass ALICE IN CHAINS noch die Fähigkeiten innehaben, Ohrwürmer zu schreiben, zeigt sich in ´Maybe´ – der Höhepunkt des sechsten Werkes. Kurz dahinter positioniert sich ´Never Fade´, William DuValls lyrische Ausführungen über den Tod seiner Großmutter und das Ableben von SOUNDGARDEN-Frontman Chris Cornell, und bringt ALICE IN CHAINS selbst als AUDREY HORNE aus Seattle wieder zurück ins große Spiel.

(7,5 Punkte)

Michael Haifl